Türkei: Wasser als Waffe

Seite 2: Strategische Wasserregulierung

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Ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe ist durch die Wasserpolitik der Türkei gefährdet: die Austrocknung des Ökosystems am Oberlauf des Tigris bedroht auch die Lebensfähigkeit der irakischen Sumpfgebiete Al-Ahwar, die vor kurzem auf die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste gesetzt wurden. Es gelangt nicht mehr genug Wasser in die Sumpfgebiete im südlichen Irak zwischen Bagdad und Basra.

Der Ausbau des Staudamm-Netzes von Euphrat und Tigris versetzt die Türkei zudem in die Lage, Wasser als Kriegswaffe einzusetzen. Schon der ehemalige Staatspräsident Turgut Özal (von 1989-1993 im Amt) erkannte:

Die anderen Staaten der Region haben Öl, wir haben Wasser.

Turgut Özal

Wasser wurde und wird wie das Öl in den verschiedensten Regionen der Welt als Waffe eingesetzt. Ein unrühmliches Beispiel ist hier Israel, das schon seit langem den Palästinensern Wasser vorenthält. Damit lässt sich Politik machen, man kann, ohne militärische Mittel einzusetzen, einem Staat die Versorgungsgrundlage der Bevölkerung entziehen.

Oder man kann durch die Regulierung des Wasserpegels von Flüssen in politische Krisengebiete zugunsten einer protegierten Gruppe eingreifen. Die Türkei setzt die Kontrolle über die Wassermengen von Euphrat und Tigris in Syrien und im Irak ein. Ohne das Wasser dieser beiden großen Flüsse funktioniert weder die Landwirtschaft, die fast nur auf Bewässerung basiert, noch die Trinkwasserversorgung - alle Städte entnehmen ihr Wasser aus den beiden Flüssen.

Schon in den 1980er/90er Jahren versuchte die Türkei die syrische Regierung damit zu zwingen, gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK vorzugehen. Die gleiche Politik wird nun von der türkischen Regierung gegen die syrischen Kurden verfolgt.

Tigris und Khabur

Als der IS 2016 die christlichen Dörfer nahe Hasaka, entlang des Flusses Khabur einem Nebenfluss des Tigris, überfiel, machte die Türkei genau zum richtigen Moment die Schleusen dicht, so dass der Fluss, der vorher Wasser führte, kaum noch Wasser führte.

Damit wurde dem IS ermöglicht, mit einer großen Zahl an Kämpfern und schweren Waffen, den Fluss zu den christlichen Dörfern am andern Ufer zu durchqueren. Die christlichen Oberhäupter riefen die Türkei wie die internationale Gemeinschaft um Hilfe. 1,5 Millionen Christen, Kurden und andere Zivilisten seien gefährdet.

Sie baten die Türkei, das Wasser wieder fließen zu lassen, um die Überquerung des Flusses für den IS zu verhindern und zudem die Grenzen für die Flüchtlinge zu öffnen. Nichts dergleichen geschah.

Der katholische Nachrichtendienst berichtete, die Christen und Kurden in der Region seien mit ihren leichten Waffen nicht in der Lage, das Gebiet zu verteidigen. Über 130 Menschen wurden in der Folge vom IS verschleppt, christliche Medien sprechen von über 230 verschleppten Christen, darunter viele Frauen und Kinder.

Euphrat

Der IS, die FSA (Freie Syrische Armee) und andere islamistische Milizen setzten ebenfalls auf Wasser als Kriegswaffe. 2015 erlangten sie die Kontrolle des Euphrat-Staudamms Tishrin, an dem die Wasser-und Stromversorgung von Aleppo hing sowie die Kontrolle des Tabqah-Staudammes der Provinz Raqqa.

2016 eroberten die kurdischen SDF den Tishrin-Damm zurück. Ende März gelang ihnen mit US-Unterstützung die Rückeroberung des Tabqah-Dammes im Zuge der Rakka-Offensive. Die Staudämme in der Hand der Kurden - für die Türkei ein Unding. Sie drehte ihnen kurzerhand das Wasser ab.

Anfang März 2017 konnte die "Demokratische Föderation Nordsyrien" die Wasserkraftwerke zur Stromerzeugung am Tishrin-Damm des Euphrat nicht mehr arbeiten lassen, weil aufgrund der Schließung der Staudämme in der Türkei in Syrien der Wasserstand zu niedrig war. Muhammad Rasho, ein Mitglied der demokratischen Zivilverwaltung von Manbij sagte, sie müssten Kraftstoff einsetzen, um die Generatoren in der Stadt und den benachbarten Dörfern zu betreiben.

Die Türkei verletzte mit der Wassersperrung des Euphrat die internationalen Konventionen von Energiegewinnung durch Wasser und Flüsse. Die türkische Regierung hat Syrien schon viele Male das Wasser des Euphrat abgedreht. Mit dieser Politik hat die Türkei unter anderem zum Ausbruch der Konflikte in Syrien mit beigetragen.

Nachdem Erdogan seinen ehemaligen Freund Assad, mit dessen Familie er und seine Familie einst gemeinsamen Urlaub verbrachte, zum Feind erklärt hatte, setzte er auf die Austrocknung der "Kornkammer" Syriens im Norden. Dieses fruchtbare Agrargebiet auf dem heutigen Territorium der demokratischen Föderation Nordsyriens, versorgte einen Großteil der syrischen Bevölkerung mit Agrarprodukten.

Allerdings durfte die Bevölkerung dort nur Weizen, Oliven, Gemüse etc. anbauen, die Verarbeitung erfolgte im Inland. Dies ist ein Grund, warum die Föderation in Nordsyrien kaum über verarbeitende Industrie verfügt und die Bevölkerung sehr arm war. Mit der Sperrung der Euphrat-Dämme in der Türkei vertrockneten die Anbaugebiete.

Die Bevölkerung hatte keine Arbeit und Erträge mehr. In der Folge wanderten sie massenhaft in Städte wie Aleppo ab, die dem Bevölkerungswachstum nicht gewachsen war. Konflikte unter der Bevölkerung waren vorprogrammiert und von Erdogan kalkuliert.