Türkei: Die letzte Wahl?
Die türkische Opposition sucht händeringend einen Kandidaten gegen Erdogan - und doch könnte es die letzte Wahl sein, bevor das Land endgültig zur Diktatur wird
In der Türkei beginnt der Wahlkampf - schon wieder. Gerade mal ein Jahr ist vergangen seit dem umstrittenen Verfassungsreferendum, das knapp für die Einführung eines Präsidialsystems ausging. In Kraft tritt die Reform, die den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan faktisch zum Alleinherrscher machen soll, allerdings erst nach der nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahl. Diese wurde nun vom November 2019 auf den 24. Juni 2018 vorgezogen.
Die Türken sind nach der Vielzahl der Urnengänge in den vergangenen Jahren, inklusive der von der Regierungspartei AKP erzwungenen Neuwahlen im Jahr 2015, wahlmüde. Doch Erdogan muss sich beeilen. Die türkische Wirtschaft sackt immer weiter ab, die Inflation steigt, und Erdogan weiß, dass ein großer Teil seiner treuen Anhängerschaft ihn vor allem deshalb wählt, weil er es geschafft hat, ihren Lebensstandard anzuheben.
Er kann es sich nicht leisten, die Wahl in eine ökonomische Krisenzeit fallen zu lassen. Um ganz sicher zu gehen, hat er sich mit einer Reform des Wahlgesetzes im März alle Optionen offen gehalten: Die Regierungspartei kontrolliert die Wahlen, Manipulationen sind legalisiert. Im Grunde kann also nichts mehr schiefgehen. Oder?
"Die Demokratie retten"
Die Oppositionsparteien jedenfalls geben sich kämpferisch, wirken dabei aber reichlich konfus. Der frühe Wahltermin hat sie sichtlich überrumpelt - obwohl mit vorgezogenen Wahlen zu rechnen war. Sie müssen nun Bündnisse schmieden und einen Gegenkandidaten zu Erdogan präsentieren, womit sie sich schwer tun. Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, sagte am Dienstag, man sei "bereit, Opfer zu bringen".
Es gehe darum, "die Demokratie zu retten und die Republik wieder aufzubauen". Erdogan konterte, Kilicdaroglu solle aufhören, nach einem Kandidaten zu suchen und selbst antreten. Doch Kilicdaroglu ist eine blasse Figur ohne klare Linie. Er kann kaum Wähler überzeugen und steht seit Jahren symbolisch für die Schwäche der einstigen Atatürk-Partei.
Und nun sind ihm auch noch fünfzehn Abgeordnete abgesprungen. Der frühe Wahltermin zielte wohl auch darauf, die neu gegründete Iyi Parti der früheren Innenministerin Meral Aksener auszubremsen. Beinahe hätte sie aufgrund der Regularien nicht zur Wahl antreten können. Doch durch die Rochade hat sie nun zwanzig Abgeordnete im Parlament.
Fünf kommen von der rechtsradikalen MHP, aus deren Aussteigern sich ein Großteil der Partei rekrutiert, die restlichen von der CHP. Zwar wurde dieser Zug in ersten Reaktionen als Zeichen dafür gefeiert, dass die zerstrittene Opposition nun doch zu Einigkeit findet. Doch ob Kilicdaroglu über die Schwächung der eigenen Reihen sonderlich glücklich ist, darf bezweifelt werden.
Die Chancen der Bündnisse
Erdogan beschimpfte die fünfzehn Parlamentarier umgehend als "sogenannte Abgeordnete, die das Parlament beschmutzen". Meral Aksener wird als harte Gegnerin für Erdogan gehandelt. Ihre neue Partei kam schon vor der offiziellen Gründung in Umfragen auf rund zwanzig Prozent Zustimmung.
Ob ein Bündnis aus Iyi Parti, CHP und der islamistischen SP eine Chance gegen das Bündnis aus AKP und MHP hat, ist aber fraglich. Es kommt wohl maßgeblich auf den gemeinsamen Kandidaten an, den die drei Parteien aufstellen. Und dass sie sich nicht durchringen können, die linksliberale, prokurdische HDP ebenfalls einzubeziehen, zeigt, dass sie noch lange nicht bereit sind, die eigentlichen Probleme des Landes anzugehen.
Abdullah Gül
Viel gemunkelt wurde in den letzten Tagen über die Frage, wen die Opposition gegen Erdogan ins Rennen schicken könnte, und ein Name fiel immer wieder: Der des ehemaligen Staatspräsidenten Abdullah Gül. Gül war einst enger Weggefährte Erdogans, doch in seinen letzten Amtsjahren kam es zum Bruch. Immer wieder übte Gül Kritik an Erdogans Staatsführung.
Nach seinem Amtsende 2014 zog er sich aus der Politik und auch weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Vor allem die SP hofft wohl noch, Gül als Kandidaten gewinnen zu können. Die CHP hingegen dementierte am Mittwoch, dass über Gül überhaupt nur gesprochen worden sei. Und Meral Aksener bügelte die Debatte ab, indem sie forderte, im ersten Wahlgang sollten alle Parteien je eigene Kandidaten aufstellen.
Sie selbst wolle für die Iyi Parti antreten. Aksener weiß, dass ihre Chancen gar nicht mal schlecht stehen. Sie ist charismatisch, ein Politprofi mit Profil. Allerdings könnte es den ohnehin schwierigen Oppositionswahlkampf vom ersten Moment abwürgen, wenn die Parteien nicht in der Lage sind, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen - Erdogan hätte es dann leicht, ihnen das als Schwäche auszulegen und auf ihre Uneinigkeit zu verweisen.