Terrorkarriere und Strafverfolgung
Der Fall Nils Donath
Nils Donath gehörte zur "Lohberger Brigade" und beteiligte sich am Dschihad des "Islamischen Staates" in Syrien. Nachdem er in die Bundesrepublik zurückgekehrt war, gab er gegenüber der Polizei an, er habe in einem "IS"-Gefängnis nur als Koch gearbeitet. Die Beamten glaubten ihm bereitwillig, zumal er sich als Kronzeuge gegen andere Dschihadisten zur Verfügung stellte. So kam er mit einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren davon. Später kam heraus, dass der vermeintliche "Koch" als Wärter eingesetzt war und mindestens drei Gefangene zu Tode gefoltert haben soll.
Als der Generalbundesanwalt ihn wegen dieser Morde anklagen wollte, gab es juristische Auseinandersetzungen darüber, ob ein neues Strafverfahren - nach dem ersten Urteil - nicht zu einer verfassungsrechtlich verboten Doppelbestrafung führen würde, so dass ein Strafklageverbrauch konstatiert werden müsste. In diesem Fall entschied man sich für eine Strafverfolgung: Seit dem 4. September muss sich Nils Donath erneut vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten.
Die "Lohberger Brigade"
"Abu Ibrahim al-Almani" alias Nils Donath wohnte in Dinslaken am Niederrhein und gehörte zu einer Gruppe zusammen, die sich "Lohberger Brigade" nannte, weil die Dschihadisten sich nun mal gerne mit den großen Namen schmücken. Die Gruppe benannte sich nach einem Stadtteil von Dinslaken, in dem viele Migranten leben. Nach der Schließung der Zeche vor Ort, ging es mit dem Stadtteil sozialökonomisch bergab.
Schätzungsweise 25 Jugendliche bzw. junge Erwachsene gehörten zur "Brigade", das ist für so eine kleine Stadt wie Dinslaken (fast 70.000 Einwohner) eine auffallend hohe Zahl. Als Spiritus rector der Gruppe gilt Mustafa Topal, der sich als "Geistheiler" betätigte und so den "Satan" und "Dschinns" bekämpfte, wie er auf seiner Internet-Seite wissen ließ. Als Wundermittel gegen Krebs empfahl er einen halben Teelöffel Schwarzkümmelöl und Karottensaft. Toll!
Über den Verein berichtete der "Spiegel" im Juli 2014:
Die Neuen gründeten ihren eigenen Verein in Räumen der Stadt, zwei Schritte vom Marktplatz entfernt. Sie trafen sich dort für "Sebahats", religiöse Gesprächsrunden. Sie machten Ausflüge in größere Moscheen, in kleinere Wohnungen, zu anderen Glaubensbrüdern.
Mustafa T. ist bis heute als Vorsitzender des Vereins eingetragen. Manche sagen, er habe das Unheil in ihr Dorf gebracht. Andere sagen, er sei so nett und habe so eine leise Stimme, er könne nichts für das Geschehene. Laut der Tätigkeitsbeschreibung fördert der Verein "die wissenschaftliche, politische und berufliche Aus- und Fortbildung von Jugendlichen, die schulische Bildung durch gezielten, auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittenen Nachhilfe- und Förderunterricht - den interreligiösen Dialog sowie den Abbau von Missverständnissen und Vorurteilen zu den Religionsgemeinschaften". In Lohberg findet sich niemand, der in diesem Verein Nachhilfe bekam, zumindest keine schulische.
Der Spiegel
Zu den weiteren Gruppenmitgliedern gehörten u. a.: Eniz A., Philipp Bergner, Marcel Burzynski, Hassan Diler, Hüssein Diler, Nils Donath, Chris D., Murat D., Yakup E., Yunus E., David Gäbler aus Kempten., Khaled H., Ali I., Murat Kalayci, Mustafa Kalayci, Marcel L. und Murat Semjani. Nach und nach schlossen sich die Mitglieder dem "Islamischen Staat" (IS) in Syrien an und machten durch ihre besondere Aggressivität Negativschlagzeilen.
Mehrere der Kriegsveteranen sind mittlerweile nach Dinslaken zurückgekehrt oder verbüß(t)en in Deutschland eine Haftstrafe. Hier stellt sich die Frage einer Resozialisierung. Marcel Burzynski landete in Kriegsgefangenschaft bei den Kurden, mindestens fünf oder sechs kamen in Syrien/Irak ums Leben: Philipp Bergner verübte am 6. August 2014 in Ali Rash bei Mossul (Irak) mit einer Autobombe einen Selbstmordanschlag gegen kurdische Peschmerga, der zwanzig Todesopfer fordert; David Gäble kam im Januar 2014 bei Kämpfen mit der Freien Syrischen Armee (FSA) in Isil (Nordsyrien) ums Leben, Hassan Diler, Yunus E. und Marcel L. kamen im Dezember 2014 bei einem Luftangriff auf Kobane ums Leben. Auch Murat Kalayci soll umgekommen sein.
Als Topal vor acht Jahren mit seiner islamistischen Rekrutierung unter den Jugendlichen um den Johannesplatz begann und diese in seinem "Dinslakener Institut für Bildung" (Steigerstraße 13) sammelte, haben die Schulen, die Sozialbehörden, die muslimischen Amtsträger des DITIB-Moscheevereins, die Polizei und die dösigen Kommunalpolitiker vom SPD-Ortsverein davon lange Zeit nichts mitbekommen. Heutzutage verwehren sich die Lohberger gegen eine Stigmatisierung ihres Stadtteils, um weiteren ökonomischen Schaden abzuwenden. Die Einheimischen schotten sich ab gegen die böse Außenwelt und ihre journalistischen Emissäre. Es herrscht Ruhe im Land!
Von der "Lohberger Brigade" zum "Islamischen Staat"
Zu den in Deutschland Inhaftierten gehört z. Zt. Nils Donath. Über sein Privatleben gibt es nicht viel zu erzählen: Er wurde am 29. Juli 1990 in Dinslaken geboren und ist der jüngere Cousin von Philipp Bergner. Eine Ausbildung zum Mechaniker brach "der Dicke", wie ihn seine Freunde nannten, ab. Sein Ausbildungsbetrieb feuerte ihn, weil er nicht zur Berufsschule ging. Stattdessen rutschte Donath ins kleinkriminelle Milieu ab: "Ich war ein Kiffer. (...) Ich hatte auf gar nix Lust." Mehrmals kassierte er Bewährungsstrafen, u. a. wegen eines Einbruchs in einer Bäckerei. Bereits mit vierzehn oder fünfzehn Jahren zeugte er ein Kind, um das er sich allerdings nie kümmerte.
Im August 2011 konvertierte er zum Islam. Anfang Oktober 2013 setzte er sich über Amsterdam und die Türkei nach Syrien ab. Um seine Ausreise finanzieren zu können, schloss Nils Donath ein halbes Dutzend Handyverträge ab und verkaufte die unbezahlten Geräte auf dem Schwarzmarkt, verkaufte über das Internet Fernseher, die es gar nicht gab, oder dealte mit Marihuana.
In Syrien angekommen schloss er sich der Gruppierung Majlis Shura al-Mujahideen in Aleppo an, die damals von Amr al-Absi geführt wurde und sich zu jener Zeit gerade dem damaligen "Islamischen Staat im Irak und Levante" (ISIS, später kurz: IS) anschloss. Über seine Gruppierung kam er mit mehreren "prominenten" Dschihadisten in Kontakt: Abdelhamid Abaaoud, Salaheddin Ghaitun, dem Belgier Abu Sobher und Salim Benghalim. Seine Schwester in Deutschland teilte ihm mit: "Komm nach Hause, Nils. (...) Ich weiß, du willst auch gerne ins Paradies. Aber bitte warte uns zuliebe noch ab."
Tatsächlich fand Nils Donath einen neuen "Job": In Manbij (andere Schreibweise: Manbidsch), das von 2014 bis 2016 vom "Islamischen Staat" gehalten wurde, setzte ihn seine Gruppierung als Wärter in einem Gefängnis ein, das damals von einem Marokkaner namens "Abu Obaida al-Maghrebi" geleitet wurde. Vermutlich handelte es sich um das Gefängnis "Tetbekat" im Westteil der Stadt. Nach eigenen Angaben will Donath in dem Knast nur Koch und Reinigungskraft gearbeitet haben. Jedenfalls gehörten zu seinen "Kollegen" u. a. Eniz A., Marcel Burzynski und Mustafa Kalayci aus Dinslaken.
Tatsächlich war Donath Mitglied der Einheit Rijaal al-Hisbah, die intern als "Verfassungsschutz" bzw. "Religionspolizei" bezeichnet wurde. Kamen Neuankömmlinge aus Deutschland, mussten diese überprüft werden, um etwaige Spione herauszufiltern. "Die foltern solange, bis derjenige gesteht, was die hören wollen. Dann wird er hingerichtet", berichtete Donath. Was Donath zunächst verschwieg, war, dass er selbst einer der Folterer gewesen sein soll.
Das besagte Gefängnis konnten die kurdisch-dominierten "Syrian Democratic Forces" (SDF) um den 9. August 2016 im Rahmen ihrer Operation MARTYR AND COMMANDER FAYSAL ABU LAYLA erobern. Es war einer der letzten "IS"-Stützpunkte in der Stadt. (/)
Rückkehr nach Deutschland
Nach dem Selbstmordattentat seines Cousins Philipp Bergner kehrte er - nach Fürsprache von Reda Seyam - im November 2014 mit dem Bus auf der "Zigeunerroute" über Istanbul und Dortmund aus Syrien zurück. Über seine damaligen Überlegungen wusste später ein Autorenteam des "Spiegels" zu berichten:
Doch nun, Anfang November 2014, sollte Schluss damit sein. Unter einem Vorwand machte er sich auf in die Türkei. In Istanbul wollte er sich mit seiner Mutter und seiner Schwester treffen und dann nach Hause, nach Dinslaken.
Nils D. hat nie erklärt, was ihm in diesen Tagen durch den Kopf ging. Doch der Browserverlauf seines Smartphones lässt einige Rückschlüsse zu. Er besuchte die Fahndungsseiten des Bundeskriminalamts, vermutlich, weil er fürchtete, in Deutschland verhaftet zu werden. Er recherchierte Fährverbindungen aus der Türkei und Fernbusreisen nach Nordrhein-Westfalen, wahrscheinlich, weil er die Kontrollen an Flughäfen fürchtete. Er schaute online nach neuer Kleidung in Übergrößen bei C&A, weil er ein unverdächtiges Outfit brauchte und zu dick für die normalen Größen war. Und er suchte nach Hotels in Istanbul und nach Sehenswürdigkeiten für die Tage mit seiner Mama und Schwester Annika.
Vor allem aber trieb ihn Sex um. Er tippte den Begriff "Rotlicht Istanbul" in eine Suchmaschine ein. Ein Treffer trug die Überschrift "Bordelle in Istanbul". Dutzendfach speicherte sein Telefon die Titel einschlägiger Pornoclips, die er ansteuerte. "Die blonde Katrin wird in den Arsch gefickt" gehörte dazu und "Fantastischer Dreier mit zwei brünetten Krankenschwestern" oder "Sexy Afrikanerin kriegt Sperma auf die Zunge".
Bevor er am 19. November in den Fernbus nach Istanbul zurück in die Heimat stieg, löschte er den Datenspeicher seines Handys.
Der Spiegel
Zurück in der Bundesrepublik wohnte er fortan bei seiner Mutter in Dinslaken. Auf der Durchreise in Bulgarien kontrollierten Grenzbeamte die Personalien der Insassen des Reisebusses. Die Polizisten bemerkten, dass Nils Donath im Schengener Informationssystem (SIS) zur verdeckten Fahndung ausgeschrieben war. Sie benachrichtigten umgehend die deutschen Kollegen und ließen den Islamisten unbehelligt weiterreisen. Seit seiner Ankunft in Deutschland stand er unter Beobachtung durch die deutsche Polizei; sein Mobiltelefon wurde abgehört, sein Pkw der Marke "Polo" verwanzt.
Aussagen gegenüber der Polizei
Im Januar 2014 leitete die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) gegen den Beschuldigten ein. Ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) der Polizei nahm Nils Donath am 10. Januar 2015 aufgrund eines Haftbefehls des Generalbundesanwalts in Dinslaken fest.
Gegenüber der Polizei behauptete Nils Donath zunächst, er habe beim "IS" lediglich als Koch gearbeitet, später legte er in vierzig Vernehmungen ein umfassenderes Geständnis ab. Dabei machte er umfangreiche Aussage, die sich insbesondere auf die späteren Attentäter von Paris und Brüssel bezogen. Dazu berichtet die "Süddeutsche Zeitung":
In den Vernehmungsprotokollen, die der Süddeutschen Zeitung, WDR und NDR vorliegen, zeichnet Nils D. ein detailliertes Bild der Abläufe in den Gebieten der Terrororganisation. Hunderte Fotos legen ihm die Beamten des Bundeskriminalamts vor, er kreist IS-Lager auf Satellitenbildern ein, beschreibt den Treueschwur auf den Kalifen Al-Baghdadi, umreißt Regeln und Alltag der Islamisten.
D. belastet unter anderem Reda Seyam als wichtigsten deutschsprachigen Mann des IS: Der Deutsch-Ägypter sei der logistische Anführer. Auch die engen persönlichen Verflechtungen der deutschen und europäischen Dschihadisten-Szene schildert er: Mit einigen der späteren Paris-Attentäter haben Deutsche in der Kleinstadt Kafr Hamra in einer Villa zusammengelebt, sagt er. Einige der deutschen Dschihadisten haben laut D. in belgisch geführten Einheiten gekämpft. Damit wäre die Verbindung zwischen Belgiern und Deutschen deutlich enger als bisher bekannt. Als Belgier haben Ermittler in Frankreich inzwischen auch einen mutmaßlichen Komplizen der Attentäter von Paris identifiziert.
SZ
In gleicher Manier berichtete der "Focus" am 2. April 2016 (S. 25-26):
Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagt, dass Donath maßgeblich an der Aufklärung der IS-Strukturen mitgewirkt habe.
Aus den umfassenden Verhörprotokollen der LKA-Ermittlungsgruppe "Golf", (...) geht hervor, dass Donath schon Anfang August 2015 - also mehr als drei Monate vor Paris - vor der islamistischen Killertruppe aus den Brüsseler Vororten Molenbeek und Schaarbeek gewarnt hatte. Sogar Führungsleute der Terroristen konnten durch Donaths Angaben eindeutig identifiziert werden.
Das LKA hat die relevanten Personen-Informationen nach FOCUS-Recherchen an die Partnerbehörden in Frankreich und Belgien weitergegeben. Dort sind die Eilmeldungen wohl schlicht verschlampt worden. (…)
Zu der brutalen IS-Kampfeinheit "Madschlies al Shura" gehörten, so der Kronzeuge, "auch 30 belgische Islamisten, die trugen alle den Beinamen al Baljiki, also der Belgier."
Den internen LKA-Berichten zufolge erkannte Donath auf den Lichtbildern Dutzende belgische und deutsche IS-Soldaten, meist mit ihren Kampfnamen. Als der Kronzeuge den Ermittlern später anbot, weitere belgische Dschihadisten in der Staatsschutz-Datei zu suchen, gab es daraufhin - laut Protokoll - keine Reaktion.
Focus
Auch über mehrere bekannte Figuren der deutschen Islamistenszene machte er in seinen Vernehmungen - mehr oder weniger umfangreiche - Angaben. So über Bernhard Falk, der dazu nur lapidar erklärte: "Wer sich als Kronzeuge zur Verfügung stellt, hat sich selbst aus dem Islam katapultiert." Er habe sich in Manbij "unter dem Deckmantel des Islam als nützliches Rädchen in einem perfiden Foltersystem betätigt", tönte Falk auf seinem "Facebook"-Kanal.
Aufgrund der Aussagen von Donath erließ die Bundesanwaltschaft Haftbefehle gegen sechs "IS"-Mitglieder. In mehreren Prozessen trat Nils Donath als Kronzeuge auf, so 2015 im Prozess gegen Ayoub Balti und Ebrahim Hadj Belgacem vor dem Oberlandesgericht Celle und im Strafverfahren gegen Mustafa Çelik vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Im Gegenzug haben ihm die Behördenzugesagt, die Strafe in seinem eigenen Prozess solle so "gering wie möglich" ausfallen.
Erster Prozess in Düsseldorf
Am 20. Januar 2016 begann der Prozess gegen Nils Donath vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter der damaligen Vorsitzenden Richterin Barbara Havliza. Vor Gericht gab er sich betont harmlos: Er könne noch nicht einmal einem Huhn den Kopf abschneiden, selbst wenn er Hunger habe, erklärte der Terrorist. Das Gericht glaubte seinen Ausführungen, dass er beim "IS" nur als Koch tätig gewesen war. Warum den polizeilichen Ermittlungen entgangen war, dass er beim "IS" als Mitglied der Geheimpolizei eingesetzt und als Folterer für drei Morde verantwortlich war, ist bis heute unaufgeklärt. Gegen keinen Beamten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) eingeleitet. Anscheinend gab man sich zufrieden damit, dass Nils Donath umfangreiche Kenntnisse über den "IS" preisgab und sich als Kronzeuge in anderen Strafverfahren zur Verfügung stellte.
Am 4. März 2016 verurteilte das Gericht den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten (Aktenzeichen: III - 6 StS 5/15). Seine Haftstrafe, die er z. Zt. in der JVA Ratingen absitzt, wäre am 29. September 2019 verbüßt und Nils Donath ein freier Mann.
Die Richterin Havliza machte später politische Karriere in der CDU und ist seit November 2017 Landesjustizministerin in Niedersachsen.
Ein neuer Zeuge meldet sich
Zwei Tage vor der Urteilsverkündung brachte das Boulevard-Blatt "Bild" einen Artikel ihres Nahost-Korrespondenten Björn Stritzel. Dieser hatte in der Türkei unter den zahlreichen Flüchtlingen einen früheren Gefangenen aus Manbij aufgetan, der Neuigkeiten zu berichten wusste, die die "Tätigkeiten" des Nils Donath im Gefangenenlager von Manbij in einem völlig anderen Licht erscheinen ließen.
Mohammed E. ist ein früherer Angehöriger der Freien Syrischen Armee aus Aleppo, wurde vom "IS" im Juli 2014 gefangengenommen und ins Lager Manbij gesteckt. Er beschuldigte Nils Donath, er habe im Mai 2014 in der Stadt Manbij mehrere Gefangene gefoltert. Die Gefangenen wurden - manchmal tagelang - in kleine Holzkisten gezwängt. In den größeren Kisten konnten die Gefangenen stehen, in den kleineren konnten sie nur hocken. So sei Donath persönlich für den Tod von drei Gefangenen verantwortlich, die er mit zwei anderen Wärtern zu Tode prügelte.
Insgesamt sollen in Manbij sieben oder acht Folterer tätig gewesen sein. Außerdem habe Donath als Henker eine Enthauptung durchgeführt und sei bei fünf Hinrichtungen als Zuschauer zugegen gewesen. Mohammed E. konnte Nils Donath auf Fotos eindeutig wiedererkennen. In dem damaligen "Bild"-Bericht vom 2. März 2016 hieß es:
Die Angst vor der Terrormiliz ISIS sitzt immer noch tief, auch jenseits der Grenzen des "Kalifats". Denn Mohammed war mehr als vier Monate in einem ISIS-Kerker gefangen. Dort begegnete er auch einem Deutschen.
Wie war dessen Name? "Abu Ibrahim", sagt Mohammed. Die Kunya, der arabische Beiname den sich Donath gab, lautete Abu Ibrahim. Kann er den deutschen ISIS-Wärter beschreiben? "Er war dick und groß", sagt Mohammed. Als BILD ihm Fotos von Donath vorlegt, ist Mohammed sicher: "Ja, das ist Abu Ibrahim. Nur sein Bart war damals etwas länger."
Ende Mai 2014, wenige Tage vor Ausrufung des Kalifats, sah Mohammed wieder eine Hinrichtung. "Der Shari (Richter) behauptete, es handele sich bei dem Angeklagten um einen Zauberer", sagt Mohammed. Als "Zauberer" werden häufig Angehörige des Sufismus angeklagt, einer mystischen Strömung des Islam, die in den Augen von ISIS als Abtrünnige vom Glauben mit dem Tode zu bestrafen seien.
Wenige Wochen später, am 1. Juli 2014, wurde Mohammed mitten in Manbij von drei Fahrzeugen gestoppt. "Mehrere Vermummte stiegen aus. Ihr Anführer - ein Syrer - erklärte, ich sei verhaftet", sagt Mohammed. Mit verbundenen Augen wurde Mohammed in ein Gebäude gebracht, das ehemalige Kulturzentrum, wie er später erfuhr. "Die Zellen waren sehr klein, ich kann nicht sagen, wie viele es waren, aber mehr als zwölf."
Der Vorwurf an Mohammed: Er sei ein Spion für die FSA und arbeite gegen ISIS. Wie seine frühere Mitgliedschaft bei der Rebellengruppe an ISIS weitergegeben wurde, weiß er nicht. Nach dem ersten Verhör, in dem der Wärter die Namen weiterer FSA-Kämpfer wissen wollte, begannen die Folterungen.
"Balango", sagt Mohammed. Das Wort reicht aus und jeder Syrer weiß, was gemeint ist, denn auch das Regime von Diktator Assad foltert mit dieser Methode: Dem Gefangenen werden die Arme hinter dem Rücken zusammengebunden, anschließend wird er an der Decke hochgezogen - viele der so Gefolterten renken sich qualvoll langsam die Arme aus den Schultergelenken aus.
"Zusätzlich schlugen sie mir mit einem Stock auf die Fußsohlen", sagt Mohammed. (…)
Einige Tage später sah er zum ersten Mal den massigen deutschen ISIS-Wärter Donath: "Er hatte gerade einen neuen Gefangenen abgeliefert und war danach unmaskiert." Mohammed ist sich sicher: Das ist derselbe Mann, der einige Wochen zuvor den "Zauberer" enthauptet hat. "Ich fragte einen syrischen ISIS-Wärter, ob dass der Henker sei, der einen Mann enthauptet hatte", sagt Mohammed. Der Syrer verneinte, doch Mohammed ist sich sicher: "Er hatte dieselbe Statur, groß und dick. Ich bin mir sicher, dass es Abu Ibrahim war, der den Zauberer tötete." (…)
Nach einigen Tagen wurde der ISIS-Kerker von einem Kampfflugzeug des Assad-Regimes bombardiert. … Da das Gebäude beschädigt wurde, wurden die Gefangenen verlegt … Auch Nils Donath habe wieder Gefangene in dieses Gebäude gebracht. Und er soll sich an den Wehrlosen vergangen haben: "Er ging von Zelle zu Zelle und schlug auf die Gefangenen ein, mit seinen Fäusten", sagt Mohammed. Wurde er auch geschlagen? "Nein, er kam nicht bis zu meiner Zelle." Wie wirkte Donath, während er auf die Gefangenen einschlug? "Er zeigte keinerlei besondere Emotion, er ging einfach von einer Zelle zur nächsten und schlug auf die Gefangenen ein.
Bild
Außerdem wurde bekannt, dass sich Donath an Kampfhandlungen in Kafr Hamra (Syrien) beteiligt haben soll. Nicht zuletzt wurde berichtet, dass Nils Donath zu einer Spezialeinheit des "IS" in Manbij gehörte, die als "Sturmtrupp" bezeichnet wurde. Sie war damit beauftragt, Deserteure zu jagen. In 3 bis 15 Fällen soll er bei solchen Festnahmen mitgewirkt haben.
Über die Aktivitäten von Donath und seinen "Brüdern" berichtete Heiner Vogel im August 2016 in seinem Blog "Erasmus Monitor":
Unter den Dinslakener fanden sich genug Leute, die bereit waren sich in den Dienst der Mörder und Folterer zu stellen. Darunter waren auch Marcel L., Mustafa K. und Nils D..
Zeugenaussagen, nicht zuletzt die des Syrien-Rückkehrers Nils D. belegen, dass die Mitglieder der Lohberger Brigade in Manbij in mehreren Sturmtrupps dienten, darunter die berüchtigte al-Hisbah-Einheit. Die vermummten meist aus Ausländern bestehende "Ordnungsmacht" war für Verhaftungen, Folterungen und Hinrichtungen vermeintlicher Gotteslästerer, Spione und Krimineller verantwortlich. Nils, Marcel und Mustafa sollen zudem in IS-Gefängnissen in Manbij eingesetzt worden sein. Alle drei waren an Misshandlungen von Insassen beteiligt. (…)
Auch eine Gruppe von Frankfurtern, die sich monatelang in Manbij aufhielt, diente in den Sondereinheiten des IS. Über Riza Y., Selcuk G und Ahmet T. berichtete "Erasmus Monitor" bereits 2015. Riza arbeitete als Funktionsträger der al-Hisbah.
Erasmus Monitor
Zweite Anklage gegen Nils Donath
Im Fall Nils Donath stimmten die recht detaillierten Ausführungen des Zeugen Mohammed E. mit den vorhandenen Erkenntnissen über die Verhältnisse im Gefängnis Manbij überein, sodass sich die Bundesanwaltschaft Mitte Juli 2018 entschloss, Anklage gegen Nils Donath wegen Mordes in drei Fällen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu erheben. (Aktenzeichen GBA: 2 StE 6/19-9).
In der damaligen Pressemitteilung des Generalbundesanwalts hieß es:
Die Bundesanwaltschaft hat am 13. Juli 2018 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anklage gegen den 27-jährigen deutschen Staatsangehörigen Nils D. erhoben. Der Angeschuldigte ist hinreichend verdächtig, in drei Fällen als Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) aus niedrigen Beweggründen grausam einen Menschen getötet (§ 211 Abs. 2 Var. 4 und 6, § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB) und hierdurch auch gegen das Völkerstrafgesetzbuch (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 VStGB) verstoßen zu haben.
In der nunmehr zugestellten Anklageschrift ist im Wesentlichen folgender Sachverhalt dargelegt:
Der Angeschuldigte gehörte im Zeitraum von Juli bis November 2014 als Mitglied des "IS" einer sieben- bis achtköpfigen Gruppe von Personen an, die in einem Gefängnis des "IS" in Manbij/Syrien regelmäßig Gefangene folterten. Diese sollten zu einem Geständnis der ihnen vom "IS" vorgeworfenen Handlungen veranlasst werden. In mindestens drei Fällen kamen hierbei nach gemeinsamer Folter durch den Angeschuldigten und zwei weiterer "IS" Mitglieder Gefangene ums Leben.
Generalbundesanwalt
Aber am 10. Oktober 2018 lehnte der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf ein erneutes Strafverfahren wegen "Strafklageverbrauchs" zunächst ab (Aktenzeichen: III - 6 StS 5/18). In einer Pressemitteilung des Gerichts vom 10. Oktober 2018 hieß es:
Mit Beschluss vom 10. Oktober 2018 hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Staatsschutzsenat) die unter dem 6. Juli 2018 erhobene Anklage des Generalbundesanwalts gegen den 28-jährigen Deutschen Nils D. wegen Mordes in drei Fällen und der Begehung von Kriegsverbrechen, handelnd als Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung "IS", nicht zugelassen und das Hauptverfahren aus rechtlichen Gründen nicht eröffnet. Es liege ein Fall des sog. "Strafklageverbrauchs" vor. (…)
Die neue Anklage betreffe zeitlich wie inhaltlich weitestgehend denselben geschichtlichen Vorgang, der Gegenstand der früheren Anklage und des Urteils vom 4. März 2016 war, nämlich die Handlungen von Nils D. im Zeitraum von Juli bis November 2014 im Zusammenhang mit der Verwaltung des Gefängnisses in Manbij/Syrien und dem dortigen Umgang mit den Gefangenen. Auch der Umstand, dass dort Folterungen bis zum Tode stattfanden, von denen Nils D. wusste und die er beobachtet haben solle, war Gegenstand der früheren Anklage und des Urteils vom 4. März 2016. Dieser geschichtliche Vorgang dürfe aber nach der rechtskräftigen Verurteilung vom 4. März 2016 nicht erneut Gegenstand eines Strafprozesses sein. (…)
Nach den Feststellungen des vorgenannten Urteils hatte der Angeschuldigte Mitte Oktober 2013 bis Anfang November 2014 neben sonstigen Beteiligungshandlungen als Mitglied des "IS" Wachdienste im Bereich des Zugangs zu einem Gefängnis in Manbij/Syrien, in dem zum Tode führende Folterungen stattfanden, verrichtet. Zudem war er in der Verwaltung dieses Gefängnisses tätig. In der damaligen Anklage war dem Angeschuldigten überdies vorgeworfen worden, bei der Folterung von 20 Gefangenen persönlich anwesend gewesen zu sein.
Oberlandesgericht Düsseldorf
Gegen die Entscheidung des Gerichts legte der Generalbundesanwalt Beschwerde ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 18. Dezember 2018, dass die Taten der neuen Anklage nicht unter den Strafklageverbrauch fallen (Aktenzeichen: StB 52/58). Daraufhin gab der BGH der Beschwerde am 18. Februar 2019 statt, somit muss sich Nils Donath nun ein zweites Mal vor Gericht verantworten.
Beginn des zweiten Prozesses
Der aktuelle Prozess begann am 4. September 2019 vor dem 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf unter dem Vorsitzenden Richter Jan Reinhard van Lessen (erneutes Aktenzeichen: III - 6 StS 5/18). Die Anklage wurde vertreten durch Oberstaatsanwalt Bernd Meisner. Im Hauptverfahren sind sieben Zeugen geladen, darunter Mohammed E.. Ob dieser tatsächlich aus der Türkei anreisen wird, ist unklar. Die Anklage hängt - nicht unwesentlich - von seiner Glaubhaftigkeit ab. Dazu berichtete der "Spiegel" am 3. März 2018 (S. 51):
Tatsächlich gibt es Auffälligkeiten in den Angaben des Zeugen. Die türkischen Staatsanwälte, die Mohammed E. befragten, waren nicht die Ersten, mit denen er sprach. Zuvor hatte er mit einem Mitarbeiter der "Bild"-Zeitung und wenig später mit ZDF-Journalisten gesprochen - und, wenn deren Berichte stimmen, jedes Mal etwas anderes erzählt. (…)
Mohammed E. verfüge, so heißt es in einem Fernsehfilm, über "Details und Dokumente, die jeden Richter der Welt überzeugen werden". Den türkischen Staatsanwälten sagte er, er habe nur seine Erinnerung.
Der Spiegel
Nils Donath selbst schweigt zu den Vorwürfen. Im Vorfeld des neuen Prozesses hatte er dem Vorsitzenden Richter lediglich mitgeteilt: "Ich will das nicht auf mir sitzen lassen, wenn ich als Henker und Folterer bezeichnet werde." Ansonsten habe er sich während seiner Haftzeit ruhig verhalten und sich gut geführt. "Ich will einfach nach Hause zu meiner Familie."
Außerdem müssen alte, noch vorhandene Beweismittel angesichts der aktuellen Anklage gegen Nils Donath neu bewertet werden: So fand sich auf seinem Handy ein gelöschtes Foto, das die Ermittler rekonstruieren konnten. Es zeigt, wie Nils Donath einem vermummten und gefesselten Gefangenen eine Pistole an den Hinterkopf hält. Bei einer früheren Vernehmung sagte Donath aus, das Foto sei nur ein Scherz im Beisein deutscher "Brüder" gewesen, dies sieht die Staatsanwaltschaft mittlerweile anders. Mit einem Urteilsspruch wird für den 28. November 2019 gerechnet. Nils Donath droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Egal wann er wieder aus dem Knast rauskommt, er wird dann ein sehr einsamer Mann sein. Zu seiner (Rest-)Familie nach Dinslaken kann er schon aus Sicherheitsgründen nicht zurück. Für den Staat ist er ein Ex-"Terrorist", für seine Ex-"Brüder" ein "Verräter" und für die deutsche Gesellschaft ein "Sozialschmarotzer", der nichts gelernt und nie gearbeitet hat.
Dabei ist Nils Donath keineswegs der einzige Deutsche, der sich im Ausland an Folterungen beteiligt haben soll. Abdulkarim al-B., Mustafa K., Martin Lemke, Marcel L., Harry Safo und ein "Abu Anis al-Almani" sollen ebenfalls solche Kriegsverbrechen begangen haben. Hinzu kommen Folterer, die mit der Flüchtlingswelle nach Deutschland kamen und hier enttarnt wurden, wie z. B. der Dschihadist Ibrahim al-F. oder Schergen der herrschenden Terrorregime, wie z: B. Eyad A. und Anwar R. aus Syrien oder Ahmad Zaheer D. aus Afghanistan.
Von ziemlich vielen Islamisten aus Deutschland, die sich im Ausland am Dschihad beteiligt hatten und in Gefangenschaft gerieten, wurde bekannt, dass sie gefoltert wurden. Mindestens drei wurden sogar - als tatsächliche oder vermeintliche "Spione" - von den eigenen Ex-"Brüdern" misshandelt: Mustafa Çelik, Mario Sciannimanica und Silvio Steffen Koblitz, wobei die letzten beiden ums Leben kamen. So treffen sich heutzutage im Multi-Kulti-Deutschland Folterer und Gefolterte wieder.
Strafrahmen in Terrorverfahren
In "Terrorverfahren" vor den Staatsschutzsenaten läuft vieles anders als in "normalen" Strafprozessen, diese Erfahrung müssen Verteidiger immer wieder machen. Erst im Strafverfahren wird vielen Terrorverdächtigen bewusst, in welchem Umfang sie durch die Sicherheitsbehörden überwacht und ausgeforscht wurden. Selbst bei kleineren Verfahren kommt schnell ein Konvolut aus über 150 Gerichtsakten zusammen. Dabei fließen die Erkenntnisse der Nachrichtendienste in diese kaum ein, sondern werden im Dienstzimmer des Vorsitzenden Richters nur mündlich weitergegeben.
Während die Justiz in ihrer Aufklärungsarbeit gründlich ist, ist sie bei der Urteilsfindung relativ milde. In den letzten zwanzig Jahren wurden nur zwei Terroristen zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verknackt: Marco René Gäbel (3.4.2017 OLG Düsseldorf) und Arid Uka (10.2.2012 OLG Frankfurt). Zwei weitere Terroristen, Ahmed Mani Hamud und der frühere V-Mann Talib Said O., gehörten zu einer Terrorzelle, die von dem türkischen MIT-Agenten Mevlüt Kar aufgebaut worden war. Sie wurden vom Landgericht Frankenthal am 1. Februar 2009 ebenfalls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, aber nicht wegen "Terrorismus", sondern wegen Raubmordes an drei georgischen Autohändlern.
In der BRD sind Terrorverfahren gegen Islamisten/Dschihadisten bereits im Vorfeld durch die polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Ermittlungen und das juristische Prozedere des Justizapparat soweit abgeklärt, dass es in einem Strafprozess nur in Ausnahmefällen zu einem Freispruch kommt. Bei manchen Angeklagten konstatiert das Gericht dann "schuldunfähig" und die Täter landen erstmal in der Psychiatrie. Mal ist es ein "Mangel an Beweisen" oder mal sind es besondere Umstände, die zu einer Freilassung führen.
Bekannte Beispiele sind: Abdulqaadir A. (17.1.2019 Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt), Hasan A. (11.8.2017 Landgericht [LG] Saarbrücken), Khan A. (8.12.2017 OLG Koblenz), Mahood B. (13.12.2017 OLG Düsseldorf), Ayed-Jef H. (31.1.2018 LG Hamburg), Paul H. (17.8.2017 LG München), Alexander J. (31.1.2018 LG Hamburg), Samir K. (Dez. 2003 OLG Frankfurt), Gabriel David K. (März 2011 Schwäbisch-Gmünd), Ahmed K. (13.12.2018 OLG Celle), Andreas K. (31.1.2018 LG Hamburg), Slim K. (31.1.2018 LG Hamburg), René L. (31.1.2018 LG Hamburg), Abdelghani M. (5.2.2004 LG Hamburg), Ferhad M. (31.1.2018 LG Hamburg), Ghazy M. (31.1.2018 LG Hamburg), Pascal N. (31.1.2018 LG Hamburg), David P. (31.1.2018 LG Hamburg), Anas S. (31.1.2018 LG Hamburg), Babak S. (31.1.2018 LG Hamburg), Michael W. (31.1.2018 LG Hamburg), Magomed Z. (11.2.2016 LG Potsdam),…
So ist es schon vorgekommen, dass ein Angeklagter ein Geständnis abgelegt hat, und dennoch - aus psychologischen Gründen - freigesprochen wurde.
In besonderen Fällen wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft erst gar nicht zum Prozess zugelassen - wegen "Strafklageverbrauchs". So heißt es in Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes: "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden." Dabei rekurrierte die Verfassungsgebende Versammlung auf den antiken Juristengrundsatz "ne bis in idem" Dieses juristische Gebot und Problem stellte sich auch im Fall Donath.
Kein Einzelfall: Terrorverfahren oder Strafklageverbrauch?
Im "Rechtsstaat" darf kein Angeklagter wegen derselben Straftat zweimal rechtskräftig verurteilt werden! Diese scheinbar eindeutige Aussage hat aber ihre Tücken: Durch die mangelnde Aufklärungsleistung der deutschen Sicherheitsdienste werden nicht alle Verbrechen von deutschen Dschihadisten im Ausland bekannt. Kommen sie nach Deutschland zurück, werden sie dann nur wegen der bekannten und nachweisbaren Taten angeklagt.
Wenn dann nach einer Verurteilung weitere Straftaten bekannt werden, kann ein neues Strafverfahren angestrengt werden oder aber die Verbrechen bleiben ungesühnt. Dies hängt davon ab, ob die "neuen" Verbrechen mit den "alten" Verbrechen in einem zusammenhängenden Tatkomplex zu sehen sind oder nicht. Dies wird in jedem Einzelfall mal so und mal anders entschieden.
- Harry Sarfo
"Bilal" alias "Abu Saif" alias Harry Sarfo ist deutscher Staatsbürger ghanaischer Abstammung und wohnte in Bremen-Tenever. Er schloss sich in Syrien dem "Islamischen Staat" an. Angeblich sollte Harry Sarfo einer Sondereinheit für den Häuserkampf zugewiesen werden. Harry Sarfo wurde nach eigenen Angaben auch Zeuge von Hinrichtungen und behauptete, dem "IS" wegen solcher Gräueltaten den Rücken gekehrt zu haben: "Unschuldige Menschen kommen da um ihr Leben. Diese Ideologie und dieser Traum vom Kalifat und vom perfekten Leben stimmt nicht. Das ist einfach totaler Schwachsinn. Totale Lüge. Nichts in dieser Sache ist gerecht. Nicht islamisch und nicht menschlich. Das war für mich wichtig, dass ich das draußen ganz klar sage", erklärte er in einem Interview mit "Radio Bremen" am 16. Juni 2016. Schließlich flüchtete Harry Sarfo über die Türkei zurück in die BRD.
Am 5. Juli 2016 verurteilte ihn der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichtes - nach nur vier Verhandlungstagen - zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren. "Wer sich in einer terroristischen Vereinigung zum Kämpfer ausbilden lässt, der ist kein Mitläufer", stellte das Gericht fest. Er verbüßt seine Haftstrafe in der JVA Oldenburg.
Zwar hatte Harry Sarfo in seinem Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht umfassend über den "IS" ausgesagt, aber dabei seine eigene Rolle gezielt verharmlosend dargestellt. Kurz nach dem milden Urteil tauchte im Oktober 2016 ein Video mit dem Titel "Der Tourismus in Ummah" auf, in dem gezeigt wurde, dass Harry Sarfo im Juni 2015 zumindest indirekt an der Hinrichtung eines Gefangenen in Palmyra beteiligt war, möglicherweise sogar selbst geschossen hatte. In einer entsprechenden Pressemitteilung des Generalbundesanwalts hieß es zum Sachverhalt: "Harry S. feuerte die Schützen durch laute Rufe an. Während der Erschießung hielt er sich am Straßenrand auf, um nicht selbst von einer Kugel getroffen zu werden. Von dort aus zielte und schoss er auf die am Boden liegenden Körper."
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 lehnte das Hanseatische Oberlandesgericht eine Prozesseröffnung ab, da dies - nach dem Urteil vom 5. Juli 2016 desselben Gerichts - einer Doppelbestrafung gleichkäme. In einer Pressemitteilung des Gerichts vom 12. Oktober 2017 wurde festgestellt:
Die nunmehr angeklagten Handlungen des Angeschuldigten, die seine Mittäterschaft bei der Hinrichtung begründen sollen, waren im Jahr 2016 zwar nicht unmittelbar Gegenstand der Anklage, wohl aber der Lebenssachverhalt, in den sie untrennbar eingebettet waren: Schon damals war Gegenstand der Anklage, dass der Angeschuldigte die zur Hinrichtung bestimmten Personen in Kenntnis des ihnen bevorstehenden Schicksals zusammen mit anderen IS-Mitgliedern zum Marktplatz in Palmyra begleitet hatte und während der Hinrichtung als IS-Mitglied mit einer Pistole bewaffnet - und damit keineswegs zufällig oder gar als Unbeteiligter - zugegen war; dieses Geschehen sollte - auch nach der damaligen Anklage - gefilmt und in einem Propagandavideo verwendet werden, wobei sich weitere Filmaufnahmen zu demselben Zweck im Laufe des Tages anschlossen. Dem entsprachen auch die im Urteil vom 5. Juli 2016 getroffenen tatsächlichen Feststellungen.
Der abgeurteilte Sachverhalt umfasst damit bereits die Rolle des Angeschuldigten bei der Hinrichtung im April 2015, die entsprechend dem damaligen Strafverfolgungswillen des Generalbundesanwalts im ersten Prozess auch als mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung des Angeschuldigten gewertet worden ist. Das nachträglich bekannt gewordene Videomaterial lässt diese Rolle des Angeschuldigten zwar in einem anderen Licht erscheinen als nach dem damaligen Ermittlungsstand angenommen, diese neuen Erkenntnisse betreffen dennoch ein- und dasselbe Geschehen verstanden als einheitlicher Lebensvorgang wie die frühere Anklage, mag dieses Geschehen auch aus heutiger Sicht rechtlich anders zu bewerten sein. In Bezug auf denselben, bereits abgeurteilten Lebensvorgang, zu dessen Aufklärung nachträglich neue Beweismittel auftauchen, ist die Strafklage verbraucht und ein erneutes Verfahren ist unzulässig.
Hanseatische Oberlandesgericht
Im März 2018 bestätigte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Entscheidung des Hamburger Oberlandesgerichtes, eine Beschwerde der Bundesanwaltschaft wurde "als unbegründet verworfen". Mittlerweile hat die Bundesanwaltschaft neue Ermittlungen gegen Harry Sarfo aufgenommen: Er soll in Nordsyrien mit anderen Männern zusammen drei Gefangene des "IS" gefoltert haben, bis diese starben.
Anscheinend ist es den deutschen Staatssicherheitsorganen egal, warum und weswegen Harry Sarfo einsitzt, Hauptsache er sitzt lebenslänglich. Sollte es nicht zu einer zweiten Verurteilung durch ein deutsches Gericht kommen, droht Sarfo neues Ungemach. Seine ex-"Brüder" haben dem "Verräter" gedroht, ihn selbst durch ein "Scharia-Gericht" zum Tode zu verurteilen.
- Uğur S.
Uğur S. ist deutscher Staatsbürger türkischer Abstammung. Er wohnt in Mönchengladbach-Rheydt. Er gehört zum Verein Einladung ins Paradies. Zwischen Juli und Ende September 2014 hielt er sich beim "IS" in Syrien auf. Nach seiner Rückkehr an den Niederrhein im September 2014 habe er sich laut Anklage zudem damit gebrüstet, er habe im Kampfeinsatz eine Schussverletzung an der rechten Wade erlitten.
Am 4. Mai 2016 verurteilte ihn die 4. Große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf unter der Vorsitzenden Richterin Bettina Reucher-Hodges zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten. Allerdings sprach ihn das Gericht gleichzeitig vom Vorwurf der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" nach Paragraf 89a des Strafgesetzbuches - aus Mangel an Beweisen - frei: "Es könne "nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit" festgestellt werden, dass sich Ugur S. in Syrien habe ausbilden lassen oder dass er an Kampfhandlungen teilgenommen habe. Möglicherweise habe er sich mit seinem Bekenntnis, er sei ein Gotteskämpfer, nur vor seinen Kumpanen dicke tun wollen. So entpuppte sich seine angebliche "Kampfverletzung" laut der Richterin "als geplatzter Pickel".
Kaum war Uğur S. von diesem Tatvorwurf freigesprochen, meldeten Staatsschützer des Bundeskriminalamts einen bemerkenswerten Fund: In den Akten der sogenannten General-Grenzverwaltung des "IS" fand sich der Personalbogen von Uğur S., der bewies, dass er tatsächlich Mitglied des "IS" war. Zwar sei der Vorname auf diesem Papier etwas falsch geschrieben - "Ukur" statt "Ugur" -, auch im Nachnamen gebe es Abweichungen; aber so etwas sei dem "IS" auch in anderen Fällen passiert. Der Freispruch in diesem Punkt ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Düsseldorf falsch. Am 29. März 2019 wurde Uğur S. erneut festgenommen. Nun streiten sich die Juristen, ob es zu einer Wiederaufnahme des Terrorprozesses kommen sollte oder nicht:
Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hat jetzt erneut ein Verfahren gegen Ugur S. nach Paragraf 89a eingeleitet. Der Einreisebogen sei in diesem Fall "ein wichtiges Beweisstück", sagt Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück. Der Fall ist allerdings juristisch kompliziert, weil S. in der Terror-Geschichte freigesprochen worden ist. Das könnte Strafklageverbrauch sein. Dieser juristische Begriff steht auch für das Verbot, jemanden mehrmals anzuklagen wegen einer Tat, die denselben Lebenssachverhalt betrifft, wie es im Strafrechtsjargon heißt. Die Bundesanwaltschaft soll von den Düsseldorfer Strafverfolgern eingeschaltet werden. Möglicherweise wird Karlsruhe nun ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen S. einleiten. Sein Anwalt Daniel Hagmann sagt dagegen: "Der Freispruch gilt."
SZ
- Adem Yilmaz
"Talha" alias Adem Yilmaz ist türkischer Staatsbürger und gehörte zur so genannten "Sauerlandgruppe". Ab März 2006 absolvierte Adem Yilmaz eine Mudschahed-Ausbildung in dem pakistanischen Trainingslager Mir Ali. Nach der Ausbildung nahm er - zusammen mit Fritz Martin Gelowicz - an zwei Fronteinsätzen teil: Einmal kundschafteten sie ein US-Militärlager aus, beim zweiten Mal waren sie bei einem Raketenangriff auf ein US-Camp dabei. Die US-Justiz wollte Adem Yilmaz wegen der Ermordung zweier US-Soldaten anklagen:
Die Staatsanwaltschaft in New York hatte im Mai 2015 Anklage gegen Adem Y. erhoben, die bis Dienstag der Geheimhaltung unterlag und erst seitdem öffentlich ist (gemeint ist der 4. Februar 2019, G. P.). Die US-Justiz wirft Adem Y. darin vor, an einem Selbstmordanschlag beteiligt gewesen zu sein, bei dem am 3. März 2008 in der ostafghanischen Provinz Chost zwei US-Soldaten getötet und elf weitere verletzt wurden. Der Anklageschrift zufolge soll er außerdem im Jahr 2006 im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet an Angriffen gegen US-Truppen beteiligt gewesen sein.
Der Spiegel
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland plante die Sauerlandgruppe mehrere Anschläge, wurde aber am 4. September 2007 in Medebach-Oberschledorn von der GSG-9 festgenommen. Für sich selbst hätte Yilmaz am liebsten die Todesstrafe per "Kopfschuss", erklärte er großspurig. Im Prozess vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichtes Düsseldorf unter dem Vorsitzenden Richter Ottmar Breidling gab sich Adem Yilmaz dann schon bescheidener: "Es ist mir egal, wie viel Sie mir geben, ob 20 oder 30 (Jahre, Anm. d. Red.). (...) Ich möchte nur, dass das hier vorbeigeht, es ist langweilig." Am 4. März 2010 verurteilte ihn das Gericht zu einer Haftstrafe von bloß 11 Jahren.
Adem Yilmaz hatte seine Haftstrafe in der JVA Butzbach im Oktober 2018 verbüßt, wurde aber nicht entlassen, sondern in Auslieferungshaft genommen, da die US-Regierung seine Auslieferung beantragt hatte, um ihn zu bestrafen. Das Oberlandesgericht Frankfurt lehnte eine Auslieferung an die USA ab, weil es die Gefahr einer Doppelbestrafung sah. Am 4. Februar 2019 wurde Yilmaz als letztes Mitglied der "Sauerlandgruppe" aus der Haft entlassen und noch am selben Tag in die Türkei abgeschoben. Drei, vier Tage nach seiner Ankunft ließen ihn die türkischen Behörden frei.
In jedem dieser Einzelfälle war die richterliche Entscheidung Gegenstand einer kontroversen Debatte. Schließlich kann eine solche Verfahrenseinstellung wegen Strafklageverbrauchs bedeuten, dass Morde oder andere Gewalttaten juristisch nicht wirklich geahndet werden und somit - mit (recht-)staatlichem Plazet - ungesühnt bleiben! Dies ist der kritischen Öffentlichkeit im Einzelfall nur schwer zu vermitteln - vielleicht mit Recht.