Türkei beginnt mit Ausbildung der libyschen Küstenwache
…und tritt damit in Konkurrenz zur EU und Italien
Türkische Streitkräfte haben mit der Ausbildung der libyschen Küstenwache begonnen, berichtet die italienische Zeitung La Repubblica. Die Zeitung bewertet dies als "weiteren Schlag" gegen den Einfluss Roms auf die libysche Einheitsregierung (GNA) in Tripolis, da diese Tätigkeit bisher von der italienischen Militärmission durchgeführt worden sei.
Auf Fotos des Verteidigungsministeriums in Ankara, die die türkischen Ausbilder, bzw. Militärberater, zeigen, ist das Patrouillenboot Ubari 660 der libyschen Küstenwache zu sehen. Es ist eins von zwei Booten, auf denen ausgebildet wird. Laut der italienischen Zeitung wurde das Patrouillenboot 2018 der GNA von der italienischen Regierung spendiert.
Der Zeitungsbericht äußert Befürchtungen, die schon länger kursieren - dass die türkische Regierung dabei ist, "Einfluss auf die Kontrolle der Migrantenströme zu nehmen", die über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa zu gelangen versuchen. "Die Initiative wird wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf die Situation in der Straße von Sizilien haben."
Das geschehe schrittweise. Schon im Januar habe es erste Operationen türkischer Marinesoldaten an der Seite der libyschen Küstenwache gegeben. Die Türkei sei "zunehmend in der Lage, zu entscheiden, ob sie die Boote anhalten oder sie ausreisen lassen wollen". Bisher ist jedoch nicht bekannt, welche Kontrolle die türkischen Militärvertreter in Libyen tatsächlich über die Küstenwache ausüben. Es gibt noch keine Berichte dazu. Klar ist, dass die militärische Schlagkraft der libyschen Einheitsregierung vollkommen von der türkischen Unterstützung abhängig ist. Entsprechend groß ist der Einfluss aus Ankara.
Anfang dieses Jahres wurde gemeldet, dass eine türkische Fregatte 30 Migranten auf einem Boot im Mittelmeer je nach Darstellung "aufgegriffen" oder "gerettet" und an die libysche Küstenwache übergeben habe, die sie nach Libyen zurückgebracht haben. Die NGO Sea-Watch bewertete dies als "Beteiligung an einem schweren Menschenrechtsverstoß".
In der Darstellung des türkischen Verteidigungsministeriums ist die Ausbildung der libyschen Küstenwache Teil der Vereinbarung (memorandum of understanding, MoU) über militärische Zusammenarbeit ("Ausbildung, Zusammenarbeit und Beratung"), die sie mit der GNA im letzten Jahr geschlossen hat. Am vergangenen Montag war der erst im August ernannte Verteidigungsminister der GNA, Mohammad Al-Haddad, zu Besuch beim türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar und dessen Generalstabschef, um die weitere Zusammenarbeit zu besprechen.
EU: 60 Millionen Euro für "libysches Grenzmanagement"
Nicht nur für Italien, sondern auch für die EU bedeutet der Einfluss der Türkei, nicht zuletzt bei der libyschen Küstenwache, eine Konkurrenz. Rund 60 Millionen Euro hat die EU für das libysche Grenzmanagement bereitgestellt. Ein großer Teil des Geldes geht an die Unterstützung der Küstenwache - über die libysche Generalbehörde für die Sicherheit der Küsten (Libyan General Administration for Coastal Security, kurz: Gacs) - wie die Publikation EU-Observer heute berichtet.
Dort wird, gestützt auf einen internen EU-Bericht, gemeldet, dass die Ausbildung von Mitgliedern der Gacs, darin eingeschlossen Personal auf Schiffen der Küstenwache, zur Wahrung von Menschenrechten, Kontrolle und Haftung nur "ärmliche Fortschritte" mache. Ob das durch die türkischen Ausbilder verbessert wird, ist noch offen.
Der EU-Observer-Bericht verweist am Ende auf Verbindungen der libyschen Küstenwache, die wenig ruhmreich sind. Gemeldet wird die Festnahme von Abd al-Rahman Milad. Milad ist ein berüchtiger Schleuser mit berüchtigt brutalen Methoden - zugelich kommandierte er die libysche Küstenwache bei Zawiya. Der UN-Sicherheitsrat hatte ihn schon vor zwei Jahren auf eine Sanktionsliste gesetzt ( UN-Sanktionen gegen Drahtzieher des Schleppergeschäfts).
Welche Rolle Milizenführer und Schleuser gegenwärtig in der libyschen Küstenwache spielen, ist schwer zu ermitteln, herausgestellt werden in Medienberichten meist die guten Verbindungen zwischen Besatzungen der Küstenwache und Milizen, die die Aufsicht über die Lager haben, in die aufgegriffene Migranten verbracht werden.
Dass die libysche Küstenwache weiter mit Milizen verquickt ist und zumindest in Teilen sehr militant vorgeht kann, zeigte sich im November letzen Jahres, als die deutsche Staatsanwaltschaft gegen "bewaffnete libysche Milizen" ermittelte, die das deutsche Rettungsschiff Alan Kurdi mit Schusswaffen bei einem Einsatz angegriffen hatte. "Die libysche Küstenwache" teilt sich, worauf der Telepolis-Bericht dazu aufmerksam machte, in "zwei Behörden mit überlappenden Funktionen" auf:
"Die Polizeiküstenwache des Innenministeriums ist eine Strafverfolgungsbehörde, die innerhalb der Zwölfmeilenzone und entlang der Küste tätig ist. Die Küstenwache des Verteidigungsministeriums ist hingegen für die Hoheitsgewässer zuständig."
Wie die Zusammenarbeit der türkischen Militärs mit der libyschen Küstenwache konzipiert ist, wird erst herausstellen. Im erwähnten Bericht der La Repubblica wird die Ausbildung durch die türkischen Militärberater als weiteres Signal der Provokation für die italienische Libyen-Politik geschildert:
"Es ist kein Zufall: Erdogans Soldaten in Nordafrika haben ein stimmungsvolles Symbol angenommen. Es reproduziert ein berühmtes Foto des jungen Atatürk, des Vaters der modernen Türkei, mit einer Pfeife in der Hand, während er 1911 den Widerstand gegen die Italiener anführte. In einigen der Wappen, die heute über den Uniformen getragen werden, findet sich der damalige türkische Name der libyschen Provinz mit der Jahreszahl "1910", d.h. vor dem Beginn des savoyischen Kolonialabenteuers. Alles unter einem Satz von Atatürk selbst: 'Soldaten, euer erstes Ziel ist das Mittelmeer. Vorwärts!'"
Die Türkei habe es darauf abgesehen, die Beziehungen zwischen Italien und Libyen zu stören, so der Kern der Meldung. Unter Libyen-Experten, die die News auf den sozialen Netzwerken diskutieren, wird allerdings auch vorgebracht, dass Italien und die Türkei zu gemeinsamen Positionen kommen können.
Beide unterstützen die GNA-Einheitregierung und die Regierung in Rom empfing gestern den wiedereingesetzten Innenminister Fathj Bashaga, der für die Türkei ein wichtiger Ansprechpartner ist. Er wurde vor einigen Wochen von GNA-Chef Sarradsch entlassen. Die türkische Regierung habe sich aber maßgeblich für seine Wiedereinsetzung stark gemacht, hieß es später.