Trump: Wild werden bis zum Bürgerkrieg?
Die Vorwürfe im Untersuchungsausschuss gegen den Ex-US-Präsidenten konkretisieren sich. Ob sie für eine Anklage reichen, bleibt aber offen. Gegen ihn wird auch wegen finanziellen Betrugs ermittelt.
Hat Donald J. Trump die Meute, die am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmte, dazu aufgestachelt? Das ist der Vorwurf, den der US-Untersuchungsausschuss zum January 6th gerichtsfest machen will. Würde die Sache vor Gericht kommen und der frühere Präsident schuldig gesprochen, so hätten die US-Demokraten - und mit ihnen wohl auch ein erheblicher Teil der restlichen Welt - eine große Sorge weniger. Ein Comeback, eine neue Ära Trump, wäre dann weniger wahrscheinlich.
Trump versus Biden
Allerdings ist vieles ungewiss. Die Aussichten für die Demokraten vor den Halbzeitwahlen sollen sich zuletzt zwar verbessert haben, aber ein gutes Abschneiden bleibt zweifelhaft, indes die Zweifel an Präsident Biden "auf ein alarmierendes Level anwachsen". Er sei zu wenig aggressiv gegenüber den Republikanern und zu alt für eine Kandidatur für die nächsten Präsidentschaftswahlen, wird aus der Partei berichtet.
Aktuelle Umfragen unter den Wählern der Demokraten stützen diese Ansicht: "64 Prozent der demokratischen Wähler sagen, dass sie einen neuen Bannerträger für den Präsidentschaftswahlkampf 2024 bevorzugen würden", so die New York Times.
Daran, dass Trump 2024 wieder für die Republikaner antreten könnte, gab es eine Zeitlang wenig Zweifel, er galt als der aussichtsreichste Kandidat. Politico bestätigte dies noch kürzlich mit einer Umfrage, die Trump 52 Prozent gegenüber seinem bislang stärksten Gegner in der Partei, Ron DeSantis, einräumte. Der Gouverneur aus Florida kam nur auf 21 Prozent.
Dennoch heißt es, dass die Anhörungen vor dem US-Untersuchungsausschuss zum 6. Januar am Image von Trump doch stärker kratzen, als dass er dies so leicht wegstecken würde. Die Versuche seines Teams, Zeugenaussagen zu beeinflussen, wie ihm die Republikanerin Liz Cheney, Vize-Vorsitzende des Ausschusses, vorwirft, sprechen Bände.
Untersuchungsausschuss: "Sogar Zynikern verschlug es die Sprache"
Die Sitzung des Untersuchungsausschusses gestern erhielt großes Interesse, weit über die Grenzen der USA hinaus. Was da zutage trat, habe selbst Zynikern den Atem verschlagen, berichtet der Spiegel (Zahlschranke). Ein Auszug:
"Ein amtierender Präsident ruft zum Bürgerkrieg auf", entsetzte sich sogar Trumps früherer Wahlkampfchef Brad Parscale in einer internen SMS an Trump-Beraterin Katrina Pierson, die das Gremium veröffentlichte. "Ich fühle mich schuldig, dass ich ihm geholfen habe."
Spiegel
Doch auch Marc Pitzke ist sich unsicher, ob all‘ das was aufgetischt wurde, dem Kongress reiche, "um dem US-Justizministerium offiziell zu empfehlen, Trump noch vor den Midterm-Kongresswahlen tatsächlich anzuklagen".
Zwar sind die Vorwürfe, die mit dem "Aufruf zum Bürgerkrieg" ihre überschärfste Form haben, spektakulär – soweit man in dieser Zeit noch nicht abgestumpft genug ist, um von der Aufwiegelung von bewaffneten Meuten gegen die US-Kammern und seinen Vizepräsidenten durch einen US-Präsidenten nicht geschockt zu sein. Und die Zeugen sind nicht minder spektakulär: Angestellte des Weißen Hauses zur Amtszeit Trumps und Vertreter rechter Organisationen, die bei der Attacke eine Rolle spielten.
Ob allerdings die Schlüsse, die gezogen werden aus einer abgesandten Twitter-Meldung und einer nicht abgesandten, aus Aussagen über einen konspirativen Abend, Aussagen über Gespräche innerhalb des Weißen Hauses (siehe: Sturm aufs Kapitol: Trump, der Brandstifter) und persönliche Bekenntnisse etwa des einen Zeugen Stephen Ayres reichen, um eine derartig hochgesetzte Anklage vor Gericht zu bringen, ist fraglich.
"Seid dabei, es wird wild!"
In dem Tweet, den Trump am 19. Dezember 2020, nachdem klar war, dass er die Wahl verloren hatte, losschickte, stand die Aufforderung: "Großer Protest in D.C. am 6. Januar. Seid dabei, es wird wild!" ("Be there, will be wild!").
Seine Anhänger hätten dies beim Wort genommen, wie die New York Times schon am 6. Januar 2021 befürchtete. Bei der Anhörung gestern kam noch ein zweiter Tweet zur Sprache, den Trump zwar verfasst, aber nicht abgeschickt hatte; er wurde in den National Archives gespeichert und dem Ausschuss zur Verfügung gestellt.
"Ich werde am 6. Januar um 10 Uhr eine große Rede an der Ellipse (südlich des Weißen Hauses) halten. Bitte kommen Sie frühzeitig, es wird ein großer Andrang erwartet. Marschieren Sie danach zum Capitol. Stop the Steal!!" ("I will be making a Big Speech at 10AM on January 6th at the Ellipse (South of the White House). Please arrive early, massive crowds expected. March to the Capitol after. Stop the Steal!!").
Nicht abgeschickter Tweet von Donald Trump
Der Vorsitzende des Ausschusses zieht daraus einen klaren Schluss "Donald Trump hat einen Mob nach Washington, D.C., gerufen und diesen Mob schließlich zu einem gewaltsamen Angriff auf unsere Demokratie angestachelt", so Bennie Thompson, Demokrat aus Mississippi.
Der Klick zur Organisation der Massen?
Dass eine ganze Menge Leute am 6. Januar nach Washington kam und dies über Facebook und Gruppierungen unter dem Banner "Stop the Steal" weitreichend vorbereitet und organisiert wurde, war vor längerer Zeit schon in der New York Times nachzulesen. Das ist nicht neu, auch der Vorwurf, dass Trump dies unterstützt hat, was höchst plausibel erscheint, datiert schon seit den gewalttätigen Ereignissen.
Neu ist, dass nun Zeugen aussagen, dass sie Trumps Worte direkt als Aufforderung genommen haben und sie dazu gebracht haben, bei der Sache mitzumachen, wie es "Mega-Trump-Fan" Stephen Ayres zu Protokoll gab ("Sein dramatischer Auftritt vor dem Ausschuss illustriert, wie naiv sich selbst einfache Trump-Anhänger ins Netz der Brutalität ziehen ließen." Spiegel). Neu in diesem offiziellen Kontext sind Aussagen wie von Jason Van Tatenhove, Ex-Sprecher der "Oath Keepers", der klar ausspricht:
"Es sollte eine bewaffnete Revolution werden."
Obendrein gab es am Abend des 18. Dezember 2020 laut schillernden Beschreibungen ein "konspiratives Treffen" im Weißen Haus, wo eine Runde von Mitarbeitern des Weißen Hauses und politischen Unterstützern - so z.B. der frühere Nationale Sicherheitsberater Michael T. Flynn, der Anwalt Rudolph W. Giuliani oder Sidney Powell, Anwalt einer Wahlkampagne von Trump - mit diesem über "ferngesteuertem Wahlbetrug durch Venezuela und China", Internet-Stimmenmanipulation und den Vorschlag, dass der abgewählte Präsident das Kriegsrecht ausrufen solle und Wahlmaschinen einkassieren lassen, gesprochen haben soll. Am nächsten Morgen habe Trump dann den Tweet mit "Be there, will be wild!" abgeschickt.
US-Amerikaner denken an anderes
Laut Einschätzung der US-Publikation The Hill haben die bisherigen Anhörungen zwar dem Ex-Präsidenten Trump geschadet, aber sie hätten Biden oder den Demokraten nicht geholfen.
Viele US-Amerikaner würden nicht an die Wahlen 2020 oder 2022 oder 2024 denken, wird ein Experte für politische Kommunikation zitiert: "Die meisten von ihnen denken: 'Wird mein Kaufhaus in der Nachbarschaft Kleidung und Turnschuhe für meine Kinder haben, die wieder zur Schule gehen - und werde ich mir das leisten können?' "
Allerdings würden die Anhörungen in republikanischen Kreisen Wirkung zeigen, so die Spekulation vom "Hügel", gemeint ist die Anhöhe, auf dem das Kapitol steht.
Eine Anhörung des Ausschusses vor den Midterms steht noch aus. Erwartet wird Steve Bannon, der nach langem Zögern und gerichtlichem Zwang erscheinen muss. Trump tat dann so, als ob er selbst das grüne Licht leicht und lässig gegeben habe.
Auch wenn Trump die Vorwürfe des Ausschusses loswürde, so hat er allerdings noch andere vorgerichtliche Vorwürfe an "an der Backe". Wie zum Beispiel eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung wegen Vorwürfe des finanziellen Betrugs.