Terrorismusbekämpfung und Datenschutz
Die EU-Kommission will die Strafbarkeit von Propagandadelikten erheblich ausweiten
Die Demokratie in Europa trägt bisweilen skurrile Züge: Da stimmen die EU-Agrarminister bei einem Treffen über eine Liste ab, auf der angeblich terrorverdächtige Gruppierungen aufgeführt stehen. Angelika Beer, außenpolitische Expertin der Europafraktion der Grünen, hat für derlei Vorgänge nur eine Wertung parat: Hier werde das Recht mit Füßen getreten, sagte sie während der Terrorismus-Debatte des EU-Parlaments am Dienstag in Brüssel. Es könne nicht angehen, dass Wald- und Wiesenminister über eine solche Angelegenheit als Stimmvieh missbraucht würden.
Der Stein des Anstoßes: Die Agrarminister entschieden am 15. Juli des Jahres über die Vorlage, jedoch ohne Wortmeldung und formelle Abstimmung. Und sie befanden gleichzeitig, dass auf der obskuren Terrorliste auch die iranische Widerstandsgruppe der Volksmudschahidin zu erscheinen habe. Dabei ist allgemein bekannt, dass es um die Rolle der Exil-Iraner durchaus andere Auffassungen gibt. Mehrere europäische Gerichte äußerten ihren Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Einträge. Denn einen Beleg für die angebliche Terrorbereitschaft der Gruppe gibt es nicht. Im Gegenteil: Vom Terror hat sich die Organisation schon vor Jahren losgesagt und den bewaffneten Kampf eingestellt.
Und so funktioniert das demokratische Ränkespiel in der Europäischen Union: Vor allem helfen zweifelhafte Freundschaften unter mächtigen Männern. In jener Zeit, in der der Iran wegen seines Atomprogramms zu Zugeständnissen bewegt werden sollte, nutzte die iranischen Machthaber die europäische Laxheit konsequent aus: Ein Gespräch mit der britischen Regierung beförderte die Widerstandsgruppe schließlich auf das umstrittene Papier. Unangenehme Nachfragen anderer EU-Regierung gegenüber den Briten gab es nicht – schließlich will man sich nicht gegenseitig brüskieren ...
„Anschlag auf die Gedankenfreiheit“
Nun wollen die EU-Regierungen den "Rahmenbeschluss zur Terrorbekämpfung" aus dem Jahre 2002 erweitern. Dazu sollen EU-weit Straftatbestände geschaffen werden, die bereits "Vorbereitungen" von Anschlägen unter Strafe stellen. Dies gilt zum Beispiel für den „Aufruf“ zu terroristischen Straftaten, etwa im Internet, sowie für die Anwerbung und Ausbildung von künftigen Terroristen. Alle EU-Staaten sollen solche Aktionen künftig strafrechtlich – und möglichst einheitlich - ahnden. Deutschland hat, wie wir wissen, in diesem Falle bereits eine Vorreiterrolle eingenommen.
Das Internet spielt eine zentrale Rolle in beiden Papieren. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien spielen bei der Ausbreitung der terroristischen Bedrohung eine erhebliche Rolle, heißt es im Entwurf der EU-Kommission. Dies gelte insbesondere für das Internet als preiswertes, schnelles und leicht zugängliches Medium mit praktisch globaler Reichweite. Terroristen nützten das Internet sowohl für die Verbreitung ihrer Propaganda und um Anhänger zu gewinnen. Und es werde auch für die Verbreitung von Anleitungen und Online-Handbüchern für die Terrorismus-Ausbildung oder die Planung von Terroranschlägen genutzt.
Als Adressaten der Informationen sind in dem Papier „Gefolgsleute ebenso wie Sympathisanten“ benannt. Das Internet trage auf diese Weise maßgeblich zur Verstärkung des Radikalisierungs- und Rekrutierungsprozesses bei und diene darüber hinaus als „virtuelles Trainingscamp“, indem es Informationen über Mittel und Methoden des Terrorismus verbreitet. Wörtlich: „Die Verbreitung terroristischer Propaganda und Kenntnisse im Internet ergänzt und verstärkt die Indoktrinierung und Ausbildung in der realen Welt und trägt dazu bei, den Kreis terroristischer Aktivisten und Sympathisanten zu erweitern und zu festigen.“
Mit dem überarbeiteten Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2002 will die EU-Kommission nun dieser „wachsenden Bedrohung Einhalt gebieten“. Und sie will durch Aufnahme neuer Straftatbestände eine Angleichung mit dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus erreichen. Dazu gehören Begriffe wie „öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ und die „Anwerbung und Ausbildung für terroristische Zwecke“.
Doch gerade den Begriff der „Aufforderung“ wollen die Abgeordneten so nicht stehen lassen. Der linke Parlamentarier Adamos Adomou (GUE/NGL) brachte den Sachverhalt auf den Punkt. Es könne nicht sein, dass jemand wegen einer Rede verurteilt wird“, sagte er. Jeder, der etwas schreibe, könne nun ins Gefängnis, konstatierte sein liberaler Kollege Stavros Lambrinidis. Eine „präventive Überwachung der Gedanken“ dürfe es nicht geben. Dies wäre ein „Anschlag auf die Gedankenfreiheit“.
In den Änderungen zum Richtlinienvorschlag forderte der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres nun, den Begriff „Aufforderung“ durch „Anstiftung“ zu ersetzen. Letzterer sei „schärfer gefasst“ und ein gängigerer Terminus in der Sprache der Justiz, heißt es. Unter einer „öffentlichen Anstiftung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ müsse nun verstanden werden, dass das „öffentliche Verbreiten oder sonstige öffentliche Zugänglichmachen einer Botschaft, in der eindeutig und vorsätzlich die Begehung einer Straftat befürwortet wird, wenn dieses Verhalten offensichtlich die Gefahr begründet, dass eine oder mehrere solcher Straftaten begangen werden könnten“.
Datenschutz mit Defiziten
Die sozialdemokratische Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, Martine Roure aus Frankreich, befasste sich mit dem zweiten Rahmenbeschluss zum Schutz personenbezogener Daten. Hier geht es vor allem um die Behandlung von jenen Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden sollen. Eine unabhängige Kontrollinstanz, die überprüft, ob Polizeibehörden Datenschutzregeln einhalten, wird es danach nicht geben. Roure zeigte in Brüssel ihre Enttäuschung über den „abgespeckten Kommissionsentwurf“. Der Ministerrat habe den ursprünglichen Vorschlag „seines Inhalts beraubt“, schimpfte sie. So sei allenfalls eine politische Einigung auf dem „kleinstmöglichen Nenner“ erreicht worden. Dabei waren es ihre eigenen Fraktionskollegen, die im Schulterschluss mit Konservativen und Liberalen auf Druck ihrer Regierungen an einigen wesentlichen Passagen herumgedoktert hatten.
Roure bezeichnete etwa das Datenschutzniveau des Textes als „minimal“, zudem weise er „auch sehr erhebliche Defizite auf“. Aus dem Grund hatten zahlreiche Abgeordnete eine Reihe von Änderungsanträgen allein zu diesem Thema eingebracht. So forderten sie etwa, dass die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten nicht zu einer Lockerung des Datenschutzes in diesen Ländern führen dürfe. Vielmehr müsse auf ein „hohes Maß an Schutz in der gesamten Union in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen des Europarates zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten“ abgestellt werden. Eine Weitergabe von Daten etwa an Drittstaaten dürfe nur dann erfolgen, wenn ein „angemessenes Schutzniveau für die beabsichtigte Datenverarbeitung“ entsprechend der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet wird.
Außerdem soll die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben soll „untersagt“ werden. Ausnahmen von diesem Verbot dürfe es nur dann geben, wenn für jeden einzelnen Fall die vorherige Genehmigung einer zuständigen Justizbehörde eingeholt wurde und dies nachweislich für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung oder Verfolgung von terroristischen und sonstigen schwerwiegenden Straftaten „unabdingbar“ sei.
Wie wichtig dem Ministerrat die Meinung der EU-Abgeordneten zu sein scheint, machte noch ein anderer Fakt deutlich: Der französische Europaminister Jean-Pierre Jouyet ergriff mitten in der Brüsseler Debatte das Wort und forderte die Parlamentarier namens der EU-Ratspräsidentschaft auf, der Vorlage zu folgen. Auf den Rest der Plenardebatte verzichtete Jouyet, weil er noch einen anderen Termin wahrnehmen wollte.