Türkische Spitzel auch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Die Ausspähung oppositioneller türkischer Staatsbürger in Deutschland umfasst fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens
Türkische Spitzel in Deutschland sind nicht nur bei Ditib, dem islamischen Dachverband der meisten Moscheen aktiv. Die Ausspähung oppositioneller türkischer Staatsbürger in Deutschland umfasst fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Es mehren sich Beschwerden über türkische Konsulatslehrer, die über die Schüler versuchen, Informationen zu gewinnen. Oppositionelle türkische und kurdische Vereine stehen nicht nur vom Verfassungsschutz unter Beobachtung. Selbst in den deutschen Polizeibehörden befinden sich MIT-Agenten.
Nun haben Recherchen von Report Mainz und Spiegel ergeben, dass auch im BAMF Spitzel unter den Dolmetschern und Sicherheitsleuten sind. Erinnerungen an die STASI werden wach. Die Staatsschutzabteilung der Polizei hat Ermittlungen in mehreren Fällen eingeleitet.
Türkische Asylbewerber berichteten, dass sie, nachdem sie sich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemeldet hatten, ihren Namen mit Aufenthaltsort in Deutschland in türkischen AKP-nahen Zeitungen wiederfanden. Teilweise wurden sie auch als Terroristen diffamiert. Das macht sie zur Zielscheibe von türkischen Nationalisten in Deutschland. Ein Asylbewerber berichtete, nach seinem Besuch im BAMF hätte es Aktivitäten von AKP-nahen Türken auf seinem Twitter-Account gegeben, die sich in der gleichen Stadt in Deutschland aufhielten wie er, obwohl nicht einmal seine Familie seinen Aufenthaltsort kannte.
Im BAMF gibt es Mitarbeiter türkischer Herkunft in vielen Bereichen, vom Sicherheitspersonal bis zu den Dolmetschern und Mitarbeitern mit Entscheidungskompetenzen. Angesichts der steigenden Asylanträge aus der Türkei hat dieser Skandal einige Brisanz. Das Amt teilte unterdessen mit, es hätte 17 Mitarbeiter entlassen, die sich nicht an das "Neutralitätsgebot" gehalten hätten. Was das genau heißt, wurde nicht erläutert. Dabei wäre es doch für die Öffentlichkeit wichtig zu erfahren, wie das BAMF die "Neutralität" ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen überprüft und gewährleistet. Schließlich müssen sich die Betroffenen, die einen Asylantrag stellen, auf die Schweigepflicht der Behörden verlassen können.
Die Zusammenarbeit mit 942 freiberuflichen Dolmetschern sollen zudem im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung wegen fehlender Integrität, sonstigem Fehlverhalten sowie unzureichender Sprachkenntnisse nach dem Bericht ebenfalls beendet worden sein. Sollte diese vom Spiegel veröffentlichte Zahl stimmen, müssten bei der Regierung und den Behörden sämtliche Alarmglocken läuten.
Steigende Zahl von Asylanträgen aus der Türkei
Das Bundesinnenministerium teilte mit, dass mehr als 600 ranghohe türkische Beamte in Deutschland Asyl beantragt haben. Bis Mitte September hätten 250 Bürger mit türkischen Diplomatenpapieren und 380 mit Dienstausweisen Asylanträge in Deutschland gestellt. 196 der Diplomaten haben nach Angaben des BMI für sich und ihre Familienangehörigen mittlerweile einen positiven Bescheid bekommen.
Hochrangige Richter, denen die Flucht aus der Türkei gelang und die ebenfalls Asylanträge stellten, packten über das Justizsystem in der Türkei aus. Nach deren Aussagen ist der Druck von Erdogan so hoch, dass sie aus Angst auch eigene Kollegen denunzieren.
Aydin Arif, der im wirklichen Leben anders heißt, ist ein ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof. Er berichtet von der Gleichschaltung der Justiz in der Türkei, von der Jagd nach angeblichen Putschisten - und von seiner Angst vor dem türkischen Geheimdienstes in Deutschland.
Arif hatte bis 2010 wie viele Menschen in der Türkei große Hoffnung, dass sich das Land nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverletzungen endlich davon befreien könne. Mit den Korruptionsaffären des Erdogan-Clans 2013 wehte aber schlagartig ein anderer Wind. Es kam zum Machtkampf zwischen Erdogan und der Justiz. Erdogan baute eine Verschwörungstheorie gegen seinen ehemaligen Weggefährten Gülen auf. Er ersetzte Richter und Staatsanwälte mit ihm treuen Gefolgsleuten. Arif hat Glück in Deutschland. Ihm wurde für drei Jahre Asyl in Deutschland gewährt. Unterstützung erhalten türkische Juristen vom Deutschen Richterbund.
Der Europäische Gerichtshof, bei dem mittlerweile ca. 17.000 Anträge von türkischen Bürgern gegen ihre Inhaftierung oder Entlassung vorliegen, begründet seine Untätigkeit damit, dass die Betroffenen zuerst innerhalb der Türkei durch alle Instanzen gehen müssten.
Gefahr für kurdische Politiker und Politikerinnen in Deutschland wird nicht ernst genommen
Was für eine Illusion. Kurdische Politiker aus der Türkei haben beispielsweise große Schwierigkeiten, einen positiven Asyl-Bescheid zu bekommen. Der Asylantrag des abgesetzten Bürgermeisters von Suruc, einer Stadt, die an die syrische Grenze bei Kobane angrenzt, wurde aus formalen Gründen abgelehnt, obwohl man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass Orhan Sansal bei einer Auslieferung Inhaftierung und Folter drohen.
In Deutschland sind diese Leute mittlerweile auch nicht mehr sicher. Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet beispielsweise fährt nicht mal mehr Taxi in Berlin - aus Angst, von Nationalisten angegriffen oder von Agenten entführt zu werden.
Diese Angst ist nicht unberechtigt. Vor wenigen Tagen ist der in Hamburg wegen Spionage angeklagte MIT-Spion Fatih S. nur zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Zwar sah die Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht es als erwiesen an, dass der angeklagte Türke für den türkischen Geheimdienst MIT gearbeitet hat, die Brisanz hat sie jedoch nicht erkannt. Sie wertete die Angelegenheit als "innertürkischen Konflikt, der in Deutschland ausgetragen werde".
Dass dieser Agent einen Mordauftrag an dem kurdischen Politiker Yüksel Koc hatte, wurde nicht einmal in die Verhandlung einbezogen. Stattdessen wurde zugunsten des Angeklagten ein dilettantisches Vorgehen eingeräumt, was zu der milden Bewährungsstrafe führte. Für den kurdischen Politiker, der seitdem kein normales Leben mehr führen kann, aber auch keinen Polizeischutz bekommt, keine entspannende Nachricht.
Eigentlich müssten bei der Bundesregierung nicht nur Alarmglocken hinsichtlich türkischer oder kurdischer Bürger in Deutschland klingeln.
Immer mehr deutsche Staatsbürger geraten ins Fangnetz des türkischen Geheimdienstes. Denn in der Türkei werden nicht erst seit vorgestern auch internationale Journalisten von AKP-nahen Zeitungen des Terrorismus bezichtigt. Ein Beispiel ist das AKP-Blatt Aksam (dt.: Abend), das schon 2015, also lange vor der Verhaftung von Deniz Yücel und dem vermeintlichen Putschversuch, die Namen zahlreicher Journalisten veröffentlichte, die kritisch über die Türkei berichteten, bzw. aus kurdischen Medien, die bis dahin noch erlaubt waren, zitierten. Die Liste reichte von der BILD bis zu Telepolis und wurde in mehreren türkischen Zeitungen veröffentlicht.
Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass der deutsche Geheimdienst zum Schutz deutscher Staatsbürger und -bürgerinnen die Aktivitäten des MIT im Auge hat - vor allem bei Journalisten und Journalistinnen und diese vorwarnt. Aber die Fälle Deniz Yücel und Mesale Tolu zeigen, dass es kein Frühwarnsystem gibt. Vielleicht ist das auch nicht gewollt, weil kritische Berichterstattung hiesigen Stellen ein Dorn im Auge ist.