Thüringen: Machtkampf im NSU-Ausschuss

Seite 2: Manipulationen

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Aber auch handfeste Manipulationen hat es bisher gegeben. Bei den Abschriften einer Telefon- und SMS-Überwachung (TKÜ) aus dem Jahre 1998 zwischen einer Blood and Honour-Führungsfigur aus Chemnitz und einem V-Mann aus Brandenburg, die unter anderem Waffenbeschaffungen erörtert hatten, fehlen die entscheidenden Seiten, die ein Wissen des Verfassungsschutzes belegen würden. Die TKÜ-Protokolle vor und nach den zwei relevanten Tagen sind dagegen vorhanden. Damals war das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe in Chemnitz untergetaucht und bewaffnete sich.

Ein andermal legte das Innenministerium dem Ausschuss eine Liste von Polizeibeamten vor, die an den Lagebesprechungen der SoKo nach dem Auffinden von Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach teilgenommen haben. Dabei fehlte der Name eines Zielfahnders des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen. Er hatte bei den Lagebesprechungen unter anderem erklärt, der Verfassungsschutz habe die drei, also Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, abgedeckt.

Dass dieser Zielfahnder an den Besprechungen teilgenommen hatte, weiß man aus Unterlagen des LKA Baden-Württemberg. Dortige Beamte hatten an den Ermittlungen in Thüringen teilgenommen, weil im Wohnmobil von Eisenach die Dienstpistolen der beiden Polizisten gefunden wurden, die in Heilbronn im Jahre 2007 angegriffen worden waren - die Polizistin Michèle Kiesewetter starb damals. Die Baden-Württemberger hatten jene Aussagen des Thüringer Zielfahnders zum Trio selber protokolliert.

Sowohl das Innenministerium von Baden-Württemberg als auch die Bundesanwaltschaft weigerten sich allerdings, diese Unterlagen dem Untersuchungsausschuss in Erfurt auszuhändigen. Die Bundesanwaltschaft untersagte das mit Hinweis auf den Zschäpe-Prozess in München. Erst nachdem die Akten im NSU-Ausschuss des Bundestages bekannt wurden, erhielt sie auch der in Erfurt.

Machtkampf der Exekutive gegen die Rechte und Möglichkeiten der Legislative

Beispiele des bundesweiten Machtkampfes der Exekutive gegen die Rechte und Möglichkeiten der Legislative im Komplex NSU. Versuche auch, die Regeln der Aufklärung im Sinne der Sicherheitsbehörden zu verändern. Deshalb hat der Vorgang von Erfurt eine grundsätzliche Bedeutung.

Er wirft aber erneut die Frage nach der Motivation auf. Wenn doch die Täterschaft bei allen zehn NSU-Morden so klar, einfach und überschaubar ist, wie es die Bundesanwaltschaft jüngst in ihrem Plädoyer demonstrieren wollte, (die drei Genannten und sonst niemand) warum dann diese fortgesetzten Täuschungen und Behinderungen der parlamentarischen Aufklärung? Warum noch im Jahre 2017?