Trump, der Welthandel und die Geisterfahrer der EU
Seite 3: Eine WTO-Reform gegen China
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Der Harvard-Ökonom Dani Rodrik hat kürzlich in einem Artikel darauf hingewiesen, dass die Handelspolitik des Westens stets einer Grundannahme folgte. Durch den immer intensiveren Welthandel, so der Glaube, würden sich die unterschiedlichen nationalen Regulierungssysteme weltweit einander annähern. Das habe sich jedoch nicht bewahrheitet. Umgekehrt sei "die fortdauernde Auseinanderentwicklung der Wirtschaftssysteme ein Nährboden für Handelsspannungen geworden." Chinas "kreative" Industriepolitik sei dafür ein gutes Beispiel.
Tatsächlich spielt die Entwicklung Chinas in dieser Umbruchphase eine zentrale Rolle. Direkt nach der Finanzkrise 2008 wurde hier begonnen, die einheimische Wirtschaft stärker auf den Binnenmarkt zu orientieren und das Land aus der Rolle der globalen Werkbank herauszuführen. Die Pekinger Regierung setzte dabei auf eine Stärkung der Inlandsnachfrage durch Investitionen in ärmere Regionen und massive Lohnerhöhungen. Seit 2008 haben sich die Mindestlöhne in China fast verdreifacht. 2017 lagen sie in der Industrie bereits höher als in Brasilien oder Mexiko.
So wandelte sich China zum Vorreiter und Zugpferd der Deglobalisierung, ähnlich wie die USA im vergangenen Jahrhundert Zugpferd der Globalisierung waren.
Vergleicht man die wirtschaftspolitischen Orientierungen Donald Trumps mit denen der chinesischen Regierung, lassen sich erstaunliche Parallelen entdecken. Beide wollen die global fragmentierte Wertschöpfung wichtiger Produkte im Land bündeln. Beide streben nach größerer wirtschaftlicher Autarkie. Und beide praktizieren eine Industriepolitik mit protektionistischen Methoden, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Instrumenten.
Dieser Gleichklang ändert allerdings nichts daran, dass China in den USA als gefährlichster globaler Konkurrent wahrgenommen wird. Mit dem neuen Regierungsprogramm "Made in China 2025" hat sich das Pekinger Regime tatsächlich ehrgeizige Ziele gesetzt. In zentralen Industriezweigen, einschließlich von Hightech-Branchen wie Elektroautos, Robotik und Industriemaschinen, strebt es weltweit führende Positionen an.
Die USA müssen damit rechnen, selbst in wirtschaftlichen Leitsektoren, in denen US-Konzerne weltweit führend sind, von chinesischen Unternehmen aus dem Feld geschlagen zu werden. Dazu kommt die verstörende Tatsache, dass China sich zwar in die globalen Märkte und in die WTO integriert hat, ohne jedoch eine völlige "Öffnung" für das Kapital und die weltweite Konkurrenz zuzulassen. Nach wie vor spielen staatliche Unternehmen und Subventionen eine sehr wichtige Rolle, ebenso wie erzwungene Technologietransfers und die Ungleichbehandlung ausländischer Investoren.
Verglichen mit China ging die EU nach 2008 exakt den entgegengesetzten Weg. Unter der Federführung der deutschen "Exportnation" wurden die überschuldeten Länder Südeuropas zu einer harten Austeritätspolitik, zu Lohnsenkungen, Massenentlassungen, Abbau von Arbeitsrechten und Sozialleistungen und zur Privatisierung öffentlichen Eigentums gezwungen.
Die Eurozone setzte insgesamt auf eine forcierte Außenhandelsorientierung und zwang die weniger konkurrenzfähigen Länder auf den Weg der "inneren Abwertung". Hatte die Eurozone noch in 2007 eine in etwa ausgeglichene Leistungbilanz, wies sie zehn Jahre später, 2017, einen Leistungsbilanzüberschuss von 388 Milliarden Euro auf. Ausgerechnet in einer Zeit der Deglobalisierung macht sich die EU also stärker denn je vom Außenhandel abhängig. Sie wird dabei zum Geisterfahrer einer Weltwirtschaft, in der die großen Wirtschaftsmächte darauf bedacht sind, einen Teil ihrer Importe durch eigene Produktionen zu ersetzen.
So ist es kein Wunder, dass die EU alles daran setzt, an der alten Freihandelspolitik festzuhalten. Ein Handelsabkommen mit Japan wurde kürzlich unterzeichnet, mit Mexiko, Vietnam, Singapur und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur wird verhandelt. Im Handelskonflikt mit den USA setzt die EU nun darauf, das alte westliche Bündnis und seine Freihandelsorientierung mit Hilfe eines gemeinsamen Feindes zu retten. Dieser Feind heißt China.
Seit Beginn der Trumpschen Strafzollpolitik kommen aus Brüssel die Rufe nach einer Rückkehr zum "Multilateralismus" und zu einer "regelbasierten Handelsordnung". Das klingt zunächst gut. Doch mittlerweile wird klar, dass Brüssel für eine "Reform der WTO" wirbt, die das zentrale Ziel verfolgt, China zu einer stärkeren Liberalisierung und Öffnung seiner Wirtschaft zu zwingen.
Die WTO soll derart "modernisiert" werden, dass sie, wie es Oliver Wittke, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, ausdrückte, "den handelsverzerrenden Maßnahmen von nicht marktwirtschaftlich organisierten Ländern besser begegnen" kann. So soll Peking dazu gebracht werden, den staatlichen Einfluss auf die Industrie sowie staatliche Subventionen abzubauen, die Politik erzwungener Technologietransfers zu beenden und ausländischen Konzernen mehr Freiheiten zu gewähren.
Natürlich fehlt auch hier nicht die für den Westen so charakteristische Doppelmoral. Europa und die USA subventionieren ihre Landwirtschaft seit ewigen Zeiten. Industrieunternehmen wie beispielsweise Boeing und Airbus wurden mit Milliardenbeträgen staatlicher Gelder gefüttert. Historisch gesehen verdanken die westlichen Industrieländer ihren Aufstieg einer geschickten Mischung aus Liberalisierung und Protektion. Genau daran soll China nun mit Hilfe einer WTO-Reform gehindert werden.
Als Donald Trump mit seiner chaotisierenden Handelspolitik begann, wurde zunächst viel darüber spekuliert, dass China für die Europäer einer der neuen Bündnispartner gegen Trumps Erpressungsstrategie sein könnte, zusammen mit anderen Schwellenländern. Nun wird man eines Besseren belehrt. Die EU sucht den Schulterschluss mit Trump, um gemeinsam Front gegen China zu machen. Faktisch läuft das darauf hinaus, dass Europa auch von der US-Strafzollpolitik gegen China profitieren will. Denn nur mit diesen Strafzöllen, nicht mit Verhandlungen in der WTO, wird der entsprechende Druck auf Peking ausgeübt. Damit macht sich die EU zur Verbündeten einer Politik, die sie selbst immer wieder als gefährlich kritisiert.
Das kann nicht gut gehen. China wird sich auf diese Neuauflage des westlichen Kolonialismus nicht einlassen. Ebensowenig wie andere große Schwellenländer - Indien oder Brasilien. Zudem hat auch China einiges an Drohpotential zu bieten. Nach wie vor liegen hier für den Westen unverzichtbare Exportmärkte. Und als Inhaber von US-Staatsanleihen im Wert von 1,2 Billionen Dollar ist China der mit Abstand größte Gläubiger der USA. Auch damit lässt sich Druck ausüben. Der Schulterschluss der Europäer mit Trump vergrößert eher die Risiken eines eskalierenden Handelskrieges.
"Jedes vernünftige internationale Handelssystem", schreibt Dani Rodrik, "muss bei der Erkenntnis ansetzen, dass es weder praktikabel noch wünschenswert ist, den politischen Freiraum zu beschränken, den Länder haben, um ihre eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle zu entwerfen."
Wenn die EU Gegenspieler und Korrektiv zu Trumps Nationalismus sein will, sollte sie diese Erkenntnis beherzigen. Eine neue Welthandelsordnung, die nicht um jeden Preis Märkte und Regulierungen vereinheitlichen will, die auf Vielfalt setzt und den Mitgliedstaaten die nötigen politischen Freiräume gewährt, wäre die adäquate Antwort auf die weltwirtschaftlichen Umbrüche und die sich verschärfenden Handelskonflikte. Wenn man die Kriterien von Vielfalt und politischer Freiheit noch um soziale und umweltpolitische Zielsetzungen ergänzt, zeichnen sich die Umrisse einer zukunftsfähigen Welthandelsordnung ab.
Für eine solche Reform der WTO würden sich viele Bündnispartner finden, von den großen Schwellenländern über die Staaten des globalen Südens, die ihre Entwicklungschancen verbessern wollen, bis hin zu all den Regierungen und Organisationen, die sich für die Menschenrechte derer einsetzen, die im Zuge der neoliberalen Globalisierung unter die Räder gekommen sind.