"There is No Business like Shoah Business"
Wer Opfer sieht, wo keine sind, erfindet Täter - Götz Alys irrer Antisemitismus-Vorwurf an die Zuckerberg-Kritiker
"There is No Business like Shoah Business" - dieses Bonmot hörte ich zum ersten Mal bei einem Gespräch mit dem israelischen Dramatiker Jehoschua Sobol, den ich 1984 traf, als sein Stück "Ghetto" in Berlin inszeniert wurde. Darin geht es um die Konfrontation zwischen linken und rechten Juden im Ghetto Vilnius (bzw. im aktuellen Israel), und nach dem Interview sprach ich ihn noch auf einige weitere Werke zum Thema Antisemtismus und der Shoah an. Und Sobol sagte so etwas wie "Oh, that is not my thing, you know, that’s Shoah-Business."
Ich runzelte zuerst die Stirn, weil ich Show-Business verstanden hatte, aber dann fiel der Groschen. Wir lachten und sprachen dann noch über die künstlerischen Möglichkeiten, die ideologische Instrumentalisierung des Holocaust zu überwinden, und den rechten, militaristischen Zionismus zugunsten eines demokratischen, zivilen Israel.
Dass zuviel "Shoah-Business" in der Tat zu völliger Betriebsblindheit führt, demonstrierte unlängst Götz Aly, als er Kritikern der 45-Milliarden -"Stiftung" des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg Antisemitismus vorwarf, obwohl sie in ihrem Artikel irgendein Judentum des sich selbst als areligiös bezeichnenden Zuckerberg mit keinem Wort erwähnen.
Doch schon die Hinweise, dass der sich als globaler Wohltäter gerierende Jungmilliardär nicht allein aus philantropischen, sondern aus steuersparenden Gründen handelt - und sein Geschäftsmodell des Datensammelns nicht mit wahrer Menschenliebe zusammenpasst - wertet Aly als antisemitisch und vergleicht sie mit Hitlers "Mein Kampf". Das ist zwar absolut gaga, zeigte aber Wirkung, weil der Historiker Aly einige Bücher über Nationalsozialismus und Judenhass geschrieben hat und als renommierte Autorität gilt.
Der angegriffene SpOn-Kolumnist Sascha Lobo zog denn auch sofort den Irokesen ein, konzedierte in einem langen Blogbeitrag, dass Alys Unfug "nicht völlig aus der Luft gegriffen sei", versprach, künftig "im Kontext des Antisemitismus noch intensiver auf meine Wortwahl und meine Begriffswelten" zu achten, und gelobte sein nachweisliches "Engagement gegen Antisemitismus" noch zu steigern.
Doch weder an der Wortwahl noch an den "Begriffswelten" in Lobos Kolumne ist irgendetwas falsch oder schief, genauso wenig wie in dem Artikel des FAZ-Redakteurs Michael Hanfeld, den Feuilletonchef Jürgen Kaube jetzt in einem offenen Brief an Götz Aly verteidigt hat - und diesen auf die "böse Pointe Ihrer vermeintlichen Entlarvung moderner Antisemiten" verweist: "Nur für Sie, nicht für die von Ihnen Angegriffenen, ist Mark Zuckerberg ein Jude."
In der Tat. Das ist die oben angesprochene Betriebsblindheit, von der Götz Aly nach Jahrzehnten im Shoa-Business ganz offensichtlich befallen ist. Und Juden und Opfer sieht, wo gar keine sind, was dazu führt, dass die zugehörigen "Antisemiten" und "Täter" dann erfunden werden müssen. Gegen solche phantasiebegabten Einbildungen ist ja nichts einzuwenden, in die Zeitung schreiben sollte man sie aber nicht, denn die Denunziation als "antisemitisch" kommt für einen Journalisten in Deutschland der Höchststrafe gleich.
Dass Kollege Aly nicht zimperlich ist, wenn es ans Austeilen geht, ist mir aus den "taz"-Redaktionskonferenzen der 80er noch gut in Erinnerung, ebenso wie seine provokante Oberlehrer-Attitüde, die offenbar immer noch so viel Wirkung zeigt, dass gestandene Kolumnisten sich vor Schreck ins Büßer-Eckchen verziehen - statt auf Aly-Unsinn schlicht mit dem Götz-Zitat zu antworten, wie es angemessen wäre. Auch wenn sich der alte Provokateur Aly jetzt vermutlich ins Fäustchen lacht angesichts dieser Reaktionen, zeigen sie doch nur, wie traurig absurd der Diskurs über Jüdisches mittlerweile in Deutschland geworden ist.
Dass Antisemitismus nicht verurteilenswerter ist als jede Form von Rassismus und Fremdenhass, dass Juden weder historisch noch aktuell die einzigen sind, die solchen Diskriminierungen zum Opfer fielen und sehr wohl (sei es in Gaza, sei es was die Geschäftsmoral betrifft) auch "Täter" sein können - solche rationalen Selbstverständlichkeiten fallen schlicht unter den Tisch, wenn jener rasende Philosemitismus weiter um sich greift, wie ihn "Antideutsche" oder Broder, Jutta Ditfurth und nun auch Götz Aly praktizieren.
Wenn die geschäftlichen Aktivitäten eines Milliardärs Zuckerberg oder Bankiers Rothschild oder von wem auch immer wegen ihrer religiösen Herkunft nicht kritisiert werden können, wenn man Machenschaften der "Finanzeliten" oder "Federal Reserve" nicht benennen kann, ohne mit "Hitler" gleichgesetzt zu werden, dann läuft etwas gehörig schief mit der historischen Verantwortung Deutschlands bei der Bekämpfung von Antisemitismus. Scheindebatten über scheinbare Judenfeinde, "Shoah-Business" mit Hitler- und Holocaust-Keulen helfen nämlich nicht gegen den real existierendem Rassismus und Judenhass, sie machen ihn mit ihren Alles Antisemiten außer Mutti ! - Unterstellungen qua Inflationierung nur unsichtbar.