Tierleid unter Wasser
Welche Aquakultur soll uns ernähren?
Fast die Hälfte des weltweit konsumierten Fischs stammt aus Aquakultur. Ein Großteil davon stammt aus riesigen Lachsfarmen in Norwegen. Eine Alternative zu Massenfischzuchtanlagen könnten Kreislaufanlagen sein.
Mit mehr als 260 Milliarden Dollar gehört die Aquakultur zum am schnellsten wachsenden Segment der globalen Nahrungsmittelproduktion. Rund 90 Prozent der Lachse in deutschen Kühlregalen stammen aus Aquakulturen, besser gesagt, aus künstlichen Zuchtbecken in norwegischen Flüssen und Meeren.
In Norwegen ist die Lachszucht nach dem Erdöl zweitwichtigster Wirtschaftszweig. So wurden 2020 mehr als eine Million Tonnen Lachs aus norwegischen Aquakulturen exportiert. Damit verdiente das Land knapp sieben Milliarden Euro.
In norwegischen Fjorden gibt es zahllose schwimmende Lachskäfige. In den überfüllten Anlagen stehen die Tiere unter Stress. Sie leiden unter Krankheiten und Parasiten - trotz des Einsatzes von Antibiotika. Täglich sinken große Mengen an Ausscheidungen und Futterresten auf den Boden des Fjordes.
Für die Ökosysteme bleibt das nicht ohne Folgen: Kleine Bakterien bauen die Stoffe ab, wobei sie jede Menge Sauerstoff verbrauchen. Der Sauerstoffgehalt sinkt mitunter derart stark ab, dass Kleinstlebewesen wie Würmer, Seeigel oder Krebse darin nicht mehr überleben können. Häufig entweichen Fische aus den Gehegen, vermehren sich in den natürlichen Gewässern und verdrängen einheimische Arten.
Auch Spuren von Kot, Hormonen und Medikamenten landen auf den Tellern der Verbraucher. Zudem macht das Leben in den engen Gehegen die Zuchtlachse anfällig für Parasiten. Viele Tiere sind von Lachsläusen befallen.
Weil diese für die Fische meist tödlich sind, werden die Lachse mit Pestiziden behandelt. Aber auch für Krill und wild lebende Fische sind Lachsläuse aus den Zuchtanlagen eine große Gefahr, erklärt Jens Olav Flekke von der Tierschutzorganisation Reddvillakksen im Interview.
Wenn die kleinen in den Wildgewässern geborenen Fische nach zwei Jahren zum Meer hinaus schwimmen, kommen sie an den Fischfarmen vorbei und werden von den Parasiten getötet. In manchen Jahren sterben sogar 80 Prozent der jungen Lachse. Nur wenige kommen dann wieder zurück. Das macht dem Naturschützer große Sorgen.
Einer der großen norwegischen Lachsproduzenten ist Leroy Seafood. Hier werden jedes Jahr 36000 Tonnen Fisch gezüchtet. In den hochmodernen Anlagen werden die Lachse aus den Käfigen über Fließbänder auf die Schlachtbank gespült.
Der Tod kommt per Elektroschock. Um zu überprüfen, ob sie wirklich tot sind, stechen Mitarbeiter den Tieren in die Eingeweide. Pro Stunde werden 27 Tonnen Lachs produziert, alle 45 Minuten wird ein Laster für den europäischen Markt beladen.
Den Preis für die industrielle Lachszucht zahlt die Natur
Norwegische Lachszuchtanlagen werden von ihren Betreibern gerne als "nachhaltig" bezeichnet. Doch ist Lachs wirklich ein gesundes, nachhaltiges Nahrungsmittel? Sicher nicht, wenn er aus einem schwimmenden Käfig stammt, ist Jens Olav Flekke überzeugt.
Norwegen ist bekannt für seine sauberen Fjorde. Werde alles weiter mit Gift und Chemikalien zerstört, so wird auch das Image der unberührten Natur bald ruiniert sein.
Weil alles unter Wasser passiert, bekommt man all das Elend nicht so mit. Daher gibt es kaum Kritik an den Lachsfarmen, bedauert der Hobby-Angler. Unterdessen plant das Land, seine Lachsproduktion bis 2050 zu verfünffachen.
Für noch mehr Lachse aber braucht es weitere Anlagen. Das junge Unternehmen Salmon Evolution verwirklicht derzeit auf einer kleinen Insel den Traum von einer Lachszucht an Land. Eigens hierfür werden zwölf riesige Tanks gebaut und mit Meerwasser befüllt.
In einem Zuchtbecken sollen sich bis zu 200.000 Fische tummeln. Aus diesen Betonsilos können dann wenigstens keine Fische mehr ins Meer entweichen. Aber ist dieses Konzept wirklich nachhaltig?
Beim Futter kann von Nachhaltigkeit jedenfalls keine Rede sein. So wird rund ein Viertel der im Meer gefangenen Fische zu Fischmehl verarbeitet. Mittlerweile bestehen zwar 80 Prozent des Lachsfutters aus pflanzlichem Soja.
Doch um ein Kilo Lachs zu produzieren, werden rund 500 Gramm Sojabohnen benötigt. Ein großer Teil davon stammt von riesigen Sojaplantagen aus Südamerika, für die große Teile des Regenwalds gerodet werden.
Momentan isst jeder Deutsche im Schnitt etwa vierzehn Kilo Fisch im Jahr. Würden wir weniger Fisch essen, wäre dies ein erster Schritt. Denn weniger Tiere würden nicht nur weniger Futter benötigen, sie hätten auch mehr Platz in den Zuchtanlagen.
Aus oben genannten Gründen wurde die industrialisierte Lachszucht in der argentinischen Provinz Feuerland kürzlich verboten. Auf Druck der indigenen Gemeinschaft der Yagán sind gegenüber des Beagle-Kanals installierte Becken nicht nur wieder abgebaut worden, 130 weitere Becken konnten sogar verhindert werden.
Chilenische Lachszüchter wollten ihre Farmen bis nach Feuerland ausweiten. Am Ende der Welt sei somit ein Zeichen gegen die zerstörerische Industrie der Lachszucht gesetzt worden, erklärt David Alday, ein Vertreter der Yagán-Gemeinschaft in Chile. Auch in Deutschland wollen Investoren mit Lachsfarmen viel Geld verdienen. Ein erster Bauantrag wurde im Sommer 2021 allerdings wieder zurückgezogen.