Tarnkappenbombe: Debatte zum Gesetz über Fracking
Ende der Woche werden Bundestag und Bundesrat den Gesetzentwurf zum Fracking diskutieren. Die Kontroverse verläuft weniger zwischen Parteien als viel mehr zwischen Bürgern und Politik
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fand klare Worte: "Fracking zu wirtschaftlichen Zwecken wird es in absehbarer Zeit in Deutschland nicht geben!" Als die SPD-Ministerin im vergangenen Sommer einen Gesetzentwurf über die unkonventionelle Methode zur Förderung von Öl und Erdgas vorlegte, erweckte sie öffentlich den Eindruck, dass es sich dabei um einen reinen Verbotskatalog handelt. "Erlaubt sind nur Probebohrungen für die Forschung, und auch das nur ohne den Einsatz von wassergefährdende Frackflüssigkeiten."
In der breiten Öffentlichkeit kam diese Argumentation gut an. Das Aufbrechen von tiefen Gesteinsschichten hat in der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Besonders der Umstand, dass dabei Millionen Tonnen von Wasser mit Chemikalien versetzt in den Boden gepresst werden, bereitet vielen Menschen ein ungutes Gefühl. Warum einen Rohstoff aus öffentlichem Eigentum verbrauchen, um einen anderen Rohstoff für private Energieunternehmen zu fördern?
Dass sich dafür Argumente finden lassen, zeigt ein anderer SPD-Politiker. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies verweist auf 20.000 Arbeitsplätze, die in seinem Bundesland an der Erdgas- und Ölförderung hängen. Bisher sind vor allem die beiden Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vom Fracking betroffen. Hier holen die Firmen ExxonMobil, Wintershall und RWE Dea das Erdgas aus einer Tiefe von rund vier Kilometern.
Besondere Erfahrungen hat der Ort Rotenburg in Niedersachsen. "Wir haben bislang immer nur von den Vorteilen gehört", schildert Bürgermeister Andreas Weber (SPD) seine Erfahrungen gegenüber Deutschlandradio. Plötzlich taten sich jedoch an Hauswänden Risse und Spalten auf, aus Rohrleitungen sickern Quecksilberreste in Äcker und Bäche.
Und dann fing es plötzlich an, dass man von Erdbeben gesprochen hatte, dass es auch Quecksilberbelastungen im Boden gegeben hat, bis hin zu der jetzigen Situation, dass auch nicht auszuschließen ist, dass es sogar Krebserkrankungen in höherem Maße in einer solchen Region gibt, wo wir mit vielen Bohrstellen auch Erdgas hier nahe bei den Wohngebieten fördern.
Andreas Weber
Inzwischen vertritt Bürgermeister Weber den Standpunkt, dass es falsch ist, Fracking durchzuführen und noch die letzten Reserven aus dem Boden herauszuholen. Eine aktuelle Studie aus einer der größten Fracking-Regionen der Welt, dem Marcellus-Becken in den USA, scheint erneut die Gefahren für das Trinkwasser zu bestätigen. Die Wissenschaftler von der Pennsylvania State University konnten in mehreren Trinkwasser-Brunnen in der Region Chemikalien nachweisen, die üblicherweise bei der Gasförderung genutzt werden.
Eine Mogelpackung
In Deutschland appellieren derweil 25 Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen an die Parteien, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. "Die Bundesregierung plant, Fracking in Deutschland zu ermöglichen", lautet ihre ganz andere Lesart des Gesetzes. Einer der Initiatoren des Appells, Andy Gheorghiu, sieht vor allem die Lücken, die der Entwurf lässt. Schon alleine die Tiefenbegrenzung von 3.000 Metern sei keine ernsthafte Beschränkung. Die Grenze gelte explizit nur für Fracking-Vorhaben zwecks Förderung von Schiefer- oder Kohleflözgas. Fracking-Projekte zur Förderung von so genanntem Tight-Gas und Tight-Öl seien von der Regelung gar nicht erfasst.
"Fracking-Vorhaben in Schiefer- oder Kohleflözgestein sollen zu Forschungszwecken und anschließend zu kommerziellen Zwecken stattfinden können, wenn sie von einer Expertenkommission als unbedenklich eingestuft wurden", erläutert der Aktivist von der Bürgerinitiative "Lebenswertes Korbach" gegenüber Telepolis. Das gelte laut Entwurf unabhängig davon, ob sie über oder unter dieser willkürlich festgelegten Grenze liegen "Diese Kommission wird mit Sachverständigen besetzt, deren Einrichtungen sich in der Hannover-Erklärung bereits als Befürworter des Fracking positioniert haben."
Eine ähnliche Scheinargumentation vemutet Andy Gheorghiu hinter der Absage an "wassergefährdende Frackflüssigkeiten". So verzichte der Entwurf auf einen Negativkatalog, in dem die gefährlichen Flüssigkeiten genau benannt sind. "Warum gibt es kein Verbot von human- oder ökotoxischen Flüssigkeiten?" Zudem ist der Einsatz von Chemikalien nur eines von vielen Problemen. "Das giftige und stark salzhaltige Lagerstättenwasser, welches auch bei der konventionellen Förderung anfällt, soll weiterhin in den Untergrund verpresst werden dürfen." Das Gesetz werde die bisherige - rechtlich angreifbare Praxis - sogar im Nachhinein legitimieren, fürchtet Gheorghiu.
Genauso wenig wie der "wassergefährdende" Charakter bei Frackflüssigkeiten lässt sich nach Ansicht des Aktivisten der Charakter von Probebohrungen abgrenzen. "Jede Fracking-Bohrung ist - wegen völlig unterschiedlicher Bedingungen des Untergrunds - eine Forschungsbohrung." Die Unternehmen sind Global-Player, die momentan weltweit im Echtbetrieb fracken. "Wenn es ihnen um umweltverträgliches Fracking ginge, dann könnten sie dies dort im Echtbetrieb nachweisen und zwecks Monitoring deutsche Wissenschaftler einladen."
In ihrem Appell verweisen die Umweltorganisationen darauf, dass sich bereits über 2000 Kommunen gegen den Einsatz der umstrittenen Technologie auf ihrem Territorium ausgesprochen haben. Nicht einmal das Argument der Arbeitsplätze halte einer ernsthaften Überprüfung stand, glauben die Unterzeichner und verweisen auf eine entsprechende Stellungnahme des Sachverständigenrat für Umweltfragen. Für Andy Gheorghiu stellt sich zudem die Frage, warum überhaupt öffentliche Mittel für die Exploration fossiler Energieträger eingesetzt werden sollen, anstatt erneuerbare Energien auszubauen oder die Energieeffizienz zu steigern. "Das würde die politisch beschlossenen Ziele der Energiepolitik verwirklichen und Beschäftigung sowie regionale Wertschöpfung schaffen", argumentiert Gheorghiu.
Das Bündnis wirbt dafür, dass die Ministerpräsidenten am kommenden Freitag für einen alternativen Entwurf stimmen, den die Umweltminister der Länder im Bundesrat eingebracht haben. Darin wird ausdrücklich ein Fracking-Verbot festgeschrieben, wie es etwa Frankreich bereits erlassen hat. Egal wie die Abstimmung ablaufen wird: Viele der beteiligten Initiativen sehen ihre eigentliche Aufgabe in der regionalen Arbeit.
"Wir haben es geschafft - zusammen mit vielen Kommunen -, dass hier Nordhessen schon die Erlaubnis zum Suchen des Schiefergases verwehrt wurde", beschreibt Andy Gheorghiu seinen Politikansatz. Die Begründung für die Behörden lautete, dass die öffentlichen Interessen im Aufsuchungsfeld überwiegen. Dazu gehören etwa Natur-, Landschafts- und Gewässerschutz. Die Entscheidung erfolgte unter einer CDU/FDP-Regierung auf der Basis des bestehenden Bundesberggesetzes. "Dieser Fall stellt ein rechtliches Novum in Deutschland dar." Die "Korbacher Resolution" stellt mittlerweile den Forderungskatalog dar, der die Anti-Fracking-Bewegung in der ganzen Europäischen Union eint.