Tod eines Superterroristen

Der tödliche Anschlag auf den lange gesuchten Terroristen Imad Mugniyeh in Syrien lässt viele Spekulationen entstehen und birgt erheblichen Konfliktstoff

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Imad Mugniyeh galt als einer der letzten internationalen Super-Terroristen Marke „Carlos“. Völlig überraschend wurde der 45-Jährige am vergangenen Dienstag durch eine Autobombe in Damaskus getötet, nachdem er fast 20 Jahre im Untergrund verschwunden war. Hinter dem gezielten Mord wird der israelische Geheimdienst Mossad vermutet. Für Hisbollah ein Grund, den offenen Krieg gegen Israel zu erklären. Eine Vergeltungsaktion soll in den nächsten Tagen auf internationalem Terrain folgen.

Für Israel und die USA war Imad Mugniyeh die Ausgeburt des Bösen, dem eine lange Liste von Anschlägen zur Last gelegt wird. Angefangen bei Bombenattentaten auf verschiedene US-Einrichtungen, auf die Unterkünfte französischer Soldaten und zahlreicher Geiselnahmen während des libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990). Dazu zwei Flugzeugentführungen, 1992 und 1994 Anschläge auf die israelische Botschaft und ein jüdisches Gemeindezentrum in Buenos Aires, bei denen alleine zusammen über 100 Menschen starben.

„Ohne ihn ist die Welt ein besserer Ort“, sagte dementsprechend Sean McCormack, der Sprecher des US-Außenministeriums. Gideon Ezra, ein Minister der regierende Kadima-Partei in Israel meinte, man wisse zwar nicht, wer Mugniyeh getötet habe, „aber wer immer es auch tat, man kann ihm nur gratulieren“. Der ehemalige Mossad-Chef Danny Yatom sprach von einem großen Erfolg für die freie Welt im Kampf gegen den Terror“ und bezeichnete den Mord in einem Interview mit dem englischsprachigen Nachrichtensender Al-Jazeera „als Werk absolut professioneller Täter“. Denn dem Top-Terrroisten Imad Mugniyeh hätte man nur schwer nahe kommen können. Schließlich habe er nie die gleiche Fahrtroute genommen, jeden Tag die Wohnung wie seine Radiofrequenz gewechselt und sogar sein Aussehen durch eine Gesichtsoperation verändert. So strickt man den Mythos eines Super-Terroristen, der aus einem Hollywood-Action-Thriller stammen könnte.

Die Realität sieht etwas anders. Imad Mugnieyh mag zwar auf der Fahndungsliste von 43 Ländern gestanden haben, war jedoch ein Mann der Vergangenheit, der in der syrischen Hauptstadt im Ruhstand lebte, wie Nahost-Spezialist Robert Fisk zu Recht schrieb: „Pensioniert in Damaskus und dort sicherer für die Iraner, als in einem Teheraner Hotelzimmer.“ Seit über zehn Jahren wurde Imad Mugnieyh kein Anschlag mehr vorgeworfen. Er hatte 15 Jahre für den iranischen Geheimdienst gearbeitet und war als aktiver Agent ausgemustert worden. Der gebürtige Libanese hatte schon lange seine Schuldigkeit getan.

Anschläge, Entführungen und Geiselnahmen im Bürgerkrieg

Während des Bürgerkriegs im Libanon war er der Führer des Islamischen Dschihads, einer schiitischen Splittergruppe, die sich nach der Invasion Israelis 1982 von der Amal-Bewegung des heutigen libanesischen Parlamentspräsidenten Nahib Berris abspaltete. Islamischer Dschihad wurde von den iranischen Revolutionären Garden ausgebildet, logistisch und finanziell unterstützt. Die heute so mächtige Hisbollah spielte damals nur eine untergeordnete Rolle.

Imad Mugnieyh und seine Organisation kämpften gegen israelische Truppen sowie christliche und sunnitische Milizen, begingen Anschläge gegen US-Institutionen im Libanon sowie Entführungen von Journalisten und vermeintliche Geheimagenten aus dem Westen. Die oft Jahre dauernden Geiselnahmen wurden mit den Taten der Israelis im Libanon gerechtfertigt. „Es ist zwar böse“, sagte Mugnieyh zum Journalisten Robert Fisk, "aber wir haben keine andere Wahl.“ Der Islamische Dschihad-Führer verwies auf die 5000 libanesischen Zivilisten, die die Israelis entführt und nach Angaben von Amnesty International unter menschenunwürdigen eingesperrt hatten.

1983 bekannte sich Mugniyehs Islamischer Dschihad für die Bombardierung der US-Botschaft in Beirut verantwortlich. 1985 gehörte Imad zu den Entführern der TWA Flugs 874, die einen Amerikaner brutal zusammenschlugen, bevor sie ihn mit einem Kopfschuss töteten und vor den TV-Kameras der Weltöffentlichkeit aus dem Flugzeug warfen. In Beirut wurde die Maschine von Amal-Kämpfern http://www.angelfire.com/il2/redline/doc44.html gestürmt, die Geiseln nach Beirut gebracht und später frei gelassen. Mugnieyh und seine Männer allerdings verschwanden spurlos und tauchten erst wieder als Entführer einer Kuwaitischen Maschine auf, wobei erneut ein Mensch auf brutale Weise sterben musste. Beweise für die Mugnieys Beteiligung an den Bombenattentaten auf die Unterkünfte der US-Marines und der französischen Soldaten in Beirut 1983 gibt es nicht, genauso wenig wie für die Anschläge auf die israelische Botschaft 1992 und das jüdische Gemeindezentrum 1994 in Buenos Aires.

Laut aktuellen Medienberichten soll Mugnieyh bei Hisbollah der zweite Mann hinter Nasrallah, der Top-Kommandant oder der führende Sicherheitsexperte bei Hisbollah gewesen sein. Genaues weiß man jedoch nicht. Hisbollah hat über seine aktuelle Funktion nichts bekannt gegeben. Sein Tod wurde mit den folgenden Worten gemeldet: „Mit Stolz und Ehre verkünden wir das Märtyrertum eines großen Führers der Widerstandsbewegung.“ Das Statement von Hisbollah klingt nach einem verdienstvollen Mann, dem man nach dem Tod Respekt erweist, mehr aber auch nicht.

Selbst in Israel wurde nichts über das Aufgabengebiet von Imad Mugniyeh gesagt. Dort hätte man mit Freude nähere Informationen preisgegeben, gerade wenn es einen Top-Hisbollah-Verantwortlichen betrifft. In Beirut bekam der „Top-Terrorist“ eine Heldenbeerdigung, wie es sich für eine Legende gebührt. „Wir hörten immer von seinen Siegen gegen Israel, aber wir kannten ihn nie persönlich“, sagte ein junger Mann aus dem Heimatdorf Mugniyehs.

Rolle in der Hisbollah fraglich

Offiziell bleibt es ungeklärt, ob Mugniyeh tatsächlich noch für Hisbollah arbeitete. Wäre er Sicherheitschef oder der militärische Planer und Stratege gewesen, hätte er nie so lange überlebt. Mit CIA und Mossad auf den Fersen wäre es nahezu unmöglich gewesen, diesen dauerhaften und zeitraubenden Job zu machen. Schon gar nicht in Beirut, in der CIA und Mossad ständig präsent sind. Es ist wahrscheinlich, dass Mugniyeh höchstens noch sporadisch als Berater fungierte, sonst aber von Hisbollah, wie schon durch den iranischen Geheimdienst, pensioniert worden war. Man wollte und konnte sich Mugniyeh als einen der meist gesuchten Terroristen nicht mehr leisten. Immer wieder wurde er von den USA oder auch europäischen Ländern als Beweis dafür genommen, dass Hisbollah eine Terrororganisation sei.

Dass Mugniyeh Mitglied der Hisbollah und für sie tätig ist, wurde stets abgestritten. Mugniyeh passte nicht zum neuen Image der Organisation, die sich nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs in eine politische Partei im Parlament, mit zahlreichen Hilfsorganisationen wandelte. Widerstand gegen Israel ja, aber mit Terrorismus, mit Flugzeugentführungen, Bombenanschläge auf Zivilisten oder Geiselnahmen wollte man fortan nichts mehr zu tun haben. Irgendwann in diesem Wandlungsprozess in den 90er Jahren dürfte man wohl auf Distanz zu Imad Mugniyeh gegangen sein. Wie lange und wie weit noch die Kooperation mit ihm als Agent des Iran, der er von Beginn an in den 80er Jahren in erster Linie auch gewesen war, ist unklar.

Dass Mugniyeh schon länger nicht mehr in Amt und Würden war, darauf deuten auch die offiziellen Beileidsbekundungen des libanesische Premierministers Fuad Siniora und des Führers der Zukunftspartei, Saad Hariri, hin. Als strikte Gegner von Hisbollah und als Verbündete der USA hätten sie kaum ohne jegliche Einschränkungen Bedauern für den Tod Mugniyehs ausgesprochen. Schon gar nicht, wenn er, wie in manchen Berichten behauptet, verantwortlich für die Entführung der beiden israelischen Soldaten gewesen wäre, die im Sommer 2006 zum Libanon-Krieg führte. Sowohl Siniora, wie auch Hariri kritisierten Hisbollah heftig für das Kidnapping und warfen der Organisation vor, den Krieg mit Israel provoziert zu haben und das ohne die im Amt befindliche Regierung zu konsultieren.

Trafen sich ausnahmsweise die Interessen der USA, Israels und Syriens?

„Wir waren geschockt“, sagte die Tante von Imad Mugniyeh. „Wir dachten, er sei dort sicher.“. Ihr Neffe ist nicht der Einzige, der in Damaskus Unterschlupf fand. Khaled Meshal, ein Führer der Hamas, lebt dort seit Jahren unbehelligt im Exil, obwohl er ganz oben auf der Abschussliste Israels steht. Die Frage bleibt, wie konnte ein angeblich so wichtiger Top-Funktionär von Hisbollah ausgerechnet mit einer Autobombe in Damaskus getötet werden. Eine Bombe, die den ganzen Wagen in Stücke reißt, baut man nicht so leicht unbemerkt in das Auto eines der meist gesuchten Terroristen der Welt, der in der Nähe einer Polizeistation und einer iranischen Schule parkte, obendrein vom syrischen Geheimdienst rund um die Uhr beschützt wurde. Noch dazu in völliger Dunkelheit, denn die Bombe explodierte um 22.30 Uhr.

Entweder war Imad Mugniyeh in Wirklichkeit ein „soft target“, also leicht zu erledigen, da es keine Bewacher für den Geheimagenten im verdienten Ruhestand gab, oder aber die Schutzmannschaft des Top-Hisbollah-Manns ging im entscheidenden Moment einen Kaffee trinken. Es kursieren bereits Spekulationen, dass Syrien beim Anschlag auf Mugniyeh kooperierte, einen Deal mit den USA und Israel machte.

Den Todeszeitpunkt von Imad Mugniyeh könnte man ebenfalls als verdächtig bezeichnen. Da hatte jemand ein perfektes Timing: Ausgerechnet zwei Tage vor dem Gedenktag zum Todestag von Ex-Premier Rafik Hariri. Die Beerdigung Mugniyes musste am 14. Februar stattfinden, zeitgleich zu den Feierlichkeiten und der Großdemo für den 2005 ermordeten libanesischen Ex-Premierminister.

Trafen sich ausnahmsweise die Interessen der USA, Israels und Syriens? Mit der Ermordung Imad Mugniyehs poliert die israelische Regierung ihr durch den verheerenden Winograd-Report beschädigtes Image in der Öffentlichkeit auf. Für die USA verschwindet ein Terrorist, der das Leben von US-Staatsbürgern auf dem Gewissen hat, zudem unterstützt man die amtierende israelische Regierung. Und Syrien konnte sich sicher sein, dass mit dem Medienspektakel um Imad Mugniyeh dem feindlich gesinnten Regierungsbündnis im Libanon die Show gestohlen wird und die Instabilität im Libanon zunimmt. Für den Gedenktag zu Ehren Rafik Hariris wollte die anti-syrische Koalition auf der Straße Stärke zeigen und ein Zeichen für die Zukunft setzen.

Hisbollah nutzt den Anschlag innenpolitisch aus

Die Beerdigung machte dies zunichte und degradierte die Demonstration von etwa 400.000 Menschen zur zweitrangigen Nachricht des Tages Nicht zuletzt wegen der Rede von Hassan Nasrallah, dem Hisbollah- Generalsekretär, der auf der Beerdigung von Mugniyeh Israel den offenen Krieg erklärte. Mit der Autobombe in Damaskus habe Israel die Grenzen des Konflikts, der bisher auf den Libanon und Israel beschränkt war, überschritten. Nun habe Hisbollah das Recht, ebenfalls außerhalb ihres Territoriums, also im Ausland, zuzuschlagen. „Wenn Israel einen offenen Krieg will, soll es ihn bekommen“, sagte Nasrallah. Es gäbe Zehntausende von Hisbollah-Kämpfern, die für den Krieg bereit seien. Pläne für alle Eventualitäten seien vorhanden. Als Resultat sind israelische Truppen und alles Auslandseinrichtungen in erhöhter Alarmbereitschaft.

Bei diesen Worten könnte man fast meinen, die Ermordung von Imad Mugniyeh wäre der schiitischen Widerstandsbewegung gerade Recht gekommen. Der Kampf gegen die Regierung von Premierminister Fuad Siniora mit demokratischen Mitteln, der nun bereits über ein Jahr dauert, befindet sich in einer Sackgasse. Eine positive Lösung im Sinne Hisbollahs ist nicht in Sicht. Man konnte sich bisher nicht einmal auf einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten einigen. Mit dem Tod Mugniyehs kann sich die Massenorganisation neue Ziele geben und ihren Anhänger erneut Stärke demonstrieren. Auf einem Gebiet, in dem sie mehr Erfolg hat, als bei den Auseinandersetzungen im Parlament und im Regierungskabinett.

Über die Konfrontation mit Israel wird die Zukunft der libanesischen Innenpolitik mitbestimmt. Für die nächsten Tage hat Hassan Nasrallah Vergeltung angekündigt. Die Frage ist nur, wer wird wo bombardiert oder erschossen und wie wird Israel zurückschlagen? Hisbollah scheint diese Fragen schon seit längerem für sich geklärt zu haben, denn sonst könnte Nasrallah nicht derartige Drohungen aussprechen. Er ist bekanntlich ein Mann, der sein Wort hält.

Über die Todesumstände von Imad Mugniyeh, der am Donnerstag ein Heldenbegräbnis bekam, gab es keine Verlautbarungen von Hisbollah. Auch keine Fragen oder Vorwürfe an die syrischen Behörden, keinerlei Forderung nach einer Untersuchungskommission oder einer näheren Aufklärung. Wurde der vermeintlich alt gediente Top-Kommandant Imad Mugniyeh zu einem Bauernopfer der Politik, zu dessen Beerdigung sogar der iranische Außenminister Manouchehr Mottaki anreiste, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen? Oder war es eine gewollte Provokation Israels, das nur auf eine Vergeltungsaktion Hisbollahs wartet, um erneut einen Versuch zu unternehmen, diesmal endgültig mit der schiitischen Widerstandsorganisation im Libanon aufzuräumen? Oder wird die anti-syrische Regierungskoalition Israel zuvorkommen und, wie vor kurzem angekündigt, selbst gegen Hisbollah vorgehen? Ein neuer Bürgerkrieg im Libanon, den die israelische Zeitung Haaretz als mögliches Szenario entwarf?

Die nächsten Tage und Wochen werden es zeigen. Tatsache ist, wer auch immer Imad Mugniyeh ermordete, hat es geschafft, den Libanon so nah an eine interne Konfrontation zu bringen, wie seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990 nicht mehr.