Türkei verhaftet deutschen Menschenrechtler

Bild: Telepolis

Amnesty fordert sofortige Freilassung; Kritik am Appeasement-Kurs der Bundesregierung nimmt zu

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Erneut hat die Türkei einen deutschen Staatsbürger inhaftiert. Diesmal trifft es den Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner. Am Morgen hat ein Richter im Istanbuler Justizpalast gegen ihn und fünf weitere Personen Untersuchungshaft verhängt. Man wirft ihm Terrorunterstützung vor.

Steudtner hatte an einem Seminar von Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Amnesty International, auf der zu Istanbul gehörenden Insel Büyükada teilgenommen. Bei der Tagung ging es um IT-Sicherheit und den gewaltfreien Umgang mit Konflikten. Am 5. Juli hatte die Polizei das Tagungshotel gestürmt und mehrere Personen festgenommen, darunter auch Steudtner und die Direktorin von Amnesty International Turkey, Idil Eser. Erst einen Monat zuvor war ihr Kollege Taner Kilic inhaftiert worden unter dem Vorwand, er habe Verbindungen zur Gülen-Bewegung.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich zur Zeit der Festnahmen bereits auf dem Weg zum G20-Gipfel nach Hamburg befand, hatte die Aktivisten mit den Putschisten in Verbindung gebracht und behauptet, die Tagung habe zur Vorbereitung eines weiteren Putschversuches gedient. AKP-nahe Medien hatten diese Propaganda rasch aufgegriffen.

Laut Amnesty International sei es das erste Mal in der Geschichte der Organisation, dass zwei führende Mitarbeiter zeitgleich in Haft sind. "Alle Staats- und Regierungschefs sind gefordert, Druck auszuüben, damit İdil Eser und die anderen Menschenrechtsverteidiger sofort und bedingungslos freigelassen werden. Amnesty International wird sich durch diese eklatante Missachtung von internationalen Menschenrechtsstandards weder einschüchtern noch entmutigen lassen", kommentierte Markus Beeko, der deutsche Amnesty-Generalsekretär.

Bereits seit Monaten sind die deutschen Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu unter ähnlich absurden Vorwürfen in türkischer Haft. Yücel klagt dagegen nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Laut der Tageszeitung Die Welt, für die Yücel zuletzt gearbeitet hatte, will die Bundesregierung die Klage unterstützen. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) kritisierte demnach die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien. Dem schloss sich Justizminister Heiko Maas (SPD) an: man werde nichts unversucht lassen. Von der türkischen Justiz erwartet er die baldige Vorlage einer Anklageschrift.

Die Äußerungen von Altmaier und Maas haben einen unangenehmen Beigeschmack. Mehrfach wurde der Bundesregierung bereits vorgeworfen, sich nicht ausreichend für die Inhaftierten einzusetzen. Mit der Inhaftierung Peter Steudtners gerät auch Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter unter Druck, die bislang einen Appeasement-Kurs gegenüber Erdogan fährt und sich mit Kritik auffällig zurückhält. Heute forderten auch die SPD und die Linkspartei einen raschen Kurswechsel.

Die Säuberungen gehen derweil ungebremst weiter: Auch in der vergangenen Woche wurden wieder rund 900 Personen in der Türkei festgenommen. Den meisten werden Gülen-Verbindungen vorgeworfen, viele Festnahmen erfolgen außerdem wegen Äußerungen auf Facebook und Twitter.