Tödliches Fracking
US-Studie: Wer näher an Fracking-Standorten wohnt, stirbt früher
Eine Studie der US-Universität Harvard weist darauf hin, dass Menschen im Alter über 65 Jahre, die in der Nähe von US-Fracking-Standorten leben, früher sterben als Gleichaltrige mit Wohnort fernab entsprechender Industriestandorte. Sechs Wochen nach der Veröffentlichung vereinbarten der deutsche Umwelt- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit US-Präsident Joseph Biden die Lieferung von noch mehr US-Flüssiggas.
Zum ersten Mal die Frage: Sterben Menschen wegen Fracking?
Fracking wird in den USA schon seit Jahrzehnten betrieben. Umweltschäden sind bekannt. Aber jetzt wurde zum ersten Mal untersucht: Sterben dabei Menschen?
Die aufwendige Studie wurde von zehn Forscher:innen unter Leitung von Longxiang Li an der School of Public Health der Elite-Universität Harvard erstellt. Exposure to unconventional oil and gas development and all-cause mortality in Medicare beneficiaries – Exposition gegenüber unkonventioneller Öl- und Gaserschließung und Gesamtmortalität bei Medicare-Begünstigten.
LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder)
Fertiggestellt wurde die Studie am 17. Juli 2020, veröffentlicht am 27. Januar 2022 in der Zeitschrift Nature Energy. Schon im August 2021 war sie beim Jahrestreffen der International Society for Environmental Epidemiology (ISEE) vorgestellt worden.
2,5 Millionen Fracking-Bohrstellen
Untersucht wurden die Gesundheitsdaten von 15 Millionen (genauer: 15.198.496) US-Amerikanern, die älter als 65 Jahre sind, vom staatlichen Medicare-Programm gesundheitlich versorgt werden und in der Nähe von Fracking-Standorten leben.
Diese Gesundheitsdaten wurden mit den anderen US-Amerikanern dieser Altersgruppe verglichen, die nicht in solcher Nachbarschaft leben. Weil 95 Prozent der über 65-Jährigen in den USA von Medicare erfasst werden, hat die Studie eine hohe Aussagekraft.
Erhoben wurden die Gesundheitsdaten an mehr als 100.000 Fracking-Standorten, für die Jahre von 2001 bis 2015. Hier wurden insgesamt etwa 2,5 Millionen Bohrstellen betrieben. Die Standorte liegen in allen wichtigen Fracking-Regionen der USA: Von North Dakota bis New Mexico, im Osten von New York bis Virginia und im Süden zwischen Texas und Missouri.
Fracking: Umweltschädlich – na klar!
Unconventional oil and gas development, wie es im Titel der Studie heißt: "Unkonventionelle Öl- und Gas-Förderung": Das ist Fracking. Dabei werden unter hydraulischem Hochdruck mithilfe von Sand, Wasser, Chemikalien und weiteren Zusatzstoffen Gesteinsschichten in großer Tiefe aufgesprengt. So können Gas und Öl entweichen und dann eingesammelt werden.
Dass dabei Luft, Grundwasser, Flüsse, Seen, Trinkwasser, Pflanzen, Tiere vergiftet und dass Menschen gesundheitlich geschädigt werden – alles seit Jahren weltweit bekannt, eigentlich.
Tausende Bürgerinitiativen, Wissenschaftler, kommunale Räte organisieren seit zwei Jahrzehnten zwischen Kalifornien und Wyoming Widerstand – meist vergeblich und politisch sowie leitmedial ignoriert.
In der Studie werden zahlreiche Untersuchungen zitiert, die diese Befunde bestätigen: Die Umgebungsluft enthält flüchtige organische Verbindungen, Stickstoffoxide sowie natürliche radioaktive Stoffe, die durch die Bohrungen freigesetzt werden. Die Bohrstellen emittieren auch organische Verbindungen, Chloride und Schwebstoffe.
Zudem entweicht beim Fracking ebenso unkontrolliert Methangas: Es ist noch klimaschädlicher als CO₂. Bekannte Krankheitsfolgen sind etwa Schädigungen bei Schwangerschaften, im Atmungssystem, bei Herzmuskeln und erhöhter Krebs – alles längst bekannt.
Fracking: nicht nur umweltschädlich, sondern tödlich
Gefragt wurde also, wie zuvor erwähnt, ob Fracking auch tödliche Folgen hat. Die Antwort: Ja, und zwar in erheblichem Umfang. Es bestehe ein significantly elevated risk of all-cause mortality, heißt es im Originaltext, ein bedeutend erhöhtes Risiko für allgemeine Sterblichkeit.
Fracking ist also nicht nur umweltschädlich, sondern auch tödlich für Menschen. Je näher sie an Fracking-Bohrstellen leben, desto früher sterben sie. Die erhöhte Sterblichkeit beträgt 2,5 Prozent, allerdings 3,5 Prozent in den Wohnorten, die im Abwind der Bohrstellen liegen.
Die Studie hat 136 Millionen (genauer: 136.215.059) Personenjahre (person-years) zugrunde gelegt – 2,5 Prozent davon wäre etwa vier Millionen Lebensjahre, die hätten gelebt werden können, aber durch Fracking zunichtegemacht wurden.
Die Todesraten liegen in den Abwind-Wohnorten etwas höher als in den Aufwind-Wohnorten. Das liegt an der Vergiftung der Atmosphäre. Aber die ist eben nur eine der Ursachen für Krankheit und Tod. Die Vergiftung von Wasser und Böden, intensiver Lkw-Verkehr mit Diesel-Abgasen, Lärm, durchgehend blendende Beleuchtung in den Nächten und ähnliche Effekte spielen ebenfalls eine Rolle.
Aber was ist mit den Fracking-Beschäftigten?
In der Studie wurden Menschen unter 65 Jahren nicht untersucht. Auch da gibt es "vulnerable Gruppen", etwa Babys oder auch – wie beim Corona-Virus – Menschen mit chronischen Erkrankungen, die in den USA bekanntlich in großer Zahl schon in frühem Alter beginnen.
Vor allem: Eine besonders wichtige Gruppe wurde nicht untersucht, und zwar diejenigen Menschen, die den Gefahr- und Giftstoff-Emissionen am direktesten ausgesetzt sind: Die Beschäftigten an den Bohrstellen selbst. Im Jahr 2015 waren das etwa 200.000.
Auf Nachfrage teilte der Leiter der Untersuchung mit, man habe das nicht untersucht, und man kenne auch keine Studien über Gesundheits- und Todesfolgen der Beschäftigten an den Fracking-Standorten.
Für die Klima- und Umwelt-Bewegung in den USA ist dieser Blick so üblich wie auch für manche Umwelt-Bewegung, die UNO, die Europäische Union und die deutschen Grünen: Wie es den abhängig Beschäftigten geht, auch in den umweltrelevanten Unternehmen, wie hier der Fracking-Industrie, – das bleibt ein großes Tabu.
Beschleunigte Produktion
Die Fracking-Methode wurde in den 1950er-Jahren in den USA entwickelt. Aber erst etwa seit der Jahrtausendwende wurde die Produktion im großen industriellen Stil beschleunigt: Die USA wollen unabhängig von Öl- und Gasimporten werden.
Im Untersuchungszeitraum der Studie, von 2001 bis 2015, haben die Fracking-Konzerne die Zahl der Standorte um mehr als das Zehnfache erweitert, von etwa 10.000 auf über 100.000. So ist in der Studie die nach 2015 noch mal beschleunigte Beschleunigung des Frackings noch gar nicht berücksichtigt.
Ausgelöst wurde diese zusätzliche Beschleunigung u.a. durch den Bau der russisch-deutschen Gasleitung Nord Stream 2, die von der US-Fracking-Industrie und deshalb auch von den US-Regierungen abgelehnt wird, ob der Präsident nun Obama, Trump oder Biden heißt.
Von 2015 bis 2020 wurde die Zahl der Fracking-Standorte auf 160.000 erhöht. So hat die Fracking-Industrie von 2000 bis 2018 die Produktion von 243 Mrd. Kubikfuß auf 3,61 Billionen Kubikfuß mehr als verzehnfacht. Exporte gehen bisher in 33 Staaten.
Mehr Schäden als in der Harvard-Studie erfasst
Die Harvard-Studie hat somit auch in dieser Hinsicht nicht das ganze gegenwärtige Ausmaß des US-Frackings erfasst.
Die Beschleunigung seit 2015 besteht zudem darin, am selben Standort noch mehr Bohrungen vorzunehmen als bisher: Über 50 Bohrstellen am selben Standort (mega pads) sind jetzt keine Seltenheit.
Auch das erhöht die Menge und Konzentration der Giftstoffe in diesen Standorten und damit den Wohnorten über das Maß hinaus, das in der Harvard-Studie untersucht wurde.
Hoher Energieaufwand: Neue und teure Fossil-Wirtschaft
Das Frackinggas ist nicht nur umweltschädlich bei der Produktion, sondern erfordert auch viel mehr Energie als traditionelle Öl- und Gas-Förderung als zum Beispiel in Russland.
Und nicht nur die Produktion erfordert mehr Energie, sondern die ganze weitere Lieferkette: Mit hohem Energieaufwand wird zunächst das Gas auf ein Sechshundertstel des bisherigen Volumens verflüssigt. Dann folgt der nächste hohe Energieaufwand: Das Flüssiggas muss während des transatlantischen Transports auf minus 162 Grad Celsius gekühlt gehalten werden.
Und der Bau von technisch aufwendigen Terminals in der EU und in Deutschland erfordert ebenfalls neben den Rohstoffen viel Energie, ebenso dann die Speicherung und die Rückvergasung.
Dieser zusätzliche, vielfältige Energieaufwand stellt zusammen mit den dafür noch nötigen Rohstoffen (für Förderung, Schiffe und Terminals) eine neue und zudem teure Fossil-Wirtschaft dar. Die US-Regierung fördert den Bau neuer Atomkraftwerke, die EU hat jetzt Atomenergie als "nachhaltig" erklärt.
So erweist sich die Umweltpolitik der EU und auch der deutschen Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP als noch viel umweltschädlicher als die bisherige Umweltpolitik, und auch als viel teurer, und schließlich auch als tödlich für Menschen – aber diese Menschen sind ja weit weg, in "Amerika", dessen Regierungen und Konzerne die Fracking-Toten wissenschaftsfeindlich verschleiern.
Es handelt sich zudem um einen unausgesprochenen Klassenkampf: Die Unternehmen legen die Standorte gezielt in der Nähe von armen Kommunen an, die niedrigeres Einkommen und mehr people of color beherbergen, so stellt die Harvard-Studie fest.
Habeck, Baerbock, Morgan, Lauterbach: Kollektive Selbstblendung
Enge Mitarbeiter des deutschen Wirtschaft- und Klimaschutzyministers Habeck und insbesondere die neue Staatssekretärin im Außenministerium, die Ex-Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan, zuständig für "umweltgetriebene Außenpolitik" unter Annalena Baerbock – sie hätten zuständigkeitshalber die seit einem halben Jahr bekannte Studie der Harvard University mal zur Kenntnis nehmen können.
Gleiches gilt für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der nicht nur vier Mal in den USA studiert hat, davon zweimal in Harvard, und auch weiter dort stolz seine Gastprofessur wahrnimmt:
Durchaus relevante Gesundheitsdaten, bei denen es sogar um frühen, vermeidbaren Tod geht werden ausgeblendet. Gerade bei dem Sozialdemokraten Lauterbach stellt sich die Frage, wie das zum geforderten Schutz "vulnerabler Gruppen" in der Coronapandemie passt, wenn alte Menschen in den USA für unser Gas ihr Leben riskieren müssen.
Nach Auskunft des Leiters der Harvard-Studie haben US-Leitmedien nicht über die Studie berichtet. Steht auch deswegen nichts in deutschen Leitmedien?
Umwelt-Champion BlackRock in der US-Regierung
Der im US-geführten kapitalistischen Westen führende Umwelt- und Nachhaltigkeit-Mahner, Laurence Fink – ihm sind die Fracking-Toten offensichtlich ebenfalls egal. Fink ist Chef von Blackrock, dem größten Kapitalorganisator der westlichen Welt mit Sitz in New York. Auch von hier kein Wort zur Harvard-Studie.
Blackrock ist mit drei hochrangigen Managern in der US-Regierung von Präsident Biden vertreten. So ist der ehemalige Chef der Blackrock-Abteilung für nachhaltiges Investieren jetzt Chefökonom der Regierung.
Sie forciert das Fracking, jetzt noch beflügelt durch die Russland-Boykotte. Und BlackRock & Co sind nicht nur die führenden Aktionäre in der US-Rüstungsindustrie, die gerade ihre Gewinne aus 20 Jahren Krieg in Afghanistan bilanzieren.
BlackRock & Co sind auch führende Aktionäre in der Fracking-Industrie der USA, etwa bei EOG Resources, Devon Energy, Tellurian, Cheniere und bei den größten Fracking-Ausrüstern Halliburton, Schlumberger und Baker Hughes. Für die steigenden Gewinne der Umwelt-Champions von BlackRock sterben nicht nur Menschen im fernen Afghanistan, sondern auch die eigenen Bürger:innen in den USA selbst.
Und die übereifrige Käuferin von US-Frackinggas, Kommissionspräsidentin von der Leyen – mit Biden vereinbarte sie die Verdreifachung des LNG-Imports – lässt sich bei der Umsetzung von Environmental Social Governance – zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – von niemand anderem beraten als von BlackRock.
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