Terminated

Der Tag, an dem Arnold Gouverneur wurde

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15 Millionen Einwohner Kaliforniens hatten gestern die Wahl darüber, ob sie ihren Gouverneur behalten oder ersetzen wollen. Erste Hochrechnungen sehen Schwarzenegger als großen Gewinner der Wahl. Janko Röttgers hat die Wahl für Telepolis vor Ort beobachtet.

Es ist noch dunkel draußen, als sich rund 30 Aktivisten verschiedener Migranten-Initiativen am Dienstag morgen um sechs Uhr früh in den Räumen der American Civil Liberties Union (ACLU) Los Angeles treffen. Der selbst gestellte Auftrag der noch etwas müden Truppe: Möglichst viele Wähler davon überzeugen, gegen die Abwahl des Gouverneurs Gray Davis und gegen das Volksbegehren 54 zu stimmen.

Das Volksbegehren gehört zu den weniger bekannten Aspekten dieser Wahl und soll dem Bundesstaat das Erheben jeglicher ethnischer Daten verbieten. Universitäten dürften damit keine Statistiken darüber anlegen, wie viele ihrer Studenten weiß und wie viele schwarz sind. Krankenhäusern wäre es verboten, Erkenntnisse über den Gesundheitsstand der Latinos in Los Angeles mit dem der weißen Bevölkerung zu vergleichen. Die Unterstützer des Begehrens argumentieren, damit rassische Diskriminierung abzubauen und eine "farbenblinde" Gesellschaft zu fördern.

Die hier heute morgen versammelten Aktivisten sehen darin jedoch nichts anderes als Rassismus durch verordnetes Wegschauen. Diskriminierung ließe sich nicht dadurch abschaffen, dass man die ihn dokumentierenden Statistiken verbieten würde, argumentieren sie. Nach ein paar Trockenübungen im Umgang mit Wählern werden Flugblätter in Englisch und Spanisch ausgeteilt und man macht sich auf, um pünktlich zur Öffnung der Wahllokale um sieben Uhr vor Ort zu sein.

Die Migrations-Aktivisten sind nicht die einzigen, die am Wahltag früh aufgestanden sind. Republikaner, Demokraten, Gewerkschaften und andere Interessengruppen bemühen sich den ganzen Tag darum, ihrem Anliegen wohl gesonnene Wähler zur Stimmabgabe zu motivieren. Dabei hilft eine Besonderheit der US-Demokratie: Da sich jeder beim Eintrag ins örtliche Wahlverzeichnis für eine Partei registrieren kann, sind politische Präferenzen leicht öffentlich einsehbar. Parteien und Interessengruppen erwerben vor einer Abstimmung einfach die Listen der ihnen wohl gesonnenen Wähler. Diese werden dann mit zahlreichen Telefonanrufen und Flugzetteln daran erinnert, auf jeden Fall ihre Stimme abzugeben. So hinterließen die Republikaner ab 4 Uhr rund 250.000 Flugzettel an den Türen ihrer Unterstützer.

Pleiten, Pech und Pannen?

Um neun Uhr ist der erste Ansturm an den Wahllokalen vorbei. Die Aktivisten trudeln nach und nach wieder im ACLU-Büro ein und fassen ihre Erlebnisse zusammen. Zu ihrer Erleichterung zeigen sich die meisten Wähler erstaunlich gut informiert. Gleichzeitig mehren sich jedoch die Berichte von Pannen beim Wahlverlauf. Die kurze Vorlaufzeit - erst vor zwei Wochen wurde endgültig entscheiden, dass diese Wahl stattfinden wird - hat offenbar für zahlreiche logistische Probleme gesorgt. Einige Wahllokale bleiben ganz geschlossen und zwingen Wähler damit zu Umwegen, andere öffnen mit deutlicher Verspätung. In einem Fall soll ein Wahllokal seinen Betrieb schließlich um 8:15 Uhr aufgenommen haben, obwohl die zur Abstimmung nötige Lochkartentechnik immer noch nicht eingetroffen war. Statt dessen verließ man sich offenbar beim Markieren der Lochkarten-Wahlzettel auf die Handfertigkeit der Wähler.

Die Lochkarten-Technik gehört zu einem der umstrittensten Aspekte der kalifornischen Wahl. Während der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 hatten Lochkarten einen erheblichen Anteil daran, dass sich die Auszählung um Wochen verzögerte. In Kalifornien wurde deshalb ein Gesetz verabschiedet, dass ein Ersetzen der unzuverlässigen Technik bis zum Beginn der nächsten Präsidentschafts-Wahlen im März 2004 vorsieht. Die ACLU wollte aus diesem Grund die Verlegung der Wahlen gerichtlich erzwingen, scheiterte damit jedoch vor eine Berufungsgericht.

Lochkarten kommen auch im Wahllokal des "Optimist Boys Home" in an der Figueroa Street in Nordost Los Angeles zum Einsatz. Um zehn Uhr morgens ist hier immer noch ganz schön viel los, obwohl die meisten Wähler bereits bei der Arbeit sein dürften - ein erstes Zeichen für eine hohe Wahlbeteiligung. Auf den ersten Blick hat der Trubel hier wenig mit der peniblen Ordentlichkeit zu tun, die in deutschen Wahllokalen vorherrscht. Doch auch für US-Verhältnisse wirkt alles sehr improvisiert und durcheinander. Wer wählen will, muss in der Regel nur seinen Wahlschein vorzeigen, Ausweise werden nur im Ausnahmefall überprüft. Gewählt wird an eng aneinander gereihten und nur dürftig voneinander abgegrenzten Parzellen an der Wand des Raums. Privatsphäre ist hier ein Fremdwort.

Für Kontroversen haben auch die elektronischen Wahlmaschinen gesorgt, die diese Lochkarten ersetzen sollen (siehe auch:Misstrauen in die Wahlcomputer: Zweifel am Ausgang der Wahl?). Vier kalifornische Bezirke setzten in dieser Wahl die umstrittenen Diebold Touchscreen-Systeme ein, in mehr als 30 Bezirken kamen ein Optical Scan-Systeme verschiedener Anbieter zum Einsatz. Wahlmaschinen-Kritiker wenden allerdings ein, dass auch die auf dem Einscannen von Wahlzetteln basierenden Systeme zahlreiche Sicherheitslücken aufweisen. Über den Tag hinweg sammelten sie erste Erfahrungsberichte auf der Black Box Voting Report-Website.

Das Umsorgen der Wähler

Währenddessen geht die Arbeit der Migrations-Aktivisten weiter. Sie besorgen sich in einigen für sie wichtigen Wahllokalen Informationen zum bisherigen Verlauf. Wahlergebnisse werden ihnen selbstverständlich nicht mitgeteilt. Dafür erfahren sie, wer von ihren potentiellen Unterstützern bereits abgestimmt hat und wessen Stimme noch fehlt. Die noch säumigen Wähler werden dann nochmals angerufen. Bei Bedarf werden Fahrgemeinschaften organisiert. Dazu verteilen Freiwillige weiter Flugblätter, bis die Wahllokale um acht Uhr abends schließen.

Das Umsorgen potenzieller Wähler gehört zum typischen Procedere US-amerikanischer Wahlen. Die großen Parteien setzen dabei auf eigens zu Wahlzeiten aktivierte Telefonzentralen und angemietete Kleintransporter. Die Gewerkschaften in Kalifornien besitzen sogar eigene Trucks mit mobilen Telefonzentralen, um von Wahllokal zu Wahllokal zu fahren und ihre Klientel zu mobilisieren. Der kalifornische Gewerkschaftsverband AFL-CIO unternahm bereits seit Montag 500.000 Telefonanrufe, um gegen die Abwahl des Gouverneurs zu mobilisieren. Zahllose automatisierte Anrufe gab es in den vergangenen Tagen auch von Bekanntheiten der demokratischen Partei wie Al Gore und Bill Clinton.

Gegen acht Uhr abends gibt es dann die ersten Hochrechnungen, die auf Befragungen vor den Wahllokalen beruhen. Wie in Deutschland dürfen diese erst nach dem Ende der Abstimmung veröffentlicht werden, um potenzielle Wähler nicht in ihrer Entscheidung zu beeinflussen. Bald zeigt sich dabei, dass Gouverneur Davis mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewählt worden ist. Für seine Abwahl entscheiden sich nach unterschiedlichen Polls zwischen 53 und 59 Prozent. Noch deutlicher die Entscheidung über seinen Nachfolger: Schwarzenegger hat demnach rund fünfzig Prozent aller Stimmen auf sich vereinen können. Gleichzeitig sieht es so aus, als ob das Volksbegehren 54 mit deutlicher Mehrheit abgelehnt wurde.