Türkei: Flüchtlingsabkommen mit EU "teilweise ausgesetzt"
Die Eskalation im Streit zwischen der türkischen Regierung und EU führt zur nächsten Stufe. Auch verbal wird zugelegt: Cavusoglu sieht Europa als Schauplatz von Religionskriegen
Türkische Regierungsvertreter hatten in den letzten Wochen immer wieder gedroht, das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen. Die Äußerungen wurden meist als Warnschüsse behandelt.
Kritiker der Merkelschen Flüchtlingspolitik sahen sich jedes Mal bestätigt, die deutsche Kanzlerin Merkel und in ihrem Gefolge die EU haben einen großen Fehler mit dieser Abmachung begangen. Sie haben sich auf einen Deal mit einem machthungrigen und unberechenbaren Politiker an der Spitze der Türkei eingelassen, der seine Spielräume weidlich ausnutzt, Ärger ist vorprogrammiert, hieß es schon bei der Vorbereitung zum Flüchtlingsabkommen.
"Keine Flüchtlinge von den griechischen Inseln werden zurückgenommen"
Jetzt, wo sich die Erregungswellen zwischen der Türkei und den Niederlanden und Deutschland immer weiter auftürmen, hat die türkische Regierung das Flüchtlingsabkommen "offenbar teilweise ausgesetzt", wie Die Welt und andere deutsche Medien berichten. Im FAZ-Bericht wird sogar das Wort "offenbar" ausgelassen.
Quelle der Medienberichte ist eine Aussage des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu gegenüber dem Fernsehsender 24 TV am Mittwoch. Demnach gab er bekannt, dass "derzeit keine Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückgenommen" würden. Der Faktencheck steht noch aus, unübersehbar ist, dass die Aufkündigungsdrohung nun verschärft wird. Reaktionen von der Bundesregierung sind noch nicht bekannt. Das wiederum ist nichts Neues, Abwarten ist Merkels Standardeinstellung.
Streitpunkt Visa-Erleichterungen
Begleitet wird Cavusoglus Fernsehansage von einer Äußerung des türkischen EU-Ministers Ömer Çelik ebenfalls vom Mittwoch. Laut der regierungsnahen Zeitung Daily Sabah sagte Çelik, dass die Zeit gekommen sei, dass die Türkei das Flüchtlingsabkommen mit der Europäischen Union überdenkt.
Interessant ist die Begründung, die dieses Mal angeführt wird, nämlich die Visa-Erleichterungen, Es sei nun offen zu sehen, wird Çelik zitiert, dass die EU ihr "Visafreiheits-Versprechen" nicht halte. Das Vorwurfsmuster bleibt das übliche: Während die Türkei" all ihre Verpflichtungen in Bezug auf die Vereinbarung" erfülle, versäume es die EU, ihr Versprechen zu halten.
Die Aussage ist wie andere zuvor mit einem Spin versehen. Sie ist an mehreren Punkten ungenau. Es geht nicht um ein "Visafreiheits-Versprechen", sondern um Visa-Erleichterungen und die Verhandlungen darüber stocken schon seit einer ganzen Weile, weil die EU die Erleichterungen wegen des türkischen Anti-Terror-Gesetzes nicht gewähren will. Das weiß die türkische Regierung seit fast einem Jahr, darüber informiert war sie sicher schon länger.
Der Streit über die Reform des türkischen Anti-Terror-Gesetzes, das die EU zur Voraussetzung der Visa-Erleichterungen machte, hatte bereits im Mai 2016 als es keine Bewegung zwischen den beiden Partnern gab, die Frage aufgeworfen, ob das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei auf der Kippe steht.
Die Visa-Freiheit ist ein Muss, wird Cavusoglu nun zitiert. Die EU hat seit Mai 2016 nun eine zigtausendfache Bestätigung dafür erfahren, dass sie mit ihren Vorbehalten gegen die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei völlig Recht hat. Sogar unter AKP-Anhängern wird im Privaten Unbehagen und Kritik an der gigantischen Verhaftungswelle in der Türkei geäußert.
"Europa wird zum Schauplatz von Religionskriegen"
Indessen hangelt sich der türkische Außenminister bei anderen Äußerungen die Eskalationsleiter hoch, es ist Wahlkampf in der Türkei, die Regierung will unbedingt ein "Ja" beim Referendum zur Ausweitung der Macht Erdogans. Bei Ansprachen geht es hoch her.
So warnte Cavusoglu heute in einer Reaktion auf die niederländische Wahl davor, dass Europa bald der "Schauplatz von Religionskriegen" sein werde. Dazu gab es eine Spitze gegen die Niederlande: Er sehe keine Unterschiede zwischen den Sozialdemokraten und dem Faschisten Wilders. Alle hätten die gleiche Mentalität.