"Tren Maya": Naturzerstörung oder Entwicklungsprojekt?
Aktivisten werfen der Deutschen Bahn vor, sich an Verbrechen in Mexiko zu beteiligen. Doch nicht alle indigenen Gemeinden lehnen das Tourismusprojekt ab
"Deutsche Bahn und deutsches Geld morden mit in aller Welt", skandierten rund 80 Demonstranten, die sich am Samstag vor der Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz in Berlin versammelten. Sie protestierten dort gegen die Beteiligung der DB am Tourismusprojekt "Tren Maya", einem Renommierobjekt des sozialdemokratischen Präsidenten Mexikos, Andrés Manuel López Obrador.
Der DB werfen die Kritiker vor, dass sie mit einem millionenschweren Vertrag an dem "Projekt des Todes" beteiligt sei. Diese drastischen Worte wählen sie, weil die 1.500 Kilometer lange Bahnstrecke durch Regenwälder und Naturschutzgebiete führt.
"Tren Maya" - Segen oder Fluch?
Das Projekt stößt bei großen Teilen der indigenen Bevölkerung in Südmexiko auf Widerstand. Während der Präsident und auch Teile der mexikanischen reformistischen Linken sich von der "Maya-Bahn" vor allem Arbeitsplätze in den südlichen Provinzen versprechen, mobilisiert vor allem die zapatistische Bewegung, die in Chiapas ihre Wurzeln hat, dagegen.
Im Rahmen einer zapatistischen Delegationsreise durch Europa, die sich durch Einreisebestimmungen unter Corona-Bedingungen mehrmals verzögerte, wurde die "Tren Maya" zum Angriffspunkt.
Die Proteste am 30. Oktober in Berlin waren Teil eines "Global Action Days". Mit weltweiten Aktionstagen hatte die Bewegung, die sich auf den mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata (1879 - 1919) beruft, vor fast 20 Jahren in vielen Ländern große Massen auf die Straße gebracht. Davon kann heute keine Rede sein.
Der Streit um den Extraktivismus
Dabei wäre es sinnvoll, auch in eine inhaltliche Auseinandersetzung über Sinn oder Unsinn von Projekten wie "Tren Maya" einzusteigen. Dahinter stehen unterschiedliche Vorstellungen von Entwicklung und Fortschritt. Die zapatistische Linke verwirft völlig das Projekt des Extraktivismus, nach dem Sozialprogramme für die ärmeren Bevölkerungsteile mit der Ausbeutung von Rohstoffen finanziert werden sollen.
Dieses Programm aber wurde und wird von großen Teilen der Linken mit Regierungsverantwortung in Lateinamerika verfolgt. Die Kritiker des Extraktivimsmus vertreten die Position, dass es besser sei, bestimmte Bodenschätze im Boden zu lassen. Allerdings räumen auch wissenschaftliche Kritiker des Modells wie Edgaro Lander aus Venezuela ein, dass über Alternativen noch diskutiert werden muss.
In Lateinamerika schlägt heute niemand vor, von einem Tag auf den anderen das Ende des Extraktivismus auszurufen und ab sofort kein einziges Barrel Öl und keine einzige Tonne Eisenerz mehr zu fördern oder auf keinem einzigen Hektar Land mehr genveränderte Sojabohnen anzubauen. Dennoch ist es dringend erforderlich, die Debatten über den notwendigen Übergang zu einer nicht-extraktivistischen, nicht-rentistischen Ökonomie auszuweiten und zu vertiefen, und zwar jenseits der in den Regierungsdiskursen vorherrschenden inhaltsleeren Rhetorik von deren Notwendigkeit.
Welche konkreten Maßnahmen müssten jetzt in so zentralen Kernbereichen wie dem Energiesektor, der Nahrungsmittelerzeugung oder dem Transportwesen ergriffen werden, um ein Produktionssystem und ein gesellschaftliches Organisationsmodell auf den Weg zu bringen, das sich nicht auf Desarrollismus, Extraktivismus und Rentismus stützt?
Wenn dieser Übergang nicht bald in Angriff genommen wird, so werden die fortschrittlichen Regierungen als diejenigen in die Geschichte eingehen, die die Verantwortung tragen für die beschleunigte Zerstörung unseres Planeten und für die enttäuschten Hoffnungen, dass eine andere Welt möglich ist!
Edgardo Lander
Warnung vor neuen linken Mythen
Der Diskurs der Gegner des Extraktivismus verweist auf die ökologischen Konsequenzen der Rohstoffausbeute, hat aber auch ökoromantische Züge, wenn immer wieder die "Mutter Erde" beschworen wird, wie auch bei der Kundgebung in Berlin zu hören. Zudem wird recht unkritisch von "indigenen Völkern" gesprochen, ohne zu berücksichtigen, dass es auch dort unterschiedlich Macht- und Ausbeutungsverhältnisse gibt.
Das wird gerade auch an dem Beispiel der "Tren Maya" deutlich. Es gibt auch indigene Gemeinden, die das Projekt unterstützen. Das wiederum wird von den Kritikern des Projekts zur Folge von Überrumpelung und Manipulation erklärt. Doch in der Regel blenden solche Manipulationsthesen aus, dass es vielleicht tatsächlich unterschiedliche Interessen gibt, auch unter Indigenen.
Zudem müsste diskutiert werden, ob ausschließlich indigenen Gemeinden beziehungsweise deren Chefs entscheiden sollen, was mit den Bodenschätzen auf ihren Territorium geschieht. Wäre es aus einer emanzipatorischen Perspektive nicht sinnvoller, wenn darüber Räte entscheiden könnten, an denen die gesamte Bevölkerung eines Landes beteiligt sind?
Das wären sicher interessante Diskussionspunkte für eine wesentlich von der zapatistischen Bewegung vorangetriebene Kampagne gegen die "Tren Maya". Schließlich sind die Zapatisten in den letzten zwei Jahrzehnten dafür bekannt geworden, dass sie für kritische Debatten offen sind und auch manche linken Mythen infrage stellen.
Dabei sollten aber auch ökoromantische und ethnische Vorstellungen über Indigene kritisch hinterfragt werden, die in einer Erklärung mit dem Titel "Für das Leben" sehr dominant sind. Da wird beklagt, dass "die laufende Zerstörung keinerlei Grenzen, Nationalitäten, Fahnen, Sprachen, Kulturen, Ethnien anerkennt", ohne zu begründen, warum das per se negativ sei muss.
Denn so wie die laufende Zerstörung keinerlei Grenzen, Nationalitäten, Fahnen, Sprachen, Kulturen, Ethnien anerkennt, so kann auch ein erfolgreicher Kampf gegen diese Zerstörung und für die Menschheit nur weltweit geführt werden.
Dabei gibt es natürlich gute Gründe, gegen die Art und Weise zu protestieren, wie das Projekt "Tren Maya" umgesetzt wird. Kritikerinnen und Kritiker werden kriminalisiert und müssen sogar um ihr Leben fürchten. "Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Hauptproblem nicht der Zug selbst ist, sondern das, was damit einhergeht", wird der Maya-Aktivist Pedro Uc in der Le Monde Diplomatique zitiert.
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