Türkei: Regierungsbildung ohne AKP?
Die Kurdenpartei HDP ist angeblich offen für eine Zusammenarbeit mit der nationalistischen MHP - der Partei der "Grauen Wölfe"
Bei den türkischen Parlamentswahlen am letzten Sonntag verlor die regierende islamisch-konservative AKP 8,9 Punkte und kam auf nur mehr 40,9 Prozent der Stimmen. Im Parlament hat sie jetzt 258 von insgesamt 550 Sitzen. Die sozialdemokratisch-kemalistische CHP wurde mit 25 Prozent und 132 Sitzen zweitstärkste Partei. Auf den dritten Platz landete die nationalistische MHP, die es auf 16,3 Prozent und 80 Mandate brachte.
Dass die AKP keine Mandatsmehrheit erreichte, lag auch daran, dass die HDP mit 13,1 Prozent die Zehn-Prozent-Hürde übersprang und nun ebenfalls mit 80 Abgeordneten im Parlament sitzt. Dieses Ergebnis schaffte die Kurdenpartei auch dadurch, dass sie sich im Rest der Türkei als Linkspartei präsentierte. Damit schloss sie eine Angebotslücke und zog nichtkurdische Wähler an.
Wer die nächste Regierung bilden wird, ist unklar: AKP-Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu meinte, seine Partei sei grundsätzlich für jede Zusammenarbeit offen. Die potenziellen Partner geben sich jedoch bislang wenig an einer Koalition interessiert: Der MHP-Chef Devlet Bahçeli und der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş winkten bereits ab (obwohl sie ihre Meinung freilich wieder ändern könnten, wenn ihnen von der AKP entsprechend verlockende Angebote gemacht würden). Und die CHP versteht sich als den Zielen der AKP diametral entgegenstehende Wahrerin des Säkularismus.
Kommt innerhalb von 45 Tagen nach dem Auftrag zur Regierungsbildung durch den Staatspräsidenten keine Koalition zustande, dann sieht das türkische Recht Neuwahlen vor. Der AKP könnte das möglicherweise die am wenigsten unangenehme Option sein. Darauf deuten andere Äußerungen Davutoğlus hin: Er meint zum Beispiel, Koalitionsregierungen würden sich für die Türkei nicht eignen und nicht lange halten. Möglicherweise hofft man in der AKP darauf, dass sich in einem zweiten Wahlgang Wähler um der Stabilität ihres Staates willen mit Bauchschmerzen für die Partei entscheiden.
Um eine Neuwahl zu verhindern, müssten die drei kleineren Parteien gemeinsam eine Regierung bilden. Reuters und Hürriyet meldeten gestern, dass die HDB grundsätzlich zu so einer Zusammenarbeit bereit wäre. Die HDP-Abgeordnete Feleknas Uca, die aus Celle stammt und vorher für die PDS und die Linke im Europaparlament saß, hat diese Meldung auf mehrere Anfragen von Telepolis hin bislang weder dementiert noch bestätigt.
Ein Bündnis, dem sowohl die HDP als auch die MHP angehören, wäre insofern bemerkenswert, als die MHP nicht nur in der Kurden- und Minderheitenpolitik ganz andere Ziele verfolgt, als sie die HDP im Wahlkampf propagierte: Ihren Anhänger, den "Grauen Wölfen", werden Hunderte politische Morde in den 1970er und 1980er Jahren zugeschrieben. Auf der anderen Seite wird auch vielen HDP-Politikern eine Nähe zur PKK nachgesagt, auf deren Konto in den 1980er und 1990er Jahren Tausende Todesopfer gehen sollen.
Käme solch ein Bündnis zustande, dann würde es deutsche Fans der HDP auf jeden Fall in schwerere kognitive Dissonanzen stürzen, als es die Koalition der griechischen Linkspartei SYRIZA mit der als "rechtspopulistisch" kritisierten ANEL brachte. Das könnte einer der Gründe dafür sein, warum Ucas bislang offen ließ, mit welchen deutschen und österreichischen Parteien sie die MHP am ehesten vergleichen würde.
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