Türkei: Erdogan will Social Media sperren
Der türkische Präsident holt zu einem weitreichenden Schlag gegen die Meinungsfreiheit im Land aus
Es steht nicht gut um die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Seit Jahren werden kritische Stimmen, sei es aus den Medien oder aus der Zivilbevölkerung, von Recep Tayyip Erdogans Regime systematisch verfolgt.
Journalisten und Schriftsteller sind in Haft, vereinzelte Freisprüche werden im Nachhinein wieder aufgehoben wie jüngst im Fall der im deutschen Exil lebenden Autorin Asli Erdogan. Mehrfach gab es Fälle, in denen politische Gefangene freigelassen und dann nur wenige Stunden oder Tage später unter neuen konstruierten Vorwürfen wieder inhaftiert wurden.
"Das ist psychologische Folter", kommentiert Asli Erdogan dieses vorgehen. Sie musste es Ende 2016 am eigenen Leib erfahren, hat gesehen, wie Mitgefangene daran zerbrochen sind. "Das ist beabsichtigt", sagt sie.
Ein Großteil der Medien wurde verboten oder verstaatlicht oder von AKP-treuen Verlegern übernommen, über den wenigen noch halbwegs freien Medien schwebt beständig ein Damoklesschwert. Aber auch wer es wagt, die Regierung in den Sozialen Medien zu kritisieren, muss mit Konsequenzen rechnen. Zehntausende wurden in diesem Kontext bereits angeklagt. Zuletzt nahmen die Repressionen im Zuge der Corona-Krise wieder zu. Erdogan duldet keine Kritik an seinem erratischen Krisenmanagement.
"Diese Art von Medien passen nicht zu dieser Nation"
Nun holt er zu einem neuen Schlag aus, der weitreichender sein könnte als alles bisher. Nachdem sein Schwiegersohn wiederholt auf Twitter und Facebook angegriffen wurde, kündigte der Staatspräsident ein neues Gesetz an. Die staatsnahe türkische Zeitung Hürriyet zitiert ihn mit den Worten:
"Wir arbeiten an einer gesetzlichen Reglung. Diese Art von Medien passen nicht zu dieser Nation. Sobald wir es in unser Parlament bringen, wollen wir, dass Social-Media-Kanäle vollständig entfernt und kontrolliert werden."
Neben Youtube und Twitter erwähnte er auch den Streaming-Anbieter Netflix.
Das wäre der bislang größte Angriff Erdogans auf die Meinungsfreiheit im Internet. Bereits in der Vergangenheit gab es immer mal wieder temporäre Sperren von Twitter und Facebook; Youtube und das Online-Lexikon Wikipedia waren zeitweise über Monate in der Türkei nicht zu erreichen, weil der Präsident sich an einzelnen Inhalten störte.
Zwar lassen sich solche Sperren mit technischen Tricks umgehen, doch für die große Mehrheit der Nutzer werden diese Medien schlicht unsichtbar. Erdogan sind sie seit langer Zeit ein Dorn im Auge, da insbesondere die junge Generation via Social Media die Gleichschaltung der Presse im Land umgeht - mit schweren Folgen. Bisweilen reichte ein Like auf einen regierungskritischen Beitrag, um in der Türkei vor Gericht zu landen.
Der neuste Zensur-Vorstoß könnte auch damit zu tun haben, dass Erdogans jüngste Versuche, junge Menschen via Twitter und Youtube für sich zu gewinnen, ordentlich nach hinten losging. Gerade in der jungen und gebildeten Generation hat die AKP kaum noch Rückhalt.
Als Erdogan im Juni die Abschlussprüfungen an den Schulen vorzog, um die Ferien für den angeschlagenen Tourismussektor zu verlängern, landete er in einem Twitter-Shitstorm. Und auch der Versuch, mit einer Liveübertragung via Youtube die Wogen zu glätten, ging schief: In den Kommentaren dominierte die Ablehnung, unzählige Nutzer verwiesen darauf, ihm bei den Wahlen 2023 die Rechnung zu präsentieren.