Türkischer Krieg in Rojava in Coronazeiten
Seite 2: Idlib: Unter der Besatzung der Türkei und ihrer islamistischen Verbündeten
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Zurzeit halten sich allein in dieser Region ungefähr 29.000 türkische Soldaten auf. Seit Anfang Februar transportierte das türkische Militär mehr als 5.000 gepanzerte Personentransporte, Panzer und Haubitzen in die Region. Mittlerweile kann man sagen, dass nun auch die Region Idlib unter der Besatzung der Türkei und ihrer islamistischen Verbündeten steht.
Währenddessen scheinen Unzufriedenheit und Uneinigkeit unter den von der Türkei unterstützten Fraktionen der Nationalen Syrischen Armee (NSA) zu wachsen. Rund 60 Kämpfer protestierten am 5. April in Tell Abyad und forderten die Türkei auf, ihre überfälligen Gehälter zu zahlen und den Kämpfern die Einreise in das Gebiet westlich des Euphrats zu gestatten.
Ähnliche Forderungen wurden bereits am 17. März erhoben, als bewaffnete Milizen einen Sitzstreik veranstalteten und die Straße zwischen Tell Abyad und Ras al-Ain blockierten. Al-Monitor berichtet aus den türkisch besetzten Gebieten von ähnlichen Plünderungen wie in Afrin.
Die Versprechungen der Türkei gegenüber den islamistischen Milizen der NSA können offensichtlich nicht eingehalten werden: Neue Gebietsgewinne, neue finanzielle Ressourcen, Wiederaufbaumöglichkeiten und Öl waren die Hauptantriebskräfte für den Eifer der bewaffneten Milizen, an der "Operation Friedensfrühling" teilzunehmen. Die Türkei kann diese Begehren nicht mehr bedienen.
Daher gehen die Milizen ihren eigenen Weg, um sich selbst zu bedienen. Das bedeutet, dass Erdogan mit seinem Regime nicht nur international an Boden verliert, sondern auch bei seinen, unter dem Namen NSA dschihadistischen Verbündeten im Kampf gegen die Kurden, die er ja angeblich in Schach halten sollte.
Selbstverwaltung fordert Einhaltung des Waffenstillstands in Syrien
Trotz UN-Waffenstillstandsappell setzen die türkische Armee und ihre Söldner der NSA die Angriffe auf die nordsyrische Zivilbevölkerung fort. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien forderte die Türkei auf, sich angesichts der weltweiten Corona-Krise in Syrien an den Waffenstillstand zu halten und bat um internationale Unterstützung.
Anfang April gab es mehrere Angriffe auf christliche Dörfer im Nordosten Syriens. Trotz Corona-Krise feierte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu den Tod von vier Soldaten der SDF (Syrian Democratic Forces) und von zwei Soldaten der syrischen Armee bei diesen Angriffen. Das türkische Verteidigungsministerium berichtete von der Eliminierung von 10 Mitgliedern der kurdischen Einheiten YPG in der Region durch türkische Einheiten.
Als Reaktion auf die Angriffe schlossen sich der Assyrische Militärrat in Tell Tamer und die Habur-Schutzeinheiten (Region rund um den Habur-Fluss mit christlichen Dörfern) der SDF (Selbstverteidigungseinheiten der Selbstverwaltung) an.
Mitte April verschleppten türkische Soldaten mit einem Panzer und fünf Fahrzeugen den einflussreichen arabischen Stammesführer Sheikh Inezan vom Stamm der Naim aus seinem Dorf bei Tall Abyad (Gire Spi). Inezan floh aufgrund der türkischen Invasion im Oktober 2019 aus seinem Dorf und kehrte erst im März wieder zurück. Die türkischen Invasoren vertrieben in der Region Tausende Kurden, Araber und Christen und siedelten stattdessen Familien von Dschihadisten aus Ost-Ghouta, Homs und Idlib an.
Das Gouverneursamt von Antep/Türkei bestätigte einen Konvoi von 137 Fahrzeugen und 14 Bussen, der im von der Türkei besetzten Dscharablus (Nordwestsyrien) über Karkamıs (Türkei) mit Angehörigen von Dschihadisten am 20. April Gire Spi (Nordostsyrien) erreichte.
Von der Türkei unterstützte Milizen mit Sitz in Ras al-Ain (Serekaniye) bombardieren nach wie vor Dörfer in der Region der überwiegend christlichen Stadt Tell Tamer, die an der Autobahn M4 etwa 23 Meilen (37 Kilometer) von Ras al-Ain entfernt liegt. Ain Issa und Tell Abyad (Gire Spi) sind ebenfalls unter Beschuss.
Am 29.4. griff eine bewaffnete türkische Drohne einen Kontrollpunkt der Sicherheitskräfte (Asayisch) in Kobane an.
In der Nacht zum 29.4. wurde ein Dorf in der Region sehba und Dörfer bei Ain Issa mit Artilleriegranaten aus der Türkei beschossen.
Seit Anfang Mai werden, wie bereits im Vorjahr, Felder bei Ain Issa und Girê Spî mit Artillerie beschossen und in Brand gesetzt. Auch die ausgesandten Löschtrupps werden beschossen, so dass sich die Feuer ungehindert ausbreiten können.
Am 15. Mai wurden bei Gire Spi (Tall Abyad) Weizendepos durch Granatenbeschuss in Brand gesetzt. In zwei Dörfern und den umliegenden Feldern brachen dadurch Brände aus.
Am 17. Mai meldete ANF den Artilleriebeschuss westlich von Kobane, bei dem mehr als 82 Hektar Weizenanbaufläche durch die Brände zerstört wurden. Damit wird versucht, der Bevölkerung, die mehrheitlich von der Landwirtschaft lebt, die Lebensgrundlage zu nehmen.
Ebenfalls am 17. Mai wurde ein Bauer bei einer Kleinstadt in der Nähe von Derik beim Bestellen seiner Felder von türkischen Grenzsoldaten erschossen.
In der Nacht zuvor wurde im türkisch besetzten Sere Kaniye (Ras al Ain) an einem Kontrollpunkt ein Zivilist von Soldaten der türkischen Proxytruppe NSA erschossen und mehrere Personen verletzt.
Im nordwestlichen türkisch besetzten Afrin gab es am gestrigen Sonntag ebenfalls mehrere Artillerieangriffe auf kurdische Dörfer.
Kommission der US-Regierung empfiehlt die Unterstützung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien
Die Kommission für Internationale Religionsfreiheit (USCIRF) der USA empfiehlt in ihrem Jahresbericht 2020 dass die Türkei einen Zeitplan für den Rückzug ihrer Truppen aus Syrien vorlegt und dass die US-Regierung die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens unterstützt. Das US-Außenministerium solle Nord-und Ostsyrien als eine Region benennen, in der Religionsfreiheit herrsche.
Die Türkei soll dem Bericht nach auf eine besondere Beobachtungsliste gesetzt werden. Die Kommission verurteilte die Menschenrechtsverletzungen der Türkei in Nord- und Ostsyrien. An der Konferenz der Kommission für Internationale Religionsfreiheit (USCIRF) am 28. April nahm auch Sinam Mohamad, die Ko-Vorsitzende der Vertretung der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens in den USA, teil.
Nadine Maenza, die stellvertretende Vorsitzende des USCIRF sagte in einem Gespräch mit Al-Monitor, es sei bemerkenswert, wie die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien eine Regierung geschaffen habe, die "die Toleranz für Religionsfreiheit in der Nachbarschaft, in der sie sich befinden, betont. Es ist ein Ort, der ein Zufluchtsort für religiöse Minderheiten sein könnte... um ihren Glauben auszuüben".
Die Kommission fordert in ihrem Bericht, Druck auf die Türkei auszuüben, damit sie einen Zeitplan für ihren Rückzug aus Syrien vorgibt und gleichzeitig sicherstellt, dass weder ihre militärischen Verbündeten noch andere islamistische Gruppen ihr Kontrollgebiet im Nordosten Syriens ausweiten, religiöse und ethnische Säuberungen in diesem Gebiet durchführen oder auf andere Weise die Rechte gefährdeter religiöser und ethnischer Minderheiten dort missbrauchen.
Im Weiteren wird die Unterstützung der Selbstverwaltung durch die USA sowie die Ausnahme der Sanktionen gegen Syrien für die Gebiete der Selbstverwaltung gefordert. Außerdem sollten NGOs und internationalen Partner gefördert werden, die Hilfsprojekte in der Region durchführen wollen.
Vor diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, dass auch die Bundesregierung endlich ihre einseitige, die Türkei unterstützende Syrienpolitik revidiert.