Trump plant Einsatz von Bundesspezialkräften in Chicago und New York
"Operation Legend". Kritiker sprechen von einem "Präsidenten außer Kontrolle", der setzt den politischen Gegner mit radikalen Linken gleich, die das "Land zur Hölle machen"
US-Präsident Trump hat deutlich gemacht, dass er gewillt ist, den Einsatz von Bundestruppen im Inneren auszuweiten. In Portland waren nicht ausgewiesene Spezialkräfte gegen den Willen des dortigen Bürgermeisters im Einsatz, dabei kam es zu Verhaftungen von Demonstranten (Trump schickt ungefragt "Hilfe" durch Spezialeinheiten nach Portland).
Als nächstes stehen Chicago wie auch New York auf der Liste, die Trump Pressevertretern gegenüber äußerte - auch hier gibt es Widerspruch von Bürgermeistern und Gouverneuren, die der demokratischen Partei angehören.
"Ich werde etwas tun - das kann ich Ihnen sagen", äußerte Trump gegenüber Reportern im Oval Office. "Weil wir New York und Chicago und Philadelphia und Detroit und Baltimore und alle von diesen - Oakland ist ein Durcheinander - lassen werden. Wir lassen das in unserem Land nicht zu. Alle (genannten) werden von liberalen Demokraten geführt. (…) Alle geführt, wirklich, von der radikalen Linken".
New York Times
"Hölle"
Trump verhehlt nicht, dass es ihm um Wahlkampf geht. "Wenn Biden ins Amt kommt, dann würde es im ganzen Land so sein. Das ganze Land würde zur Hölle fahren. Und wir werden es nicht zur Hölle fahren lassen." Da zitiert jemand Sprechblasen, wie man sie von Superhelden-Comics oder aus Captain America kennt.
Die Wellen über Trumps jüngsten Wahlkampffeldzug schlagen hoch. Er selbst verkauft die Operationen von Bundestruppen im Inneren als Law and Order-Politik, die sich gegen Gewalt richtet, deren Ursache eine linksradikale Tendenz ist, die zu Chaos führt. Die Politiker aus der demokratischen Partei würden damit nicht zurechtkommen oder die Unordnung gar befördern. Daher nennt er die von ihm ins Spiel gebrachten Einsätze von Spezialkräften "Hilfe". Völlig ausgeblendet wird von ihm, welche Rolle die Polizei bzw. martialisch agierende Sicherheitskräfte bei der Eskaltion von Gewalt spielen.
... Ablehnung ...
Das sieht die Bürgermeisterin von Chicago anders. Lori Lightfoot lehnt diese Art der "Hilfe" ab: "Wir brauchen diese bundesstaatlichen Kräfte (federal agents) nicht, die ohne Abzeichen sind und Menschen von der Straße holen und sie, wovon ich überzeugt bin, ohne gesetzliche Grundlage festhalten."
Sie hätte Prügel und andere Gewalt der "Helfer" hinzufügen können, jedenfalls ist sie nicht allein mit ihrer Kritik an Trumps jüngstem Vorgehen. In öffentlichen Bekundungen äußern Demokraten, dass nicht die USA außer Kontrolle seien, sondern der Präsident.
... und "Diktatur"
In sozialen Netzwerken, aber auch auf der Meinungsseite der New York Times, liest man von "Diktatur". Ein emeritierter Harvard-Verfassungsrechtsprofessor verlinkt auf einen Clip, der Vorgänge in Portland auf eine Weise zeigt, die es ebenfalls mit düsteren Comic-Welten aufnehmen kann: "This is how it starts."
150 Spezialkräfte: Der Plan
150 Spezialkräfte will die US-Regierung nach Chicago schicken, berichtet die Chicago Tribune. Eigene Recherchen hätten zu einem Plan geführt, der im Homeland-Ministerium ausgearbeitet worden sei.
Schon in Portland war die Rede davon, dass vermutlich Spezialeinheiten des Grenzschutzes CPB (Border Patrol Tactical Unit - BORTAC) und Angehörige der US Marshals Special Operations Group eingesetzt wurden. Die Chicago Tribune berichtet mit Bezug auf ungenannte Quellen davon, dass Kräfte der Homeland Security Investigations (HSI) andere Bundespolizisten (federal law enforcement) und die Polizei in Chicago unterstützen sollen.
Allerdings ist der genaue Plan nicht bekannt und, wie die Polizei in Chicago mitteilt, damit auch nicht, wie die Koordinierung der Einsätze aussehen würde. Klar ist nur, dass die örtliche Polizei den Sicherheitskräften vom Bund unterstellt wäre.
Das Homeland-Ministerium habe auf Anfragen nicht geantwortet, so die Chicago Tribune. Aber das Justizministerium habe ihr gegenüber angekündigt, dass es bald eine öffentliche Bekanntmachung zur Ausweitung der sogenannten "Operation Legend" gebe. In deren Rahmen habe es bereits in Kansas City eine Zusammenarbeit zwischen Bundespolizeibehörden, dem FBI und dem U.S. Marshals Service, und der örtlichen Polizei gegeben.
Operation Legend
Das Argument für die Operation Legend, die am 8. Juli vom Justizminister William P. Barr offiziell bekannt gegeben wurde - und die die Zusammenarbeit zwischen Bundes- (FBI, U.S. Marshal Service, DEA, ATF) mit lokalen Sicherheitskräften begründet -, ist der Kampf gegen den "plötzlichen Anstieg von Gewalt in US-Städten".
Weder die George-Floyd-Proteste noch das Stürzen von Denkmälern wird in diesem offiziellen Schreiben erwähnt. Dennoch ist das ein Hintergrund, der dazu gehört. Trump selbst erwähnte die Gewalt der Proteste, die zum Sturz von Denkmälern führten oder dies beabsichtigen, in einigen Tweets. Das überspannende Element aus seiner Perspektive ist die "Gefahr und die Gewalt der Linksradikalen", die den Einsatz von Bundestruppen rechtfertigen soll - es wird viel in einen Topf geworfen und dazu ein Deckel gefertigt.
Von Befürwortern der Law and Order-Politik Trumps wird dessen Argument verfochten, dass die Gewalt nicht anders unter Kontrolle zu bringen sei. Auf den ersten Blick mag das Argument begründet sein, weil Gewalttaten in Städten wie Chicago und New York in den letzten Wochen deutlich zugenommen haben, wie berichtet wird.
Allein am vergangenen Wochenende, "von Freitagnachmittag bis Montagmorgen" verzeichnete Chicago 71 Personen, auf die geschossen wurde, 12 Menschen wurden getötet. Allerdings sind die Gewalttaten nicht auf einen Nenner zu bringen. Der Polizeichef von Chicago spricht von einer "Myriade an Gründen".
Wie nötig ist der Einsatz?
Schaut man sich die geschilderten Fälle etwas näher an, so wird man aus europäischer Sicht mit einer Reihe unglaublicher Gewalttaten konfrontiert, die kein Muster präsentieren, die einen Einsatz von Spezialtruppen des Heimatministeriums "zwingend erforderlich" machen, um das Vokabular der Apologeten einer härteren und martialischen Sicherheitspolitik zu bemühen. So werden Vorfälle genannt, bei denen aus einem fahrenden Auto tödliche Schüsse auf Kinder abgegeben wurden.
Das hat nichts direkt mit den Protesten in Chicago zu tun und ist Sache der polizeilichen Aufklärung, je nach Einschätzung auch der Bundespolizei FBI, aber es ist nicht unbedingt Anlass für das Eingreifen von Bundesspezialeinheiten. Sind es aber Versammlungen von Betrunkenen, die ausarten?
Auch das gab es am vergangenen Wochenende in Chicago und vielleicht geschah die Eskalation ähnlich wie in Stuttgart oder Frankfurt - mit dem gewaltigen Unterschied, dass das Waffenrecht in den USA ein ganz anderes ist als in Deutschland.
Diese Eskalationsquelle wird aber von der Regierung Trump aus einer Interessensverquickung mit der NRA aus sämtlichen Diskussionen herausgehalten ebenso wie die Vorgeschichten, die dazu geführt haben, dass sich das Klima in Chicago seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd weiter aufgeheizt hat.
Der Ansatz der Bürgermeisterin von Chicago ist politisch. Von einer polizeilichen Überforderung spricht sie nicht. Als Kennerin der örtlichen Gegebenheiten ist sie ernst zu nehmen. Ein größerer Einsatz von Bundessicherheitskräften in Stärke von 150 Personen riskiert in dem aufgeladenen Klima eine weitere Eskalation.
Als legale Grundlage für den Einsatz von Spezialtruppen in Portland wird ein internes Memo innerhalb des Heimatschutzministeriums herangezogen. Das bezieht sich auf gewalttätige Ausschreitungen gegen Denkmäler und Gebäude.
Hierzu werden von Verteidigern des Trumpschen Ansatzes Situationen vorgebracht, ähnlich wie es sich z.B. in Chicago zugetragen hat. Eine Menge von Demonstranten strömt auf ein Denkmal zuströmt. Die Absicht, dass eine George-Washington-Statue gestürzt werden soll, ist ersichtlich, ebenso die Anwendung von Gewalt. Gezeigt wird eine Art "schwarzer Block", eine durch Regenschirme verdeckte Gruppe, von der behauptet wird, dass sie einen gewalttätigen Kern ausmacht.
Nun ist es aber den Ordnungskräften auch ohne Hilfe der Spezialtruppen gelungen, das Denkmal vor dem Sturz zu bewahren. Das könnte man als Indiz dafür nehmen, dass diese Hilfe nicht zwingend nötig ist.
Ein politisch gestricktes Vorhaben
Umso auffälliger wird dagegen, dass Trumps Vorhaben vor allem politisch gestrickt ist und da wird es kritisch, weil er Wahlkampf mit Mitteln polizeilicher Gewalt macht, die ihrerseits zur Eskalation beiträgt und auf einem dünnen legalen Boden steht.
Sollte der Einsatz legal völlig in Ordnung sein, warum wird er dann von Sicherheitskräften durchgeführt, die weder Abzeichen noch Namensschilder tragen, so dass er einem verdeckten Einsatz gleicht? Könnte man den Einsatz glasklar rechtfertigen, so wäre dieses Versteckspiel unnötig.
Trump schöpft aus dem Reservoir aus Ängsten und Erregungen, die sich an Bürgerkriegs-Szenarien hochranken. Die finden nicht nur in rechten Kreisen Resonanz. Zupass kommt dem gegenwärtigen US-Präsidenten auch "Pioniervorabeiten" der jüngeren US-amerikanischen Geschichte seit den Anschlägen vom 9. September 2001. Seither wurden die Grenzen der Gesetze, legitimiert durch den Kampf gegen den Terror, möglichst weit ausgedehnt, der Einsatz von Kampftruppen außerhalb bisher geltender Grenzen wurde auf umstrittenen Grundlagen ermöglicht und Prävention wurde zu einem neuen bestimmenden Element.
Wenn Trump nun zur Begründung für den Einsatz von Grenzpolizisten im Inneren eine Reihe aufstellt, die von den Demokraten bis zu Linksradikalen reicht und verstehen lässt, dass sich da eine Machtübernahme andeutet, die das Gefüge der USA kippt, dann rührt er an Ängste, die mit der Terrorgefahr im Inneren verbunden sind.
Doch gibt es in den USA Grenzen der Präsidentenmacht. Wie die eher pro-demokratisch gesinnt Publikation The Hill berichtet, sind demokratische Abgeordnete dabei, mit rechtlichen Mitteln gegen Trumps Plan vorzugehen.