Terrorverdächtiger im Asylbewerberwohnheim
Sickern Dschihadisten des Islamischen Staats mit den Flüchtlingsströmen in Europa ein?
Immer mehr Flüchtlinge suchen Schutz und Obdach in Deutschland. An vielen Orten reagieren die deutschen Behörden mit allzu inhumaner Behäbigkeit, um den "Flüchtlingsstrom" bewältigen zu können. Derweil versuchen rechte "Rattenfänger" an geplanten Standorten von Flüchtlingsheimen die Ängste der ortsansässigen Bevölkerung zu schüren.
Entgegen der amtlichen Lageeinschätzung wurde nun in einem Asylbewerberheim ein erster islamistischer Terrorverdächtiger festgenommen. Gerade angesichts der gegenwärtigen Kontroversen um die richtige Flüchtlingspolitik, gilt es hier genau hinzuschauen: Der Terrorverdächtige erwies sich bloß als "kleiner Fisch".
In Medien werden Terrorängste geschürt
Als der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos am 8. März 2015 damit drohte, Mitglieder des Islamischen Staates in Flüchtlingsströmen nach Deutschland zu schicken, wurde diese Drohung noch nicht allzu ernst genommen. Zu offensichtlich war die propagandistische Absicht auf die deutsche Bundesregierung Druck auszuüben, um die EU-Verhandlungen über eine Umschuldung im griechischen Sinne zu beeinflussen.
Drei Monate später schien sich die Lage geändert zu haben: Am 29. Juni 2015 behauptete Alfred Hackensberger in der Welt, das nächste große Schlachtfeld für die Kämpfer des "Islamischen Staates" sei Europa. Dschihadisten würden aus dem Nahen Osten oder Ostafrika über Bosnien, Norwegen oder Schweden nach Deutschland einsickern:
Doch nun scheint es, als bereite der IS zusätzlich eine neue Strategie vor: Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass er systematisch arabische Kämpfer nach Europa schleust. Offenkundig gründen sie Netzwerke. Und es ist sicher, dass sie Krieg wollen. Der IS weitet den Krieg auf Europa aus. (…)
200.000 syrische Flüchtlinge sind bislang nach Europa gelangt, und unter sie haben sich zahlreiche Mitglieder des IS gemischt, (…).
In der Führungsriege des IS sitzen auch ehemalige Offiziere des Baath-Regimes von Saddam Hussein. Sie wurden im damaligen Ostblock, viele in der DDR, ausgebildet.
Die Welt
Als Kronzeugen benannte Hackensberger einen Kamal, der aus dem syrischen Aleppo stammt und seit einem Jahr in Deutschland lebt:
Kamal kennt solche Typen. Als er nach seiner Ankunft in Deutschland im Aufnahmelager Eisenberg in Thüringen unterkam, war da eine Gruppe von fünf Syrern. (…)
Wegen ihrer ungewöhnlichen Art des Gebets habe er Verdacht geschöpft. Wie beim IS üblich, hätten sie mit erhobenem Zeigefinger gebetet, dem Symbol für den einen Gott und seinen Staat. Die vor der Brust verschränkten Arme sieht man häufig bei Salafisten, ebenso die Sitte, beim sitzenden Gebet nur ein Bein unterzuschlagen.
Aber die Nachbarn tun alles, um ihre Identität geheimzuhalten. Doch eines Tages trinken sie ein Bier mit Kamal - für Muslime ist Alkohol verboten, und Islamisten trinken darum höchst selten. "Sie waren augenblicklich besoffen. Da sprudelte es aus ihnen heraus", erzählt Kamal amüsiert. Man habe ihnen befohlen, nach Deutschland zu kommen und hier politisches Asyl zu beantragen, erklären sie ihm. Hier müssten sie nun auf weitere Befehle aus Syrien warten.
Bis vor einigen Wochen war Kamal mit den fünf über Facebook in Kontakt. Als er jedoch einen kritischen Artikel über den IS postete, hätten sie ihn sofort von ihrer Freundschaftsliste gestrichen. "Mittlerweile sind alle ihre Konten gelöscht", sagt Kamal. "Ich kann digital keine Spur mehr von ihnen finden, nicht von einem Einzigen.
Die Welt
Angesichts dieser scheinbar bedrohlichen Erkenntnisse wollte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke genaueres wissen und stellte ein parlamentarische Anfrage (Drucksache 18/5615), die am 4. August 2015 vom Bundesinnenministerium beantwortet wurde. Die Bundesregierung bestritt die Darstellung der "Welt" entschieden:
Jedoch liegen der Bundesregierung keine belastbaren Hinweise vor, wonach sich IS-Mitglieder gezielt unter Flüchtlinge und/oder Asylsuchende mischen bzw. sich selber als solche ausgeben, um einen Aufenthaltsstatus in Deutschland oder anderen europäischen Ländern zu erlangen. Auch liegen keine bestätigten Erkenntnisse zum Aufenthalt von IS-Mitgliedern oder Sympathisanten in deutschen Flüchtlings- oder Asylaufnahmeeinrichtungen vor.
In nur wenigen Fällen haben sich in der Vergangenheit auch Mitbewohner der Aufnahmeeinrichtungen mit einem Hinweis auf IS-Zugehörigkeit direkt an die Strafverfolgungsbehörden gewandt, dies mitunter in denunziatorischer Absicht. Eine IS-Zugehörigkeit konnte bislang nicht bestätigt werden.
Gleichwohl kann eine Nutzung von Schleusungsrouten und eine Einschleusung von Terroristen in größeren Flüchtlingskontingenten nicht ausgeschlossen werden. (…) Die Bundessicherheitsbehörden gehen davon aus, dass der IS im Bundesgebiet derzeit über keine operativ handlungsfähigen, hierarchisch organisierten Strukturen verfügt.
Angesichts der derzeitigen Notlage in der Flüchtlingspolitik warnte die Bundestagabgeordnete Ulla Jelpke vor einer fragwürdigen Berichterstattung:
Meldungen der Tageszeitung DIE WELT, wonach sich IS-Kämpfer zur Einschleusung nach Europa gezielt unter Flüchtlinge gemischt haben, kann die Bundesregierung nicht bestätigten. Damit erscheinen solche reißerischen Medienberichte eher als ein Versuch der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Denn diese sehen sich zu Unrecht unter Islamismusverdacht gestellt, selbst wenn sie in Wahrheit auf der Flucht vor dem dschihadistischen Terror in ihren Heimatländern sind.
Ulla Jelpke
Also alles nur eine Presseente? Keineswegs, denn die Antwort der Bundesregierung, es gäbe keine Terrorverdächtigen in den Asylaufnahmeeinrichtungen, war schon am Tag ihrer Veröffentlichung überholt. Denn noch am selben Tag wurde der erste IS-Sympathisant in einem Asylbewerberheim festgenommen.
Der Fall Motchou
Ayoub Motchou ist marokkanischer Staatsbürger, der zuletzt in Spanien lebte. Im Februar 2015 reiste er in die Bundesrepublik ein und tauchte - unter Angaben von falschen Personalien - in der Landesweiten Erstaufnahmestelle (LEA) in Karlsruhe (Baden-Württemberg) unter, bevor er in ein Asylbewerberheim im Landkreis Ludwigsburg verlegt wurde. Aber im Verlauf der letzten Monate muss er noch einmal nach Spanien zurückgekehrt sein. Denn als seine Lebensgefährtin Anfang Juli festgenommen wurde, soll er - so melden es die spanischen Medien - erneut nach Deutschland geflohen sein.
Motchou gilt als Terrorverdächtiger. Worauf sich der Verdacht begründet, ist unklar. Öffentlich wurde lediglich bekannt, dass der Zwanzigjährige Anfang Juli 2015 über die sozialen Medien im Internet gedroht haben soll, Terroranschläge in Spanien oder gegen spanische Einrichtungen durchzuführen. Andererseits kündigte er an, nach Syrien ausreisen zu wollen, so dass unklar blieb, was er denn nun tatsächlich vorhatte.
Außerdem hat Motchou eine Lebensgefährtin, gegen die ebenfalls Terrorverdacht besteht. Am 7. Juli 2015 wurde Silvia Celestino Carrasco in ihrer Wohnung in Arrecife auf Lanzarote festgenommen. Sie soll über Whatsapp und Telegram versucht haben, junge Mädchen für den Islamischen Staat anzuwerben. Dazu stand sie mit Mohamed El Amin und Ismael Noran vom Islamischen Staat in Syrien in Kontakt. Allerdings waren ihre Rekrutierungsbemühungen in keinem einzigen Fall erfolgreich. Ihre Festnahme führte die spanische Brigada General de Información der Nationalpolizei auf die Spur von Ayoub Motchou.
Aus Angst vor seiner Festnahme flüchtete Ayoub Motchou über Barcelona erneut ins Ausland. Daraufhin stellte Pablo Ruz, Ermittlungsrichter der Audiencia Nacional in Madrid, einen Europäischen Haftbefehl aus. Es wurde nicht bekannt, wie die Behörden Ayoub Motchou auf die Spur kamen. Am 4. August 2015 wurde er in Stuttgart durch das Mobile Einsatzkommando der Polizei festgenommen. Zuvor war er mehrere Tage observiert worden. Dazu arbeitete das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit den spanischen Geheimpolizeien Comisaría General de Información (CGI) und Brigada Provincial de Información (BPI) in Barcelona zusammen.
Das Amtsgericht Stuttgart erließ eine Festhalteanordnung. Nun muss das Oberlandesgericht Stuttgart über eine Ausweisung nach Spanien entscheiden. Derweil wehrt sich Ayoub Moutchou gegen eine Abschiebung nach dem so genannten "vereinfachten Verfahren" gemäß der europäischen Asylverfahrensrichtlinie vom 26. Juni 2013. Daher wird der Fall die deutsche Justiz und die Medien in den nächsten Wochen weiter beschäftigen.
Nach Angaben des Landesinnenministeriums in Stuttgart handelt es sich um einen "sehr speziellen Einzelfall". Eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes erklärte dazu erneut, es gebe keine Hinweise darauf, dass Terroristen als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland einreisten.
Mehrere rechtsgerichtete bzw. islamfeindliche Medien haben über den Fall Motchou berichtet. Dabei hielten sie sich mit diskriminierenden Bewertungen bisher zurück, sondern beschränkten sich auf die bloße Wiedergabe der Agenturmeldungen.
Aktuelle Bedrohungslage
Voraussichtlich 500.000 Flüchtlinge werden dieses Jahr in die Bundesrepublik einreisen. Wann ein zweiter und dritter Terrorverdächtiger enttarnt wird, bleibt abzuwarten. Laut Einschätzung der deutschen Sicherheitsorgane leben in der Bundesrepublik mindestens 7.700 militante Islamisten, davon werden über 260 als "Gefährder" eingestuft. Angesichts der Größe dieses Personenkreises hat es der "Islamische Staat" kaum nötig, Attentäter mit den Flüchtlingsströmen in die BRD einschleusen. Außerdem weist die dschihadistische Szene ohnehin seit Jahren einen starken Reiseverkehr zwischen der BRD und den europäischen Nachbarländern auf. Durch den Entzug des Reisepasses soll diese Personalfluktuation jetzt eingedämmt werden.
Derweil dauert die "abstrakte Bedrohung" durch islamistischen Terrorismus an. In den vierzehn Jahren seit dem "Elften September" haben präpotente Gotteskrieger dutzende Drohungen gegen die Bundesrepublik ausgesprochen. Die letzte Drohung stammt von dem pummeligen Dschihadisten Mohammed Mahmoud aus Wien. Am 5. August 2015 veröffentlichte er zusammen mit Yamin A. Z. aus Deutschland das Propagandavideo "Der Tourismus der Umma". Darin drohte Mahmoud: "Oh Merkel, du schmutzige Hündin: Wir werden uns rächen für die Beschimpfung des Propheten. Wir werden uns rächen für das Blut, das ihr vergossen habt von den Muslimen in Afghanistan. (…) Wir werden uns rächen für die Waffenlieferung an die Abtrünnigen hier im Islamischen Staat. Unsere Rache wird bei euch vor Ort sein!"