Teure Nahrungsmittel

Die Gründe der Nahrungsmittelkrise reichen in die Geschichte zurück, trotz Warnungen werden von Weltbank, FAO oder WTO aber keine grundsätzlichen Änderungen erwogen

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In einem Radio-Interview in den USA wurde ich gefragt, was der US-amerikanische Präsident tun könne, um den indischen Bauern zu helfen. Es war eine Life-Sendung und meine Antwort lautete: „Lasst und am besten in Ruhe.“ Wenn sich Europa und die USA nicht länger bei uns einmischen würden, könnten wir die indische Landwirtschaft wieder so entwickeln, dass sie zu einem Modell würde, zu einem Vorbild für andere. Aber Europa und die USA hindern uns daran: Mit ihrer Handelspolitik, mit ihren Geldgeberorganisationen, mit ihren multinationalen Konzernen und mit ihren Versicherungsgesellschaften.

Devinder Sharma

Der indische Agrarexperte Devinder Sharma spricht aus, was viele Kleinbauern in den Ländern Afrikas, Asien und Lateinamerikas denken. Dort stellen sie in vielen Ländern noch die Mehrheit der Bevölkerung – so leben etwa mehr als die Hälfte der 1,1 Milliarden Inder noch von der Landwirtschaft. Zum Vergleich: In Europa und den USA sind es noch 3 Prozent. Die Probleme der vielen hundert Millionen Kleinbauern sind auch ein wichtiger Grund für die derzeitige Nahrungsmittelkrise.

Etwa 80 Prozent ihres Einkommens müssen die Armen in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern ausgeben, um ihre alltägliche Nahrung zu bezahlen. Seit Beginn des neuen Jahrhunderts haben sich die Preise für Milchprodukte, pflanzliche Öle und Fette und vor allem für Getreide mehr als verdoppelt. Mit gravierenden Auswirkungen: Viele können sich Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Weizen nicht mehr leisten.

Galten bisher schon 850 Millionen Menschen weltweit als unterernährt – die letzten Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) stammen aus dem Jahr 2005 –, dürfte die Zahl im vergangenen Jahr noch einmal drastisch gestiegen sein. Die Folge davon waren Hungerrevolten in mehr als 30 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Selbst die Weltbank und der Internationale Währungsfonds warnen deshalb inzwischen vor dem Preisanstieg für Nahrungsmittel. Der Sturz der Regierung in Haiti war das bislang spektakulärste Indiz, das sich aus der weltweiten Nahrungsmittelkrise entwickelt hat. Die Weltbank hat daraufhin ein Hilfspaket über 500 Millionen Dollar vorgeschlagen - ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn ansonsten – daran gibt es keinen Zweifel – soll an der bisherigen Politik festgehalten werden.

Als Ursache für die Ernährungskrise nennen die internationalen Finanzinstitutionen selbst den erhöhten Bedarf an Fleisch- und Milchprodukten in einigen Schwellenländern wie China und Brasilien – und den sogenannten „Biosprit“. So weit, so richtig. Aber es gibt noch andere Gründe, und einige davon reichen weit in die Geschichte zurück. Sie beginnen mit der kolonialen Zurichtung der Wirtschaft vieler Länder des Südens, mit der immer größere Sektoren der dortigen Landwirtschaft gezwungen wurden, sich an der Nachfrage in den Kolonialmächten zu orientieren – und nicht an der ihrer eigenen Bevölkerung.

Als die Kolonien endlich ihre politische Unabhängigkeit erkämpft hatten, sorgten IWF und Weltbank mit ihren Strukturanpassungsprogrammen und internationalen Abkommen dafür, dass die Agrarproduktion dieser Länder mehr und mehr industrialisiert wurde, um sogenannte Cash-Crops für den Export in die Industrienationen anzubauen. Eine Politik, die bis heute euphemistisch als sogenannte „Grüne Revolution“ bezeichnet wird, aber fatale Auswirkungen hat. Zwar gab es vorübergehende Produktivitätssteigerungen, aber der Einsatz importierter Pestizide und Kunstdünger hat die Böden und das Grundwasser nachhaltig verseucht.

Was für die Agrarindustrie in Europa und den USA, aber auch für die Großgrundbesitzer in den betreffenden Ländern zu einem lukrativen Geschäft wurde, entpuppte sich vor allem für die Bauern dort als Bürde: Die ausgelaugten Böden verlangten nach immer mehr Kunstdünger, die mittlerweile resistenten Schädlinge nach immer teureren Pestiziden aus den Labors von Bayer, DuPont, Syngenta und anderen Pharmakonzernen, die mit der Abhängigkeit ihrer Kunden immer größere Profite machten und nebenbei noch Produkte verkaufen, die hierzulande längst nicht mehr auf dem Markt erhältlich sind. Die Bauern stürzten in eine Schuldenkrise, die bis heute anhält (Neue Hoffnung für Indiens Bauern?). Viele verkauften ihr Land und zogen auf der Suche nach Arbeit in die Slums der Großstädte. Weil sich diese Hoffnung nicht erfüllte, nahm in den 90er Jahren die Zahl der Selbstmorde unter Bauern drastisch zu.

In den letzten Jahren sind auf Betreiben der Welthandelsorganisation nahezu alle Agrarprodukte zu globalen Waren geworden. Der Handel mit Nahrungsmitteln ist heute weitgehend vom Interesse nach Profitmaximierung bestimmt. Die Verknappung der Agrarprodukte hat die hemmungslose Spekulation weiter verschärft. Aber weder am freien Markt für Lebensmittel, noch an der Produktion des sogenannten Biosprits und der Exportorientierung der Agrarproduktion soll gerüttelt werden. Im Gegenteil: Die Weltbank kritisiert die Regierungen in Indien und China, weil sie wegen der Nahrungsmittelknappheit ein kurzfristiges Exportverbot für Reis verhängten. Auch die Welternährungsorganisation – die einstmals als Stimme der Kleinbauern galt – setzt inzwischen auf eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft, auf noch mehr Welthandel, auf künstliche Bewässerung und auf neues Saatgut, das in den Labors der Konzerne entwickelt wurde, um damit Gewinne zu machen und die verarmten Bauern in weitere Abhängigkeit zu treiben. Vorstände von Lebensmittelkonzernen wie Peter Brabeck von Nestlé sind der Ansicht, nur Gentechnik könne heute noch die Welt vor Hunger bewahren.

Am 17.April haben - von den hiesigen Medien nicht wahrgenommen - in Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa viele Kleinbauernorganisationen, Landlose und Nichtregierungsorganisationen gegen diese Politik demonstriert. Im Aufruf von La Via Campesina – einer Art internationalem Dachverband der Kleinbauernverbände - heißt es: „Nachdem sie die Kleinbauern enteignet haben, pressen sie jetzt die Konsumenten mit hohen Weltmarktpreisen für Lebensmittel aus“. Das Gegenkonzept heißt „Ernährungssouveränität.“

Jede Region in der Welt soll danach wieder in die Lage versetzt werden, ihre ansässige Bevölkerung gesund und ausreichend mit eigenen Produkten zu ernähren – ohne Giftcocktails und Gentechnik. Ernährungssouveränität, so hieß es in einer gemeinsamen Deklaration zahlreicher Bauernorganisationen, die im vergangenen Jahr auf einem internationalen Forum in Mali verabschiedet wurde (http://www.nyeleni2007.org/?lang=en&lang_fixe=ok), stelle die Menschen, die Lebensmittel erzeugten, verteilten und konsumierten, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht anonyme Märkte und die Profitinteressen transnationaler Konzerne.

Mit ihrer Kritik stehen die Kleinbauern nicht alleine: Ende März hat der Weltagrarrat IAASTD in London einen Expertise vorgelegt. Darin werden eine schnelle Neuausrichtung der weltweiten Landwirtschaft und eine Begrenzung der Macht der Agrarkonzerne gefordert. Und der französische Agrarwissenschaftler Marcel Mazoyer, Autor des Standardwerkes „Histoires des agricultures du monde“, einer Weltgeschichte der Landwirtschaft, ist sich sicher, dass heute 10 Milliarden Menschen ernährt werden könnten. Dafür würden die bestehenden Landreserven ausreichen. Sie könnten ohne künstliche Bewässerung und ohne weitere Waldrodung bebaut werden. Sie würden ohne Gentechnik und Pestizide auskommen. Allerdings, so gibt er zu bedenken, gäbe es dann keine Anbauflächen mehr für Energiepflanzen.

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