Terrorismus und Medien
Die türkischen Attentäter sind Kurden und sollen ihre Tat über das Internet geplant haben, die türkische Regierung sieht in den Medien Mitverantwortliche, die Terroristen von Istanbul haben wieder einmal einen erfolgreichen Mediencoup inszeniert
Die zwei aufeinander folgenden Selbstmordanschläge in Istanbul, bei denen jeweils fast gleichzeitig zwei Ziele angegriffen wurden, sind von türkischen Extremisten begangen worden, die Verbindungen ins Ausland gehabt haben sollen. Die Täter stammen aus der Stadt Bingöl im Osten der Türkei, nahe den Grenzen zum Iran und zu Syrien, sollen Kurden sein und ihre Tat über ein Internetcafe geplant haben. Die türkische Regierung beschuldigt die Medien, eine Mitverantwortung an den Anschlägen zu tragen. Aber Terrorismus, also nicht ein kontinuierlicher Guerillakampf, sondern der Kampf mit einzelnen spektakulären Anschlägen, und Medien hängen seit der anarchistischen Propaganda der Tat unlösbar zusammen.
Schon am Dienstag hatten türkische Medien Namen und Fotos von vier Männern bekannt gegeben, die nach Informationen der Polizei für die Selbstmordanschläge mit Autobomben auf die beiden Synagogen in Istanbul verantwortlich sein sollen. Mesut Cabuk und Gokhan Elaltintas wurden bereits durch eine Genanalyse identifiziert und sollen die Anschläge auf die Synagogen ausgeführt haben, die zwei übrigen Verdächtigen, Azad Ekinci und Feridu Ugurlu, werden nun als Täter für die Bombenanschläge vom Donnerstag auf das britische Generalkonsulat und die britische Bank HSBC bezeichnet.
Die "Front der Vorkämpfer für einen Großen Islamischen Osten" (IBDA-C) hatte sich für die Anschläge zusammen mit al-Qaida für verantwortlich erklärt. Dann wollte auch Abu Mohammed al-Ablaj, angeblich ein al-Qaida-Mitarbeiter, die Anschläge auf sein Konto setzen, wie er der in London erscheinenden Zeitschrift Al-Majalla mitteilte. Und in einer Email an die arabische, in London erscheinende Zeitung al-Quds al-Arabi reklamierte eine "Brigade des Märtyrers Abu Hafs el Masri" die Anschläge für sich Diese "Brigade" hatte sich auch zu dem Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad bekannt. Mittlerweile sind 18 Personen in Istanbul festgenommen worden, die als Hintermänner angeblich mit in den Anschlag verwickelt waren und beispielsweise die Autos besorgt oder die Dokumente gefälscht haben sollen.
Der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan sagte, dass eine Verbindung mit al-Qaida nicht sicher sei, unterstellte den Tätern aber ein "religiöses Motiv". Alle vier, so sagt die türkische Polizei, seien in Asien, in Pakistan oder in Afghanistan, gewesen und hätten dabei möglicherweise eine Terrorausbildung durchlaufen und mit al-Qaida in Kontakt gewesen sein können. So soll Ekinci sich im Iran aufgehalten haben, in Pakistan militärisch ausgebildet worden sein und schließlich in Tschetschenien gekämpft haben. Mittlerweile hat der türkische Geheimdienst eine Liste mit den Namen von 1.050 Türken zusammen gestellt, die alle an einem Kampftraining im Ausland oder in bewaffneten Konflikten teilgenommen haben.
Am Donnerstag ist es in den Wäldern um Bingöl offenbar auch zu Schießereien zwischen PKK-Militanten und türkischen Sicherheitskräften gekommen, bei denen 12 PKK-Mitglieder getötet worden sind. Am Sonntag wurden drei weitere PKK-Kämpfer getötet. Bingöl ist nicht nur ein Ort, der bekannt ist für islamistische Gruppen, sondern auch für militante Kurden, die sich dem von PKK-Führer Abdullah Öcalan verkündeten Waffenstillstand nicht angeschlossen haben. Nach dem Erdbeben war es hier im Mai zu Straßenschlachten mit der Polizei gekommen, weil die überwiegend kurdischen Einwohner der Stadt gegen die für sie mangelnde Hilfeleistung des Staates protestierten.
In dem Internetcafe Merkezi, das der Familie des mutmaßlichen Attentäters Elaltuntas gehört, sollen die Anschlagspläne geschmiedet und möglicherweise mit al-Qaida koordiniert worden sein. Die Polizei hat Computer beschlagnahmt, das Internetcafe aber ist offen geblieben. An der Wand wurde, so der Telegraph, die Warnung angebracht, dass es verboten ist, Websites zu besuchen, von denen aus der Staat bedroht wird. Bislang deutet dies nur darauf hin, dass die Polizei hier möglichen Spuren nachgeht. Das Internet als Mittel zur Planung von Anschlägen und zur Rekrutierung von Terroristen könnte auch wieder wie nach dem 11.9. dazu dienen, intensivere Überwachungsmöglichkeiten einzuführen.
Nach dem Onkel von Elaltuntas war dieser ein ruhiger junger Mann, der die Stadt kaum verlassen hat. Mesut Cabuk, der andere Synagogen-Bomber, sei eine Zufallsbekanntschaft gewesen. Cabuk habe, so sagt seine Frau, ihr nie etwas von seinen Plänen erzählt. Er sei arbeitslos gewesen, hätte in der letzten Zeit mehr und mehr religiöse Bücher gelesen und sei immer gläubiger geworden. Möglicherweise also ein typischer Fall für die Karriere eines islamischen Terroristen, der als Angehöriger einer überzähligen Generation einen Sinn für sein Leben im Kampf gegen einen Feind und im tödlichen Einsatz für seinen Glauben findet. Vielleicht ist für Selbstmordattentäter das Leben von zufällig anwesenden Menschen, das sie mit sich in den Tod reißen, aufgrund ihres endgültigen Einsatzes für die "Sache" relativ bedeutungslos.
Am 7. Oktober sei Cabuk mit ihr und ihren beiden Kindern zu Verwandten nach Istanbul gefahren, um dort angeblich nach Arbeit zu suchen. Mitgefahren sei auch Azad Ekinci, in Istanbul sei dann noch Gokhan Elaltuntas dazu gestoßen. Alle hätten in der Wohnung der Verwandten gehaust und sie immer wieder zu verlassen. Fünf Tage vor dem Anschlag habe Cabuk erzählt, dass er nach Dubai fliege. Von seinem Tod habe sie in der Zeitung erfahren. Befreundet sei er jedoch mit Azad Ekinci gewesen, dessen Bruder mit seinem Vater das Internetcafe betreibt.
Sollten die Anschläge auch auf dem Hintergrund des Kurdenkonflikts geschehen sein, so ist nach der Region im Nahen Osten, nach Afghanistan, Tschetschenien und dem Irak der islamistische Terrorismus, ob er nun mit al-Qaida direkt zusammen hängt oder nicht, aufgrund des Irak-Kriegs damit in ein weiteres Land mit einem offenen Konflikt eingezogen, der wieder aufflammen könnte.
Aufmerksamkeitsterrorismus und die Medien
Erdogan machte zusammen mit dem Istanbuler Polizeichef Celalettin Cerrah die Medien für die Anschläge vom Donnerstag verantwortlich, weil sie die Namen der Verdächtigen genannt haben. Cerrah sagte am Samstag auf dem Begräbnis für zwei Polizisten, die durch die Anschläge umgekommen waren:
Ohne die Verantwortungslosigkeit unserer Presse wären unsere 27 Bürger nicht getötet worden. Gerade als noch eine Stunde zwischen uns und den Täter fehlte, deckte die Presse sie und ihre Komplizen auf. ... Unsere Presse ermöglichte es den Tätern zu fliehen. Ist das eine freie Presse? Sie schrieben sogar auch unverantwortliche Dinge über mich.
Cerrah, der zur Zeit der Anschläge gerade einem Fußballspiel zuschaute, forderte eine Verschärfung des Pressegesetzes. Ebenso wie Cerrah verwies auch Erdogan auf die amerikanischen Medien nach den Anschlägen vom 11.9., in denen zunächst nichts über die Täter veröffentlicht worden sei. Man habe nur die Bilder von den Anschlägen gesehen. Erdogan erinnerte, dass die Staatsanwaltschaft den Medien verboten habe, über die Anschläge zu berichten:
Die Medien senden weiterhin schreckliche Bilder. Wie sollen wir, um Gottes Willen, den Terrorismus bekämpfen? Das erfordert Verantwortung.
Tatsächlich haben die Terroristen, wenn ihre Anschläge wie die vom Donnerstag "erfolgreich" in ihrem Sinne durchgeführt werden, auch einen entsprechenden Medienerfolg durch die Aufmerksamkeit auf die Anschläge erzielt. Terrorismus ist eine Medienstrategie, die nicht nur Angst und Unsicherheit erzeugen will, sondern vor allem durch die Größe des angerichteten Leids und Schadens, die Perfektion in der Durchführung der Anschläge und die beeindruckenden Katastrophenbilder von deren "Erfolg" nationale oder globale Aufmerksamkeit findet und zugleich die an sich viel mächtigeren "Gegner" als unterlegen vorführt.
Das alles hatte am Donnerstag zugunsten der Terroristen ausgeschlagen. Weltweit haben die Medien schnell die für sie gedachte Botschaft in Worten und vor allem Bildern transportiert und damit die Botschaft des Staatsbesuchs des US-Präsidenten Bush in Großbritannien, nämlich die Erfolge beim Kampf gegen den islamistischen Terror, beiseite gedrängt. Bush und Blair blieb nichts anderes übrig, als zu reagieren. In "Augenhöhe" mit der US-Regierung habe al-Qaida sich mit den Anschlägen vom Donnerstag erwiesen, sagte Ernst Uhrlau, Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, wohl zurecht (Al-Qaida in Istanbul im Medienkrieg mit Bush-Besuch in London).
Wie religiös auch immer al-Qaida oder der islamistische Terrorismus gegen die USA und ihre Verbündeten sein mag, so ist seit den Anschlägen auf die afrikanischen US-Botschaften deutlich, dass ihnen primär ein kalt berechnetes Medien- und Aufmerksamkeitskalkül zugrunde liegt, das - wie die Koordination von gleichzeitig ausgeführten Angriffen belegt - auf Überbietung ausgelegt und auf symbolische Ziele ausgerichtet ist. Schon aus diesem Grund muss man davon ausgehen, dass der 11.9. als der Höhepunkt der medialen Terrorstrategie zu einer Herausforderung für künftige Anschläge geworden sein dürfte. Und da die Medien weltweit tatsächlich mitspielen und so indirekt zum Partner der Terroristen werden, wird man fast darauf warten können, dass trotz aller Antiterrormaßnahmen irgendwann und irgendwo eine Überbietung mit noch mehr Toten und noch größeren Zerstörungen geschehen wird.
Die Anschuldigungen von Cerrah und Erdogan, dass die türkischen Medien für die Anschläge vom Samstag direkt mit verantwortlich seien, weisen diese natürlich entschieden zurück. Der türkische Journalistenverband drehte den Spieß um und bezeichnete die Beschuldigung selbst als Beispiel für Verantwortungslosigkeit:
Diese Behauptungen wurden in einem Klima gemacht, in dem die Emotionen die Logik beherrschten. Wir sind daran gewöhnt, für die Fehler von anderen verantwortlich gemacht zu werden. Aber eine Beschuldigung in diesem Ausmaß udn durch eine solche Verdrehung der Tatsachen ist uns das erste Mal geschehen. Gegenwärtig können wir auf diese Beschuldigungen nicht mit derselben Schärfe wegen des psychologischen Zustands der Nation reagieren. Aber wir betonen, dass die Behauptungen unfair und gesetzeswidrig sind.