"Tropen Trump" in Washington
Bei der Visite ging es um Geopolitik, Wirtschaft und Venezuela, der Kampf gegen die Drogen in den Favelas erinnert mittlerweile an phillippinische Verhältnisse
Am vergangenen Dienstag bekam Jair Bolsonaro endlich die Gelegenheit, sein großes Vorbild persönlich zu treffen. Brasiliens rechtsextremer Staatschef, der sich gerne als ein "Trump der Tropen" bezeichnen lässt, traf rund drei Monate nach seinem Amtsantritt in Washington mit dem US-Präsidenten zusammen, dessen Politikstil und populistische Rhetorik er bei seinem Wahlkampf weitgehend übernahm.
Schmeichelei zahle sich bei Trump aus, kommentierten US-Medien die Staatsvisite, da der innenpolitisch bedrängte US-Präsident seinem größten lateinamerikanischen Fan, der mitunter Trumps Parolen im Wahlkampf übernahm, weitgehende Kooperationsangebote machte.
Bolsonaros populistische Ausfälle sind berüchtigt. Er hat wiederholt abwertende öffentliche Bemerkungen gegen Homosexuelle, Frauen, indigene Gruppen und Schwarze gemacht. Zugleich befürwortet der neue Präsident des bevölkerungsreichsten lateinamerikanischen Staates die Folter sowie die extralegale Tötung von Verdächtigen durch Polizeikräfte. Bolsonaro ist zudem Anhänger der brasilianischen Militärdiktatur.
Beide Seiten kamen bei ihrem Treffen überein, eine enge, geopolitische Zusammenarbeit aufzuhaben. Trump bezeichnete Brasilien als einen "wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten", wobei er sogar andeutete, für eine volle Nato-Mitgliedschaft Brasiliens offen zu sein. Zudem kündigte der US-Präsident an, die Aufnahme Brasiliens in die OECD zu unterstützen. Schließlich soll auch die Investitionstätigkeit von US-Unternehmen auf den Märkten Brasiliens erleichtert und gefördert werden. Die Regierung in Brasilia ist überdies bemüht, die militärische Kooperation mit Washington zu intensivieren, um leichter Hightech-Waffeneinkäufe in den USA tätigen zu können.
Die Annäherung zwischen Brasilia und Washington kommt einen geopolitischen Umschwung in der Region gleich, galten die Beziehungen zwischen beiden Ländern doch seit spätestens 2013 als angespannt - nachdem bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst NSA mehrere Gespräche der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff abgehört hatte. Erst nachdem Rousseff, der ehemalige Präsident Lula da Silva und weitere Politiker der linken Arbeiterpartei im Rahmen eines kalten Verfassungsputsches von rechten und reaktionären Kräften im Staatsapparat kaltgestellt wurden, war der Weg ins Präsidentenamt für Bolsonaro frei - mit Lula da Silva befand sich sein aussichtsreicher Konkurrent aufgrund dubioser Anschuldigungen im Gefängnis.
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz beglückwünschte Donald Trump seinen brasilianischen Amtskollegen zu einer "unglaublichen Wahlkampagne". Er sei "geehrt", dass Bolsonaro sich von seinem Wahlsieg habe inspirieren lassen, so der US-Präsident. Man habe viele "gemeinsame Ansichten". Trumps brasilianischer Amtskollege gab wiederum seiner Zuversicht Ausdruck, dass sein Vorbild auch bei der kommenden Wahl 2020 siegreich sein werde. Beide Länder stünden "Seite an Seite" beim Kampf "für Freiheiten, Familienwerte, den Respekt für Gott, unseren Schöpfer, und gegen die Gender-Ideologie, die politische Korrektheit und gegen Fake News".
Schon im Vorfeld des Treffens sind schon etliche bilaterale Abkommen zwischen den neuen Verbündeten abgeschlossen worden. Die Vereinigten Staaten dürfen nun die Weltraumbahnhof in Alcantara nutzen, um von dort Satelliten in den Weltraum zu befördern. Die Visapflicht für US-Touristen wird abgeschafft.
Unklar bleibt indessen, wie es um die Pläne zum Aufbau einer US-Militärbasis in Brasilien bestellt ist. Kurz nach seiner Amtseinführung hat Bolsonaro eine solche Option öffentlich lanciert, um durch die Präsenz amerikanischer Streitkräfte den "russischen Einfluss" in der Region, insbesondere in Venezuela, zu begrenzen. Nach heftiger Kritik - unter anderem aus den Reihen des Militärs - ist dieser Vorschlag in Washington zumindest nicht öffentlich thematisiert worden.
Auch bei einem anderen Thema, das auf der Agenda stand, wollte sich Bolsonaro nicht öffentlich äußern: beim Thema Venezuela. Beide Staatschefs kamen in Washington zusammen, um ihr Vorgehen gegen das krisengeplagte lateinamerikanische Land zu koordinieren. Man wolle vor allem das Chaos in Venezuela diskutieren, hieß es seitens des Weißen Hauses im Vorfeld des Treffens. Nach Ansicht von Beobachtern könnte Trump versucht sein, durch eine Intervention in Venezuela dem innenpolitischen Druck auszuweichen, dem er zunehmend ausgesetzt ist.
Beide Staatschefs, die der venezolanischen Regierung die Legitimität absprechen, forderten abermals das Militär des ölreichen Landes zum Staatsstreich auf. Bei dem Thema scheinen aber auch Differenzen sichtbar geworden zu sein. Während Trump bei der gemeinsamen Pressekonferenz erneut eine militärische Intervention nicht ausschloss, wollte sich Bolsonaro hierzu nicht eindeutig positionieren. Zuvor haben brasilianische Regierungsvertreter einen eventuellen amerikanischen Angriff auf Venezuela vom Territorium Brasiliens ausgeschlossen.
Menschen in den Favelas zum Abschuss freigegeben
Der Kampf beider Staatschefs gegen die "Diktatur" in Venezuela scheint indessen kaum glaubwürdig, entfernt sich doch die innenpolitische Lage in Brasilien selbst von den lockersten bürgerlich-demokratischen Standards. Die ersten Monate der Regierungszeit des "Trumps der Tropen" lassen Parallelen zwischen Bolsonaro und dem philippinischen Staatschef Duterte aufkommen, der im Rahmen einer brutalen Repressionskampagne, die im Rahmen des "Kampfes gegen Drogenkriminalität" geführt wird, Tausende von Slumbewohnern von korrupten Polizeikräften töten ließ.
Nicht nur das borderlinehafte, irrationale Temperament teilen Duterte und Bolsonaro - auch die Todesrate in den Favelas Brasiliens ist gerade dabei, im Rahmen eines Krieges gegen Gangs und Drogenkriminalität auf das grausige philippinische Niveau zu steigen. Die Financial Times (FT) berichtete über die rasch ansteigenden Polizeitötungen, die einen Ausblick auf die von Bolsonaro im Wahlkampf angekündigte Enthemmung der Sicherheitskräfte beim Kampf gegen Kriminalität geben.
Allein in Rio de Janeiro würden seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im Durchschnitt jeden Tag drei Menschen durch Polizeikräfte getötet. Dieser Anstieg gehe nach Zeugenberichten mit regelrechten Hinrichtungen in den Favelas einher. In einem Fall sollen neun Slumbewohner, die sich den schwer bewaffneten Polizeieinheiten ergeben wollten, von diesen erschossen worden sein.
Mitunter würden Polizisten inzwischen wahllos Menschen in den Favelas erschießen. Der Ombudsmann des öffentlichen Anwaltsbüros im Bundesstaat Rio de Janeiro berichtete gegenüber der FT, dass es Berichte von Scharfschützen auf Polizeigebäuden gebe, die Favela-Bewohner abknallen würden. Die Opfer würden willkürlich ausgewählt, es reiche schon aus, wenn "du ein Motorrad fährst, einen Rucksack trägst oder wenn du schwarz bist". Es gehe nicht darum, bestimmte Individuen zu treffen, es gehe um Einschüchterung. Es sein "nur ein Profil", das hier etabliert würde.
Der neu gewählte Gouverneur von Rio kündigte im Wahlkampf bereits an, dass er Polizeischarfschützen einsetzen werde, um aus weiter Entfernung jedem mutmaßlichen Waffenträger in den Favelas eine Kugel "in seinen kleinen Kopf" zu verpassen.
Die rasche Demontage selbst formeller rechtsstaatlicher Prinzipien zu Beginn der Amtszeit des "Tropen-Trump" wurde an den ersten Gesetzesentwürfen seiner Administration deutlich, die den "Kampf gegen die Kriminalität" befördern sollen. Hierunter sind auch Regelungen zu finden, die Straffreiheit für widerrechtliche Polizeitötungen ermöglichen. Die Richter des Landes können gegen Polizisten verhängte Strafen reduzieren oder aussetzen, wenn diese "exzessive Gewalt" aufgrund "nachvollziehbarer Angst, Überraschung oder gewalttätiger Emotionen" begangen haben. Dieser klassische Gummiparagraph folgt der bereits per Dekret beschlossenen Lockerung der Waffengesetze, von denen vor allem die Oberschicht und die Mittelklasse profitieren sollen.
Verwicklung in Mord?
Allerdings scheint das Image Bolsonaros als Saubermann, der mit knallharten Methoden gegen die krisenbedingt ansteigende Kriminalität in Brasilien vorgeht, aufgrund jüngster Erkenntnisse in einem prominenten Mordfall stark gelitten zu haben.
Im März 2018 wurde die linke Politikerin Marielle Franco, die sich für die Rechte von Schwarzen und Favela-Bewohnern in Brasilien einsetzte, in Rio erschossen. Der Mord löste eine Protestwelle gegen die steigende Kriminalität aus, von der letztendlich der Rechtsextremist Bolsonaro an der Wahlurne profitieren konnte. Rund ein Jahr später sind nun zwei Mitglieder der Militärpolizei verhaftet worden, die im Verdacht stehen, diesen Anschlag langfristig geplant und ausgeführt zu haben.
Dabei scheint es Verbindungen zwischen den Tätern und der Familie des Präsidenten zu geben. Die Familien kannten sich offensichtlich. Zum einen soll ein Sohn von Bolsonaro eine intime Beziehung mit der Tochter eines der mutmaßlichen Täter unterhalten haben, wie brasilianische Medien unlängst meldeten.
Inzwischen sind auch Fotos aufgetaucht, die den derzeitigen Präsidenten mit einem der mutmaßlichen Mörder von Marielle Franco in freundschaftlicher Atmosphäre zeigen. Der Militärpolizist wohnte in derselben Wohnanlage wie Brasiliens neuer "starker Mann".
Diese neuen Enthüllungen würden den Druck auf den Präsidenten ansteigen lassen, seine Verbindungen zu den brutalen paramilitärischen Gangs offenzulegen, die "weite Teile Rio de Janeiros" kontrollierten, berichtete The Guardian. Diese zumeist aus Polizisten sich zusammensetzenden informellen Milizen, die schon vor Bolsonaros Amtsantritt zumeist von Geschäftsleuten angeheuert würden, um nach Feierabend Slumbewohner oder Störenfriede zu beseitigen, setzen nun offenbar auf einen weiteren Aufschwung. Diese erste Affäre seiner Amtszeit würde "Fragen nach den angeblichen Mafia-Verbindungen" Bolsonaros aufwerfen.