Trump und die "Fake News"
Der Streit um Teilnehmerzahlen und Einschaltquoten zeigt, wie unscharf "Wahrheiten" im Bereich der Politik sein können
Dass es Bereiche mit klaren und andere Bereiche mit weniger klaren Wahrheiten gibt, lernt man bereits in der Schule: Während es für Mathematik-, Physik- und Chemieaufgaben meist nur eine richtige Lösung gibt, muss man für Fächer wie Deutsch, Geschichte und Sozialkunde die Vorlieben (und manchmal auch die Launen) des Lehrers kennen, der die Aufgaben korrigiert. Dass es diese Unterschiede auch in der richtigen Welt gibt, zeigen die Auseinandersetzungen um die Teilnehmerzahlen und Einschaltquoten der Veranstaltungen am Wochenende.
Mit diesen Zahlen liefern sich der US-Präsident und dessen in Medien etablierte Gegner ein bizarres Duell, das die Satirezeitschrit Der Postillon mit einer Parodie perfekt auf den Punkt brachte. Anlass dafür war, dass Trump-Gegner einen "Frauenmarsch" am Sonntag in Washington als Gegenveranstaltung zur Inauguration des Präsidenten ausgerufen hatten, zu der angeblich eine halbe Million Teilnehmerinnen kam. Wem das zu wenig erschien, der rechnete einfach Veranstaltungen in anderen Städten und Ländern dazu und kam so auf Teilnehmerzahlen von bis zu 4,2 Millionen (vgl. "Frauen first").
Alleine diese unterschiedlichen Berechnungsweisen zeigen, wie schwierig ein Vergleich mit der Inauguration Trumps ist, bei der die Teilnehmerangaben von 250.000 in Trump-kritischen-Medien bis hin zu eineinhalb Millionen in Trumps eigener Wahrnehmung reichen. Gezählt hat die Teilnehmer freilich niemand. Auch Fotos sind nur sehr bedingt aussagekräftig, wie ein häufig getwittertes Beispiel von einem vollen Kapitolplatz vor der Amtseinführung Barack Obamas und einem weitgehend leeren vor der Amtseinführung Trumps (hier im Gigapixel-Format) zeigt.
Das Wetter und die U-Bahn
Eine Erklärung für den gravierenden Unterschied ist nämlich, dass bei Obamas Inauguration die Sonne schien, weshalb sich viele Zuschauer schon 45 Minuten vorher einfanden, während sie beim kalten Wetter am Freitag eher kurz vor Beginn der Vereidigung erschienen, wie später aufgenommene Bilder zeigen. Donald Trump sollen die beiden 45 Minuten vor der Inauguration aufgenommenen Fotos so erregt haben, dass er dem National Park Service, von dem sie stammen, das Twittern verbot und Medien über seinen Pressesprecher drohte, sie wegen "Fake News" zu verklagen.
Weil oberirdisch nicht gezählt wurde, griff Trumps Sprecher Sean Spicer auf Zahlen aus der U-Bahn zurück und stellte 420.000 Benutzer vom Samstag 317.000 am Tag von Obamas letzter Vereidigung gegenüber. Auch diese Zahlen vermitteln nur sehr bedingt eine objektive Wahrheit, weil sie zu verschiedenen Tageszeiten ermittelt wurden. Nimmt man andere Tageszeiten zum Vergleich, liefert die Zahl der U-Bahn-Fahrgäste mit knapp 571.000 am Freitag und 782.000 vor vier Jahren eher ein Indiz dafür, dass Obama bei seinen beiden Inaugurationen mehr Menschen zuschauten als Trump bei seiner ersten, wie Trump Beraterin Kellyanne Conway auf NBC mit ihrem Rückzugsbegriff "alternative Fakten" (für den man in Deutschland traditionell "Sachverhaltsoptimierung" sagt) indirekt einräumen musste.
Ein "Heimspiel" und ein kostenloses Kurzkonzert
Tatsächlich hatte Obama mit geschätzten 1,8 Millionen zumindest 2009 wahrscheinlich mehr Zuschauer als Trump: Er hatte als erster schwarzer Präsident in der zu über 50 Prozent afro-amerikanischen Hauptstadt ein "Heimspiel" - zumindest eher als Trump, der seine Stimmen vor allem im Kernland der USA sammelte und für den in Washington nur etwa vier Prozent der Wähler stimmten. Dafür sahen sich den Quotenmessern der Firma Nielsen zufolge mit 30,6 Millionen Zuschauern zehn Millionen mehr Trumps erste Vereidigung im Fernsehen an als Obamas zweite - aber 7,2 Millionen weniger als Obamas erste. An den Rekordhalter Ronald Reagan, der in der Vor-Internet-Ära 1981 41,8 Millionen vor die Fernsehschirme lockte, kommen beide Präsidenten aus dem 21. Jahrhundert nicht heran.
Zudem sagt die Zahl der Zuschauer nicht unbedingt etwas über deren Motivation aus. Das gilt für Trumps Inauguration genauso wie für die Veranstaltungen am Samstag, bei denen Promi-Musiker wie Madonna wahrscheinlich auch Teilnehmer anlockten, die die Veranstaltung vorwiegend als günstige Gelegenheit für einen Auftritt sahen, für den sie sonst eine höhere zwei- oder niedrigere dreistellige Summe hinblättern müssten. Im letzten Jahr zahlte eine halbe Million Amerikaner so viel Geld, um einem der regulären Konzerte der Sängerin beizuwohnen. Allerdings sang Madonna am Sonntag nur zwei Stücke und hielt während des Rests ihrer Bühnenzeit eine Rede, in der sie davon phantasierte, das Weiße Haus in die Luft zu sprengen.
Der Website der Frauenmärsche zufolge waren die Veranstaltungen außerdem Demonstrationen einer "internationalen Bewegung [und] kein US-Wahl-spezifischer Protest per se". Es könnte also durchaus sein, dass es Teilnehmerinnen dabei nicht in erster Linie um Trump, sondern um ganz andere Sachen ging. Mitveranstalterin der Märsche war beispielsweise die palästinensischstämmige Amerikanerin Linda Sarsour, die auf Twitter die Scharia verteidigt und für ein Verbot des Films Honor Diaries eintrat, der die Unterdrückung von Frauen in traditionellen islamischen Gesellschaften behandelt.
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