The World of Oz

Interview mit Joe Bates, Carnegie Mellon University (CMU)

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Joe Bates gilt als Erfinder eines neuen Konzepts von intelligenten Agenten, den sogenannten "believable agents". In seiner interdisziplinären Forschungsgruppe vereint er Computerwissenschaftler, Zeichentrickanimateure und Theaterleute und verläßt so den konventionellen Rahmen der KI. Dieses Konzept scheint, wie am Programm der diesjährigen Siggraph erkennbar, schon zahlreiche Nachahmer gefunden zu haben. Armin Medosch sprach mit ihm beim MAAMAW 96 Workshop.

Vorbemerkung: Joe Bates ist Leiter des World of Oz Forschungsprojektes an der Carnegie Mellon Uiversity. In einer interdisziplinären Forschungsgruppe wird versucht, interaktive Dramen im Rahmen von Computersimulationen zu realisieren. Die Simulationen werden von dynamischen und komplexen Charakteren bewohnt. Menschen können über Stellvertreter mit diesen Charakteren interagieren. Eines der Ziele ist es, eine höhere Form von Interaktivität zu erreichen. Während die konventionelle Interaktivität wie z.B. in Form von Hypertext nur eine Auswahl aus vorgegebenen festen Strukturen ermöglicht, ist in "World of Oz" auch das Storykonzept selbst der Veränderung durch Interaktion unterzogen.

A.M.:Wie würden Sie Agenten definieren?

J.B.:Der Begriff "Agenten" hat viele Bedeutungen. Die Bedeutung, an der wir interessiert sind, ist, wie kann ich autonome Charaktere bauen, Charaktere, die selbständig handeln, wobei die Qualitäten, an denen wir interessiert sind nicht im eigentlichen Sinn mit Intelligenz zu tun haben, - das war eine Fragestellung der traditionellen KI - sondern mit Persönlichkeit und Charakter und mit dem, was Künstler "Glaubwürdigkeit" nennen. So wie die Animateure von glaubwürdiger Animation sprechen, in diesem Sinn versuchen wir Agenten zu bauen.

A.M.:Welche Qualifikationen haben Sie in Ihrem Team vereint?

J.B.:Wir glauben, daß die Zusammenarbeit mit Künstlern für uns von sehr großer Bedeutung ist. Deshalb arbeiten wir mit Leuten aus der Theaterabteilung von CMU zusammen, denn Schauspielen hat sehr viel mit Animation zu tun, indem Ideen durch bewegungen und Worte ausgedrückt werden. Wir arbeiten auch mit Animateuren zusammen, die in traditioneller Charakteranimation ausgebildet sind, im Stile von Disney oder einem ähnlichen Stil. Und dann arbeiten wir auch noch mit Musikern und Vertretern anderer Kunstgattungen, wenn wir sie brauchen.

A.M.:Könnten Sie mir etwas von ihrem Projekt "World of Oz" erzählen?

J.B.:Unser Ziel ist es, interaktive Erfahrungen zu ermöglichen. Das kann eine VR-Erfahrung sein, es kann aber auch eine grafische 2D Welt sein oder eine textbasierte Welt. Konzeptuell ist es jedoch immer eine simulierte Welt. In den meisten simulierten Welten, die es gibt, gibt es keine Menschen, keine wirklichen Charahtere, z.B. Flugsimulatoren oder Simulatoren für Autorennen. Wir denken aber, daß das wichtigste Element in Film und Theater nicht die Szenerie oder die Objekte sind. Deshalb versuchen wir Welten herzustellen, die von glaubwürdigen, autonomen Charakteren belebt sind und welche eine dramatische Story-Intensität aufweisen. Das Leben ist irgendwie langsam, manche Tage sind lustig, andere langweilig. Wir wollen sicher gehen, daß die Geschichte Intensität hat, daß sie Höhepunkte und Momente der Entspannung aufweist. Das letzte System, das wir gemacht haben, war ein animiertes visuelles System mit 3 Charakteren, die autonom sind und einem Charakter, der vom User kontrolliert wird und alle zusammen interagieren in einem Raum.

A.M.:Wie würden Sie Agenten in einem breiteren Spektrum definieren?

J.B.:Wenn man sich die KI-Literatur ansieht, so gibt es wirklich viele verschiedene Definitionen. Eine Definition könnte ein Roboter sein, ein physischer Roboter, oder es könnte ein Etwas im Netz sein, das man kontaktiert, um eine bestimmte Information zu finden und zurückzubringen. Man kann sich auch die Art von Kreaturen vorstellen, die wir machen und es wäre auch ein Konzept von Agenten in Erwägung zu ziehen, wie sie Marvin Minsky in seinem Buch "The society of the Mind" beschrieben hat. Er sagte, der "Geist" einer individuellen Person ist aus vielen kleinen Teilen zusammengebaut. Er nannte diese Teile Agenten. Man sieht also, manchmal kann mit "Agent" ein kompletter menschlicher Geist gemeint sein, ein andermal nur ein winziges Element des menschlichen Geistes.

A.M.:Glauben Sie, daß eine Kombination von Agenten, die verschiedene Aufgaben ausführen, gemeinsam Künstliche Intelligenz erzeugen könnten?

J.B.:Im Prinzip gehöre ich zu den Leute, die glauben, daß Geist mechanisch ausgedrückt werden kann und deshalb halte ich es auch für möglich, daß eine Ansammlung kleinerer Einheiten von einer bestimmten Beschaffenheit sich zu einer größeren Einheit zusammenfügen kann und um der Interaktion willen mögen wir es intelligent nennen oder lebendig oder ähnliches. Das ist auf jeden Fall ein Weg.

A.M.:Aber hat man nicht immer das Problem, daß diese Agenten eigentlich eine Menge an Kontextwissen benötigen würden?

J.B.:Ja, sicher, die Spezialisierteren. Doch indem man sagt, sie wären spezialisiert, meint man auch, sie sind für einen bestimmten Zweck gemacht, d.h. sie sind kontextspezifisch gemacht.

A.M.:Sponsoring für KI-Forschung kommt nun auch aus der Unterhaltungs-Industrie. Was verändert sich dadurch?

J.B.:Ich denke, was sich verändert ist folgendes. Wenn ein Forscher darüber nachdenkt, an einem Problem zu arbeiten, dann ist der erste Schritt immer, zu entscheiden was man studieren will. Meine Art das zu beschreiben ist, daß die Forscher traditionellerweise immer Qualitäten ausgewählt haben, die ihnen an anderen Menschen ihrer sozialen Gruppe wichtig waren. Und "ihre soziale Gruppe" bedeutet "Wissenschaftler". Nun, was nehmen wir an Wissenschaftlern an positiven Eigenschaften wahr? Die Fähigkeit zu lernen, zu denken, intelligent zu sein, zu planen, analytische Fähigkeiten...und wenn man sich die KI ansieht, dann entdeckt man viele Untergebiete, die mit Begriffen wie diese bezeichnet werden. Das ist also eine ganz bestimmte Abstraktion des Menschen - die Abstraktion der Intelligenz.

Aber es gibt auch noch eine ganz andere Wahl, die man treffen könnte. Eine Wahl, die ein Künstler treffen würde, wäre vielleicht die Entscheidung für die Gefühle von Personen, die Beziehungen, die sie zu anderen Menschen unterhalten, ihre Persönlichkeit, ihre Ängste, ihre Hoffnungen usw., Gefühle, Träume, persönliche Dinge. Das gibt uns also die Möglichkeit und ermutigt uns Eigenschaften von Menschen zu studieren, die von ganz vielen Menschen als interessant oder wichtig angesehen werden.

A.M.:Verlangt die Entertainment Industrie nicht nach schnellen Lösungen, verkäuflichen Produkten?

J.B:Ja, natürlich gibt es diese praktischen Erfordernisse. Aber einige Firmen aus der Unterhaltungsindustrie haben auch eine Langzeitperspektive auf die Dinge, wie z.B. Philips, oder einige japanische Firmen oder auch Pixar, die "Toy Story" gemacht haben und an den wesentlichen Problemen dahinter seit 10-15 Jahren arbeiten.

A.M.:Welche übergeordneten wissenschaftlichen Ziele verfolgen sie mit Ihrer Arbeit?

J.B.:Ein wichtiger Punkt, den wir mit unserer Arbeit zu setzen versuchen, ist zu sagen "Kunst ist genauso wichtig wie Wissenschaft". Wir möchten nicht nur höhere wissenschaftliche sondern auch höhere künstlerische Ziele erreichen. Ich persönlich bin auch an einigen wissenschaftlichen Zielsetzungen interessiert und eines der Themen, das sich philosophisch stellt, ist, wenn wir von einem Geschöpf sprechen, wieviel an diesem Geschöpf ist objektiv und steckt in der Kreatur und wieviel davon ist subjektiv und im Betrachter, im Publikum. Wenn die Leute an traditionellen Problemen der KI arbeiten, dann denken sie für gewöhnlich sehr stark in diesem Rahmen der Objektivität. Sie versuchen die Macht ihrer Geschöpfe zu messen, objektiv, numerisch. Wenn man aber über Glaubwürdigkeit nachzudenken beginnt und wie das Publikum einen Charakter wahrnimmt, dann entsteht wirklich die Frage, wieviel in einem Charakter sein muß und wieviel im Publikum und wieviel in der Beziehung zwischen ihnen. Dann geraten wir also mitten in eine philosophisch wissenschaftliche Frage über das Wesen der Realität und was die Quelle des Lebens ist, ist das Leben im Betrachter oder in der betrachteten Kreatur. Ich bin persönlich davon überzeugt, daß Wissenschaft, Kunst und Philosophie wesentlich enger miteinander verschaltet sind, als das in KI-Lehrgängen normalerweise gelehrt wird. Deshalb glaube ich, daß der wirkliche Durchbruch kommen wird, wenn wir diese Verbindungen zwischen allem untersuchen.

A.M.:Doch die Werkzeuge, die Sie benutzen, sind immer Computerwerkzeuge, d.h. sie müssen immer eine Formalisierung vornehmen und ein Ganzes in kleinere Teile aufspalten.

J.B.:Die Idee der Formalisierung ist wirklich eine sehr subtile Frage. Es ist richtig, daß wir unsere Systeme aus kleinen Einheiten aufbauen. Doch diese kleinen Einheiten interagieren auf eine sehr komplexe Art miteinander und es ist uns im allgemeinen nicht möglich ihr Verhalten vorherzusagen. Das ist es, worum es bei Chaos geht. Die Komplexitätstheorie in den Computerwissenschaften sagt ganz geradeheraus, daß auch das Verhalten einfacher mechanischer Systeme unvorhersagbar ist. Praktisch jede interessante Frage kann nicht von Computern entschieden werden. Es ist also wahr, daß es sich um formale Modelle handelt, aber wir können nicht sagen, daß wir viel über diese Modelle wissen. Wir machen also ein Ding, das von vorneherein ziemlich durcheinandergeraten ist und dann schalten wirs ein und irgendwas passiert. Die Leute glauben, "formal" bedeutet verständlich, doch das ist es nicht.