Türkei: Unterwegs nach 2019
Seite 2: Fragen zu den Hintergründen der Putschnacht von 2016
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Derweil sind die Hintergründe der Putschnacht von 2016 weiter im Dunkeln. Aus den Prozessen gegen Putschbeteiligte geht aber längst hervor, dass die Version Erdogans kaum mehr haltbar ist. Es sieht vielmehr so aus, als habe sich der engste Kreis der Putschisten sowohl aus Gülenisten, Kemalisten und Angehörigen weiterer Gruppen zusammengesetzt.
Weiter steht die Frage im Raum, ab wann die Regierung von den Plänen wusste, da der Geheimdienst offenbar vorab informiert war. Eine Anhörung von Geheimdienstchef Hakan Fidan in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss hatte die AKP allerdings verhindert.
Anstatt zur Aufklärung beizutragen, beharrt die AKP auf ihrer Version der Ereignisse - wohl um nicht die Rechtfertigungsgrundlage für die massiven, seit über einem Jahr anhaltenden Säuberungsaktionen zu verlieren. Seither wurden nicht nur Zehntausende echte oder vermeintlichen Gülenisten inhaftiert, sondern auch zahllose kurdische und linke Politiker, Journalisten, Aktivisten, Lehrer, Anwälte, Richter, Polizisten.
Über 120.000 Personen wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Insgesamt laufen über 100.000 Strafverfahren. Die Gefängnisse sind überfüllt, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten von schwerer Folter und desolaten Zuständen.
Säuberungen in der AKP
Diese Säuberungen haben inzwischen auch die AKP erreicht. Nicht lange nach dem Verfassungsreferendum im April kündigte Erdogan an, die Partei umbauen zu wollen. Dieser Umbau ist inzwischen in vollem Gange und zielt offenbar in erster Linie darauf, jegliche Machtfaktoren neben dem Staatschef selbst auszuschalten - selbst wenn es sich um seit Jahrzehnten treue Parteisoldaten wie Ankaras Bürgermeister Melih Gökcek handelt.
Gökcek, seit 1994 im Amt, verkündete Anfang der Woche, dass er sein Amt aufgebe. Knapp einen Monat zuvor war der Istanbuler Bürgermeister Kadir Topbas zurückgetreten. Die beiden sind nicht die einzigen hochrangigen AKP-Kader, die ihren Hut nehmen. Und sie tun das nicht aus freien Stücken. Erdogan hatte sie öffentlich dazu aufgefordert und sich dann zu Einzelgesprächen mit ihnen getroffen.
Dabei geht es vor allem um die Schicksalswahl 2019, die Erdogan um jeden Preis gewinnen muss, um sein Präsidialsystem zu etablieren. Da die AKP derzeit aber die absolute Mehrheit verpassen würde, drängt die oppositionelle CHP auf vorgezogene Wahlen. Die AKP hatte das zuletzt mehrfach ausgeschlossen. Erdogan weiß, dass das für ihn nicht gut ausgehen könnte - und das obwohl er die oberste Wahlbehörde bereits auf Linie gebracht hat, wie sich beim Referendum zeigte.
Trotz aller harten Rhetorik dürfte er dafür um ein gutes Verhältnis zur Bundesregierung bemüht sein, die er nicht zuletzt wegen der schwächelnden Wirtschaft braucht. Die Frage ist, ob man in Berlin aus demselben Grund - der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - weiterhin eher zurückhaltend bleibt, was die Kritik an Menschenrechtsverletzungen betrifft.