"Terminservice- und Versorgungsgesetz": Wie man Datenschutzabbau als Qualitätssicherung framet
Der fleißige Herr Spahn - Mit Vollgas gegen den Datenschutz: Teil 3
Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Gesundheitsminister Spahn mit seinem "Terminservice- und Versorgungsgesetz" einen weiteren Abbau von Datenschutzrechten der Bürger durchs Parlament gebracht.
Teil 1: Implantateregister-Errichtungsgesetz
Teil 2: Digitale-Versorgung-Gesetz
Das Wichtigste zuerst:
- Mit dem "Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung" (TSVG) verspricht Gesundheitsminister Spahn "bessere Angebote für gesetzlich Versicherte". Unbekannt dürfte den gesetzlich Versicherten aber sein, dass zu den "besseren Angeboten" in Zukunft gehört, dass ihre sensiblen Gesundheitsdaten auch ohne Pseudonymisierung für die "Qualitätssicherung" leichter verfügbar gemacht werden.
- Damit entspricht Gesundheitsminister Spahn dem Wunsch des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dessen Vorsitzender bereits im Dezember 2018 öffentlich seinem Ärger über die bisher geltenden Datenschutzregelungen Luft gemacht hatte: "Ich kann aber Qualitätssicherung nur betreiben, wenn ich den Patienten kenne, wenn ich also weiß, ob der Läuse, Flöhe und Fußpilz hat."1 [ab Min. 2:32:31]
- Anlass für den Unmut des G-BA-Vorsitzenden war ein vorangegangener Rechtsstreit beim LSG Berlin-Brandenburg, der zugunsten eines Suchtmediziners entschieden wurde: Der Arzt hatte mit Berufung auf bestehende Datenschutzregelungen erfolgreich dagegen geklagt, Behandlungsdokumentationen von namentlich bezeichneten drogenabhängigen Patienten ohne Pseudonymisierung zur "Qualitätssicherung" herausgeben zu müssen. Spahns Gesetz ändert nun die betreffenden Datenschutzregelungen so ab, dass der direkte Zugriff auf nicht pseudonymisierte Patientendaten rechtssicher erleichtert wird.
- Zusätzlich darf der G-BA in Zukunft vorsehen, dass Leistungserbringern (z.B. Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern) Informationen über ihre Patienten aus anderen Quellen übermittelt werden. Damit kann z.B. ein vorbehandelnder Arzt/Krankenhaus in Zukunft Einblick in Behandlungsdaten nehmen, die in anderen nachbehandelnden Einrichtungen erhoben wurden.
- Das Gesetz wurde am 14. März 2019 vom Parlament beschlossen und ist bereits seit dem 11. Mai 2019 in Kraft getreten.
"Meine ganze ambulante QS [=Qualitätssicherung] ist gekippt worden durch die Datenschutzbeauftragten, weil ein Arzt geklagt hat", empört sich der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses auf der E-Health Konferenz der CDU/CSU im letzten Dezember: "Der Datenschutz hat es zunichte gemacht!"
Das war passiert: Einem suchtmedizinisch tätigen Hausarzt wurde nachträglich das Honorar gekürzt, da er sich unter Berufung auf die Datenschutzrechte seiner Patienten weigerte, Dokumente über deren Substitutionsbehandlungen ohne Pseudonymisierung zur Qualitätssicherung herauszugeben. Der Arzt klagte. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschied im Mai 2018: Nach der geltenden Rechtslage müssen die Richtlinien des G-BA so geändert werden, dass patientenbezogene Informationen zum Zwecke der Qualitätssicherung pseudonymisiert werden. Das Urteil wurde ein Jahr später vom Bundessozialgericht bestätigt.
Der 299 wurde geschliffen
Bereits 2015 war die gesetzliche Regelung zur Pseudonymisierung von Patientendaten zur Qualitätssicherung um eine Ausnahme ergänzt worden. Spahn geht jetzt noch weiter: Mit seinem "Terminservice- und Versorgungsgesetz" wird die betreffende Gesetzesregelung des §299 Abs. 1 SGB V "geschliffen" - so die Formulierung des Vorsitzenden des G-BA auf besagter E-Health Konferenz.
Von einer Pseudonymisierung der Daten kann in Zukunft allein dann schon abgesehen werden, wenn die Richtigkeit der Behandlungsdokumentation Gegenstand der Qualitätsprüfung ist - mit anderen Worten: eigentlich immer.
Zusätzlich schafft Spahns Gesetz die rechtliche Voraussetzung dafür, dass der G-BA in Zukunft vorsehen kann, dass Leistungserbringern, z.B. Ärzten und Krankenhäusern, Informationen über ihre Patienten aus anderen Quellen übermittelt werden. So kann ein vorbehandelnder Arzt/Krankenhaus in Zukunft Einblick in Behandlungsdaten nehmen, die in anderen nachbehandelnden Einrichtungen erhoben wurden.
Ärzte und Krankenhäuser dürfen diese Daten dann mit den Daten, die bei ihnen zu den Versicherten ohnehin bereits vorliegen, unter Herstellung des Versichertenbezugs zusammenführen und auch selbst wieder verarbeiten.
Wahrnehmung von Gewinn statt Verlust
Neben "Sicherheit" (Implantateregister-Errichtungsgesetz) und "Innovation" (Digitale-Versorgung-Gesetz) ist "Qualitätssicherung" der dritte Frame, der die Wahrnehmung des Abbaus von Datenschutzrechten erheblich erschwert. Alle drei Frames richten den Scheinwerfer auf einen der Bevölkerung zuteil werdenden Gewinn: Sicherheit, Innovation oder Qualität. Im Schatten dieses Scheinwerferlichts hingegen liegt das, was alle drei Frames ausblenden: den wirklich gravierenden Verlust informationeller Selbstbestimmung.
1983 hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten "Volkszählungsurteil" die Bedeutung des informationellen Selbstbestimmungsrechts hervorgehoben, und zwar nicht nur für "die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen", sondern auch für das "Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist".
Fast 40 Jahre später höhlen Gesetze im Gesundheitswesen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger Schritt für Schritt aus: Das "Implantateregister-Errichtungsgesetz" und das "Terminservice- und Versorgungsgesetz" wurden bereits erfolgreich durchs Parlament gebracht. Am kommenden Donnerstag (07. November) nun soll auch das Digitale-Versorgung-Gesetz verabschiedet werden:
Nachdem in Teil 2 der Telepolis-Reihe zum Datenschutzabbau im Gesundheitswesen Spahns Pläne analysiert wurden, Gesundheitsdaten von gut 72 Millionen gesetzlich versicherter Bürger durch einen gigantischen Datenkreislauf für die Entwicklung und Zulassung von medizinischen Digitalprodukten in einem riesigen staatlichen Forschungsdatenzentrum verfügbar zu machen, haben jetzt endlich auch zahlreiche Medien mit großer Reichweite bis hin zur Tagesschau darüber berichtet.
Mit Erfolg: Jetzt - nach monatelanger Beschäftigung mit dem Gesetzesentwurf - zeigen sich die Bundstagsabgeordneten der Opposition ganz schnell noch ganz doll besorgt.
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