Tickende Zeitbombe: Russische Öltanker ohne verlässliche Versicherung

Öltanker in russischen Gewässern

Öltanker in russischen Gewässern. Bild: Alexey Bakharev/ Shutterstock.com

Russische Öltanker operieren mit fragwürdigen Versicherungen. Westliche Firmen ziehen sich zurück. Neue russische Anbieter springen ein. Doch wer zahlt im Ernstfall?

Seit der russischen Invasion in der Ukraine ist eine der offenen Fragen auf dem Energiemarkt, wer die Tanker, die Moskaus Erdöl transportieren, gegen das Risiko einer Ölkatastrophe versichert. Die Antwort lautet, dass einige immer noch von westlichen Unternehmen versichert werden, die sie schon immer benutzt haben.

Allerdings wenden sich die Eigner zunehmend an russische Anbieter, die von einem stark sanktionierten, staatlich unterstützten Rückversicherer unterstützt werden. In einigen Fällen springen auch Versicherungsgesellschaften aus Ländern wie Kamerun und Kirgisistan ein.

Unsicherheit über Auszahlungen im Schadensfall

Dieser Wechsel in der Deckung hat zu Unsicherheit darüber geführt, wie schnell und in welchem Umfang im Ernstfall gezahlt wird.

Vor wenigen Tagen kündigten die britischen Behörden an, Tanker im Ärmelkanal bei Verdacht auf "dubiose" Versicherungsverträge zu sanktionieren. Der Schritt machte die Brisanz des Themas erneut deutlich und zog es auf die internationale Ebene.

Recherchen von Bloomberg und Danwatch

Viele Erkenntnisse stammen aus Daten, die Estland in diesem Sommer zusammen mit Recherchen der US-Nachrichtenagentur Bloomberg und der Journalistenvereinigung Danwatch gesammelt hat. Sie bieten den bisher detailliertesten Einblick in die Umweltrisiken, die europäische Länder durch die von ihnen selbst verhängten Sanktionen gegen Moskau eingehen.

Sie zeigen damit den Bumerang-Effekt, der dadurch entsteht, dass viele Schiffe gezwungen sind, im Verborgenen zu operieren.

Westliche Firmen weiter beteiligt, aber neue russische Akteure

Vor dem Ukraine-Krieg wurde die überwiegende Mehrheit der russischen Öltankertransporte von westlichen Gesellschaften versichert, die der International Group of Protection & Indemnity Clubs angehörten.

Diese kauften dann große Mengen an Rückversicherungen, um sich gegen den schlimmsten Fall einer Ölkatastrophe abzusichern. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Schiffe den höchstmöglichen Sicherheitsstandards entsprachen.

Diese Unternehmen sind immer noch im Geschäft, stehen aber einer wachsenden Zahl neuer Marktteilnehmer gegenüber, insbesondere russische Unternehmen, wie Recherchen von Bloomberg und Danwatch zeigen.

Die estnischen Behörden untersuchten die Versicherungsunterlagen von rund 150 Öltankern, die im Juli und August russisches Erdöl transportierten. Demnach waren 20 bis 25 Prozent von russischen Unternehmen versichert.

Russische Rückversicherung als Backup

Zusätzlich zu den estnischen Daten untersuchten Bloomberg und Danwatch Dokumente von Tankern, die beim Transport von russischem Öl beobachtet wurden, durchforsteten Webseiten von Versicherern und Branchendatenbanken und sprachen mit Personen, die über detaillierte Kenntnisse der russischen Öltransport- und Versicherungspraktiken verfügen.

Demnach unterstützt die Russian National Reinsurance Co. (RNRC) drei in Moskau ansässige Unternehmen, die einen großen Teil der Versicherung für Tanker übernehmen, die russisches Öl durch die dänischen und türkischen Meerengen transportieren.

Die estnischen Behörden haben außerdem festgestellt, dass ein kamerunisches und ein kirgisisches Versicherungsunternehmen mindestens zwei Öltanker versichern.

Hälfte des Welt-Ölhandels durch dänische Meerengen

Dänemarks Wirtschaftsminister Morten Bodskov zeigte sich "zutiefst besorgt" über die "fragwürdigen Versicherungen" von Schiffen, die die dänischen Meerengen passieren.

Die dänischen Behörden seien in ständigem Dialog mit anderen Ländern, um das Problem zu lösen.

Begrenzte Deckung durch westliche Versicherer

Versicherer in den G-7-Staaten dürfen russisches Erdöl nur dann versichern, wenn sie schriftliche Zusicherungen haben, dass die Ware zu bestimmten Preisen eingekauft wurde, die von den G-7-Staaten und ihren Verbündeten festgelegt wurden.

Für Rohöl liegt dieser Preis bei 60 US-Dollar pro Barrel. Damit öffnete sich ein Fenster – und eine Nachfrage – für mehr Lieferungen aus Russland und anderen Ländern.

Neue Akteure aus Russland

Während Ingosstrakh bereits vor dem Ukraine-Krieg in der internationalen Tankerbranche bekannt war, hat sich seine Rolle bei Tankern, die Erdöl aus den westlichen Häfen Russlands transportieren, ausgeweitet.

Die beiden anderen Unternehmen, AlfaStrahovanie und Sogaz, waren vor dem Konflikt auf dem globalen Tankermarkt weitgehend unbekannt.

Die Tatsache, dass diese Unternehmen letztlich durch die RNRC, die der Zentralbank untersteht, rückversichert sind, könnte im Ernstfall bedeuten, dass Russland selbst für eine Zahlung aufkommen müsste. Das wirft die Frage auf, was passieren würde, wenn vor der Küste eines Landes, das Moskau als "unfreundlich" einstuft, eine Havarie eintritt.

Politische Fragen bei Rückversicherungsansprüchen

Laut Craig Kennedy, einem Mitarbeiter des Davis Center an der Harvard University, der den russischen Energiesektor seit Jahrzehnten verfolgt, gibt es Präzedenzfälle aus anderen Sektoren, die zeigen, wie der Kreml reagieren könnte, wenn es zu einem großen Rückversicherungsanspruch käme, den die RNRC begleichen müsste.

Kennedy wies darauf hin, dass Russland die Sanktionen des Westens dafür verantwortlich mache, dass es kein Gas über Pipelines liefern könne und darauf bestehe, dass die Europäer für Erdgas in Rubel bezahlten.

Dies seien Beispiele dafür, wie Moskau reagieren könnte. "Wenn die Russen nicht zahlen wollen, werden sie es wahrscheinlich auch nicht tun", sagte er.

G-7-Staaten umgehen Preisobergrenze

Um die Preisobergrenze des Westens zu umgehen, greift Moskau auf eine große Flotte von Schiffen und Dienstleistern zurück, die ohne Beteiligung westlicher Firmen operieren und daher nicht an die Obergrenze gebunden sind.

Zum Beispiel ist Ingosstrakh der Hauptanbieter von Versicherungen für Tanker, die russisches Rohöl zu Preisen über der westlichen Preisobergrenze nach Indien transportieren, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person.

Warnungen vor schlechtem Zustand vieler Tanker

Bloomberg und Danwatch haben ausführlich über die alternden Tanker berichtet, die russisches Öl durch Dänemark transportieren und sich zunehmend weigern, von Lotsen durch die Meerengen gelenkt zu werden.

Auch Schifffahrtsexperten schlagen Alarm wegen des sich verschlechternden Zustands vieler Öltanker, die noch durch die Meerengen fahren.

Versicherer auch für Bosporus und Dardanellen wichtig

Ingosstrakh und Sogaz sind auch die größten Versicherer für Tanker, die durch die türkischen Meerengen Bosporus und Dardanellen fahren und Erdöl aus dem russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk laden.

Im Falle der Türkei haben die Behörden eine strengere Kontrolle über den Güterverkehr durch ihre Gewässer. Die Schiffe fahren in der Regel nur tagsüber, und der Einsatz von ortskundigen Lotsen ist vorgeschrieben.

Ein türkischer Experte sagte, man sei überzeugt, dass im Falle eines Unfalls gezahlt werde, nicht zuletzt, weil sich das Land seit Moskaus Krieg in der Ukraine nicht gegen Russland gestellt habe und die Zahlungen in Lira erfolgen könnten. Russische Versicherer müssten auch den Reputationsschaden abwägen, wenn sie nicht zahlen würden, zumal in einem befreundeten Land wie der Türkei.

Bruch mit langjähriger Zusammenarbeit für mehr Sicherheit

Der Bruch mit langjährigen Versicherungsvereinbarungen ist Teil eines Wandels in einem viel größeren maritimen Ökosystem, das jahrzehntelang eng zusammengearbeitet hat, um Sicherheitsstandards zu verbessern und die Wiederholung großer Ölkatastrophen durch Havarien der "Erika" oder der "Prestige" um die Jahrtausendwende zu begrenzen.

Der Ukraine-Krieg – und weitere Sanktionen gegen Länder wie Iran und Venezuela – haben die Branche mit hunderten Öltankern regelrecht geflutet. Viele dieser Tanker erfüllen offenbar nicht die gängigen Sicherheitsstandards.

"Es ist leider ein verworrenes Netz, das darauf beruht, dass alle die gleichen Regeln befolgen", zitiert Bloomberg Neil Roberts, der das Policy Forum der International Union of Marine Insurance leitet: Plötzlich stehe man Akteuren gegenüber, "die sich nicht an dieselben Regeln halten, und das System ist nicht darauf eingestellt".