Test für Raketenabwehrschild gescheitert
Rückschlag für das ehrgeizigste Rüstungsprojekt der USA, das bereits ab nächstem Jahr eingeführt werden soll
Es ist das wohl teuerste und größte Projekt des Pentagon - und zudem noch immer das wichtigste Rüstungsprojekt der US-Regierung (Bush-Regierung ist mit der Rüstungsindustrie verfilzt). Schon ab nächstem Jahr sollen erste Systeme des Abwehrsystems für Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen in Alaska und auf Schiffen installiert werden, um es dann nach und nach "evolutionär" aufzubauen. Zudem sollen auch die Freunde und Alliierte unter das Raketenabwehrschild schlüpfen, um es so wirksamer und auch finanzierbarer zu machen. Doch jetzt ist erneut ein Test fehlgeschlagen.
Gestern wurde eine SM-3-Rakete des seegestützten Systems Aegis zwei Minuten nach dem Abschuss einer Aries-Zielrakete von der Pacific Missile Range Facility auf Kauai abgeschossen. Bei dem seegestützten Bestandteil des Ballistic Missile Defense System hatte man bislang drei Mal die Zielrakete mit dem "exo-atmospheric kill vehicle" zerstören können. Doch dieses Mal wurde das Ziel nicht getroffen. Der letzte Test im Dezember 2002 mit einer Rakete, die vom Land gestartet wurde, war auch gescheitert, da sich das "kill vehicle" nicht von der Trägerrakete gelöst hatte.
Das von der Bush-Regierung massiv auch nach dem 11.9. vorangetriebene Raketenabwehrsystem soll die USA, aber auch befreundete Länder vor Langstreckenraketen sichern. Wenn irgendwo auf der Welt eine solche Rakete abgeschossen wird, so die Theorie, dann wird dies registriert und innerhalb von Minuten eine Abwehrrakete abgeschossen, die die angreifende im Flug mittels visuellen und Infrarot-Sensoren erkennen, treffen und zerstören soll ("hit-to-kill"). Für die Zukunft wird auch an andere Technologien wie weltraum- oder luftbasierte Laserwaffen gedacht. Zum Raketenabwehrsystem gehört auch das Patriot-System.
Die Entwicklung und der Aufbau des Raketenabwehrsystems wird Hunderte von Milliarden Dollar kosten. Sensoren und Frühwarnsysteme müssen in der Luft, auf dem Meer, im Weltraum und auch in anderen Ländern installiert werden. Wie Bush in seiner National Security Presidential Directive/NSPD-23 vom Dezember des letzten Jahres festhielt, sollen auch andere Länder in den Genuss dieses zentralen Bestandteils der strategischen Neuorientierung im Hinblick auf künftige Gefahren kommen, auch wenn die Idee aus dem Kalten Krieg, also dem Star Wars Programm von Ronald Reagan stammt. Das Scheitern des Tests könnte den Werbebemühungen bei befreundeten Ländern für eine Teilnahme am Raketenabwehrsystem möglicherweise ein wenig schwieriger machen (Die große Mauer).
Allerdings geht die Kritik an dem teuren System, das auch in den USA umstritten ist, wesentlich tiefer. Experten sind der Meinung, dass es grundsätzlich die Versprechungen, die im Pentagon gemacht werden, nicht halten kann (Raketenabwehr schießt scharf). Auch die als erfolgreich verkauften Tests fanden unter höchst idealisierten Bedingungen statt. So sind Abschussort und -zeit der "gegnerischen" Rakete ebenso bekannt wie deren Flugrichtung. Besonders unrealistisch ist bei den Tests, dass jeweils nur ein Ablenkungsobjekt verwendet wird, zudem ist die Form der Sprengkopfattrappe und des Ablenkungsobjekts in Form eines Ballons bekannt. In Wirklichkeit dürften die Gegner, wenn sie das Raketenabwehrsystem überlisten wollen, Hunderte von Störobjekten aussetzen, um die Zielerkennungssysteme des "kill vehicle" durcheinander zu bringen. Zudem könnten Raketen mit mehreren Sprengköpfen verwendet werden. Als Folge würde das bislang entwickelte System weitgehend unwirksam sein und müsste die neue Ausrichtung daraufhin zielen, die gegnerischen Raketen schon in der Abschuss- und Aufstiegsphase zu zerstören.
Im April erst erklärte General Kadish, der Direktor der Missile Defense Agency, dass die Entwicklung des Raketenabwehrsystems wie gewünscht voranschreite. Man habe zwar organisatorische und technische Probleme gehabt, aber zeigen können, dass die "kill-and-hit"-Technologie funktioniere, die Sensoren die Ziele erkennen und die Programme Sprengköpfe, einfache Attrappen und Müll unterscheiden können.
Update: Bei der Missile Defense Agency will man naturgemäß den Test nicht einfach nur als gescheitert betrachtet wissen. So erklärte Chris Taylor, ein Sprecher der MDA: "Ich würde es nicht als gescheiterten Test sehen, weil der Abschuss nicht das primäre Ziel gewesen ist. Es wird noch immer als Erfolg betrachtet, weil wir eine große Menge an ingenieurtechnischen Daten gewonnen haben. Wir wissen einfach nicht, warum sie nicht getroffen hat." Das ist eine vorbildliche Argumentation, wie man letztlich alles als "Erfolg" verkaufen kann. Lernen kann man tatsächlich anhand eines jeden Misserfolgs.