Trügerische Freiheitsharmonien aus Belfast
Noch werden die konkreten Pläne einer Neugestaltung des Irak in angloamerikanischer Friedens- und Freiheitsrhetorik gut verpackt
Die Verwandlung Tony Blairs vom smarten Rhetoriker zum wild entschlossenen Kriegskumpanen Bushs bleibt erklärungsbedürftig. Sollte der britische Premier tatsächlich dem Mythos der Zivilisationsrettung und der Gefahrenhysterie von Massenvernichtungswaffen erlegen sein? Oder befiel den Regierungschef der ausgeträumte Traum des britischen Empire im Schulterschluss mit den neuen Herren der Welt? Selbst intime Beobachter rätseln immer noch über Blairs unbeirrbare Entschlossenheit, schließlich ohne UNO das blutige Feld der Ehre zu betreten. Zumindest glaubte Blair wohl zeitweise, dass er den texanischen Tiger reiten könnte, während er für Bush und seine Falken eher das alteuropäische Feigenblatt ihrer unilateralen Machtpolitik abgab.
Des Premierministers Einfluss auf die Krieg führende Supermacht blieb bisher ein frommer Wunsch - und das könnte auch so bleiben. Die Hoffnung, doch noch in letzter Minute mit dem Segen des UN-Sicherheitsrats nach Bagdad zu marschieren, wurde enttäuscht. Nun ist der Krieg fast vorbei, ohne dass die Normalität eines friedlichen Irak greifbar wäre. Sollte der Irak zu einem ähnlichen Konfliktherd wie Palästina werden?
Blairs Probleme mit seiner eigenen Partei und der mehrheitlich kriegskritischen britischen Öffentlichkeit könnten noch größer werden als in der heißen Phase. Denn der Streit über die zukünftige Rolle der UNO im Nachkriegsirak, über das Verhältnis von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung des irakischen Volkes, über die Dauer westlicher "Demokratieförderung" rumort schon seit einiger Zeit. Wenn es Blair nicht gelingt, das westliche Irak-Engagement durch eine relevante UNO-Beteiligung zu legitimieren, könnte es politisch für ihn noch prekärer werden.
Die angloamerikanische Männerfreundschaft steht vor weiteren Belastungsproben, weil die Differenzen in der Verwaltung des Iraks nach der Ära Saddam Hussein bisher kein gemeinsames Konzept der USA und Großbritanniens erkennen ließen. In ihrer gemeinsamen Erklärung in Hillsborough Castle bei Belfast wollten Bush und Blair demonstrieren, dass sie weiterhin einer Meinung sind. In dem Protokoll des Treffens ist viel von irakischer Freiheit, fairer Kriegführung der Alliierten und unfairer der Irakis und kommenden humanitären Großtaten für das irakische Volk die Rede. Und die UNO? Nach der Erklärung sollen die Vereinten Nationen eine vitale Rolle ("vital role") beim Wiederaufbau des Irak spielen. Beide Kriegsherren begrüßen insbesondere die Anstrengungen der UNO und von Nichtregierungs-Organisationen, dem irakischen Volk zu helfen. Kanzler Schröder begrüßte vorsichtig diese Haltung der beiden Sieger, wenn die gemeinsame Erklärung so zu verstehen sei, dass die UNO eine "zentrale Rolle" spielen werde.
Dass die Bush-Administration der UNO indes nur eine Nebenrolle zugestehen könnte, gehört zum hinlänglich praktizierten Selbstverständnis dieser Regierung. Danach würden die USA den Vereinten Nationen großzügig humanitäre Funktionen zuweisen, sie aber vom Machtspiel ausschließen. Die Verteilung des Kuchen, die politischen Weichenstellungen für die Zukunft will insbesondere das Pentagon nicht kurzfristig aus den Händen geben. Das Pentagon will sich den Blutzoll in harter Währung kompensieren lassen. Das ist auch die Auffassung von Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Bush selbst tendiert eher zu dieser Haltung als zu den moderateren Positionen seines Außenministeriums, das eine stärkere UNO-Beteiligung anstrebt.
Blair versuchte dem Streit dadurch salvatorisch zu entgehen, dass seiner Meinung nach die Iraker sich selbst regieren sollten. Auf diesen frommen Wunsch ließ sich Bush zumindest rhetorisch in der gemeinsamen Erklärung ein. Man wolle dem irakischen Volk helfen, eine einige, freie und friedliche Nation zu werden. Das scheint vordergründig die friedliche Verlängerung der "Operation Iraqi Freedom" zu sein. Entscheidend ist jedoch, wie lange hier Interims-Regelungen Amerika den ersten Zugriff auf das Öl und die Entscheidung über die Wiederaufbau-Aufträge vorbehalten. Ziehen Bush und seine Mannen gar erst dann ab, wenn die Installation einer proamerikanischen Regierung sichergestellt ist?
Bush und Blair reden jetzt davon, dass die Selbstverwaltung des irakischen Volkes "so schnell wie möglich" erfolgen müsse. Man strebe eine irakische Interims-Regierung an, die alle Kräfte des Irak, einschließlich der diversen Minoritäten, repräsentieren solle. Dabei vertraue man darauf, dass sich neue irakische Führerfiguren (civilian Iraqi leaders) anbieten und denkt dabei wohl an Politiker wie Hamid Karsai in Afghanistan.
Spannender als die Lippenbekenntnisse zu Demokratie und Freiheit dürfte jedoch schon bald die Frage werden, welche Rolle der bereits von den USA entsendete Ex-Generalleutnant Garner als "Koordinator der Zivilverwaltung" und seine 200 Mitarbeiter bei der Neugestaltung der Verhältnisse spielen werden. Peter Scholl-Latour hält es für wahrscheinlich, dass schließlich doch ein starker Mann, nicht ganz unähnlich dem jetzt wohl ausrangierten Saddam Hussein, die Geschicke des irakischen Volkes leiten wird.
Kein attraktiver Gedanke für die Rhetoriker und leichtgläubigen Ideologen einer schnellen Demokratisierung des Landes nach westlichem Zuschnitt. Entscheidend bleibt vor allem die offene Frage, wann Bush aus seiner texanischen Perspektive den Freiheitsprozess des irakischen Volkes für endgültig abgeschlossen hält. Denn nach seinen ausdrücklichen Bekundungen werde er vor dem Ende dieses Prozesses seine Friedensmission nicht stoppen. Vielleicht muss sich Blair also in den nächsten Monaten doch noch entscheiden, ob er Alteuropäer ist oder zur Koalition der willigen Vasallen gehört.