Tschnernobyl 3 wird wieder angefahren

Riskant ist der Reaktor auch wegen des Jahr-2000-Problems

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1986 ereignete sich die bislang schlimmste Nuklearkatastrophe in Tschernobyl, die zum Symbol für die globalen Risken der High-Tech wurde. Der Reaktor mit seinen hoch radioaktiven Inhalten wurde mit einem Sarkophag aus Zement umhüllt, aber man fürchtet angesichts der bereits aufgetretenen Risse, daß aus ihm, wenn nicht bald etwas geschieht, erneut radioaktives Material austreten könnte. Weitere zwei der insgesamt vier Atomkraftwerke von Tschernobyl wurden 1991 und 1996 geschlossen, doch der Reaktor 3 blieb weiterhin in Funktion, wurde wegen Sicherheitsmängel zuletzt im Dezember abgeschaltet und gestern wieder angefahren, wie BBC meldet.

Reaktoren vom Tschernobyl-Typ gelten als besonders unsicher. Schon lange forderten die westlichen Staaten die Abschaltung auch des letzten Reaktors bis spätestens zum Jahr 2000. Die Hälfte der Stromversorgung der Ukraine erfolgt jedoch durch Atomreaktoren - und die Regierung will erst die Fertigstellung von zwei neuen Atomreaktoren abwarten, um Tschernobyl trotz aller Bedenken über die Sicherheit ganz abzuschalten. Dafür aber wären Gelder in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar notwendig, die die Ukraine vom Westen erwartet. Die westlichen Länder haben zwar finanzielle Unterstützung zugesagt, doch die Kosten laufen davon. Die ukrainische Regierung aber ist der Überzeugung, daß sie Tschernobyl weiterhin in Betrieb lassen müssen, wenn nicht mehr Geld vom Ausland kommt.

Das macht den Eindruck einer Erpressung, mit der man zwar auch das Leben der eigenen Bevölkerung als einer Art Geisel aufs Spiel setzt. Aber das scheint der ukrainischen Regierung ziemlich egal zu sein. Ungewiß ist denn auch, wie der alte Reaktor mit seinen gleichfalls veralteten Computersystemen den Übergang ins Jahr 2000 schaffen wird. Nach Einschätzung von Experten sind vom Jahr-2000-Fehler vornehmlich die russischen Atomkraftwerke gefährdet. Hier könnten interne Komponenten oder Sensoren betroffen sein, die etwa automatisch die Zufuhr von Kühlwasser regeln. In vielen Komponenten wie Pumpen oder Generatoren befinden sich eingebettete Chips. Und zu den besonders gefährdeten Reaktoren gehört unter anderem das Kraftwerk Nr. 3 in Tschernobyl.

Verstärkt wird das Risiko möglicherweise noch durch einen Streik der Angestellten in Tschernobyl und anderen Reaktoren in der Ukraine, die ihre ausstehenden Löhne in Höhe von 15 Millionen Dollar fordern.

Der Konflikt könnte ein Modell für künftige Auseinandersetzungen zwischen reichen und armen Staaten werden. Umweltkatastrophen sind lokal nicht begrenzbar und können weite Teile der Welt betreffen. Ein Land kann gewissermaßen Selbstmord ankündigen, umweltschädigende Produktion weiter betreiben, Wälder rigoros abholzen, sich in eine wirtschaftliche Krise oder in soziale Unruhen stürzen oder etwas anderes machen, was die Weltwirtschaft oder das künftige Überleben der Menschheit bedrohen könnte, um Gelder von den reichen Mitgliedern der Weltgemeinschaft zu erpressen. Während die aus eigenem Interesse für freien Handel plädieren, setzen die Parias den freien Austausch der Gefährdungen entgegen, wenn sie denn bereit sind, die eigenen Bürger im Verhandlungsspiel einzusetzen. Wer wenig zu verlieren, aber möglicherweise viel zu gewinnen hat, mag einen solchen Einsatz wagen, zumal wenn es sich um Staaten handelt, in denen die Demokratie, soweit vorhanden, auf schwachen Füßen steht.