Tugendmarkt

Quantas-Website. Screenshot: TP

Virtue Signalling ist für Unternehmen billiges Marketing, wie der Organisationsprofessor Carl Rhodes zeigt

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Carl Rhodes ist Professor für Organization Studies an der University of Technology in Sydney. In einem Aufsatz, der jetzt in Quilette erschien, setzt er sich am Beispiel der australischen Fluglinie Quantas mit dem Phänomen des zunehmenden "Virtue Signalling" in großen Unternehmen auseinander. Quantas spricht sich öffentlich für die Homo-Ehe in Australien aus, die bislang nur in einem Teil der dortigen Bundesstaaten und Territorien möglich ist. Im November sollen die Australier darüber abstimmen, ob sie landesweit angeboten wird.

Eine sehr naheliegende Erklärung für Quantas öffentliche Unterstützung der " Yes"-Kampagne ist, dass ihr CEO Alan Joyce selbst offen homosexuell lebt. Das spielt Rhodes zufolge sicherlich eine Rolle, erklärt aber nicht, warum auch Dutzende andere großer Unternehmen einen offenen Brief für "Marriage Equality" unterzeichnet haben. Seinen Erkenntnissen nach wird so ein Verhalten firmenintern nicht mit Altruismus, sondern mit Geschäftsinteressen gerechtfertigt.

Kostet nicht mehr als eine Presseerklärung

Eine Investition in den "Tugendmarkt", die nicht mehr als eine Presseerklärung kostet, verringert dieser Argumentation nach nicht nur die Wahrscheinlichkeit regulatorischer staatlicher Eingriffe, sondern bindet der von Joyce angeführten Deloitte-Australia-Studie nach auch Kunden an das Unternehmen, die dort zu etwa 25 Prozent angaben, die Position eines Unternehmens zur Homo-Ehe beeinflusse ihre Konsumentscheidungen. Bei jüngeren Befragten lag dieser Anteil bei 40, bei Angehörigen von Minderheiten wie Homosexuellen, Behinderten und Aborigines sogar bei 75 Prozent.

Dazu, ob die dadurch erwarteten finanziellen Vorteile für die Unternehmen tatsächlich eintreffen, gibt es Rhodes zufolge noch keine Zahlen. Gesamtgesellschaftlich gesehen könnte ihr Virtue Signalling seinen Befürchtungen nach sogar negative Folgen haben, weil Unternehmen versucht sind, "Diversity"-Anliegen kleiner Gruppen zu unterstützen, die sie potenziell wenig kosten, während potenziell teurere Probleme wie stagnierende Löhne oder Steuervermeidung nicht angesprochen werden und entsprechend weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.

Googlememo-Fall

Der Googlememo-Fall, der in den letzten Wochen viel Aufmerksamkeit erregte, zeigt darüber hinaus, dass der Wille zur Imageverbesserung via Virtue Signalling auch eine Imageverschlechterung zur Folge haben kann (vgl. Böse, weil man zu sehr nicht böse sein möchte). Weil ein Bemühen um mehr "Diversity" in Bereichen wie Hautfarbe und sexuelle Orientierung, sehr viel weniger "Diversity" bei Meinungen zur Folge haben kann, wenn man sich zu sehr darauf fixiert und dabei die Redefreiheit aus dem Blickfeld verliert.

Über die von James Damore bei Google diagnostizierten blinden Flecken in den Diversity-Bemühungen des Unternehmens, wegen deren Ansprechen der "Überbringer der schlechten Nachricht" entlassen wurde, spricht man inzwischen (zumindest außerhalb Googles) offener: Halbwegs unbefangene Beobachter des Phänomens streiten nicht ab, dass sich Mädchen und Frauen in Kulturen, in denen sie mehr Freiheiten genießen, öfter für nicht-technische Studienfächer und Berufe entscheiden als in solchen, in denen ihre Familien die Karrieren für sie wählen. Und je reicher ihre Herkunftsfamilien ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen kein MINT-Fach, sondern etwas Geistes- oder Sozialwissenschafliches studiert. Der diesbezügliche "Gender Gap" dürfte sich also noch vergrößern, wenn Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern mehr Freiheiten bekommen.

Eine andere auf den ersten Blick paradoxe Entwicklung ist, dass besonders verbissene Bemühungen von Diversity-Aktivisten dazu führen können, dass es Frauen in MINT-Berufen potenziell schwerer haben, weil Arbeitgeber nicht nur "Quotenabschlüsse", sondern auch überzogene Ansprüche und Unruhe in den Teams fürchten, obwohl es sich bei den in Sozialen Medien besonders schrill auftretenden SJWs um eher untypische Ausnahmen handeln dürfte.

Google selbst macht bislang jedoch nicht den Eindruck, das Problem mit einer offeneren Diskussion anzugehen, sondern zensiert stattdessen Äußerungen, in denen die Memo-Affäre kritisch behandelt wird. Mit einem pauschalen Verweis auf "Hate Speech" entfernte das Unternehmen sogar die App der auf mehr Redefreiheit setzenden Twitter-Alternative Gab (vgl. Nach dem NetzDG) aus dem Play Store für Android-Mobilgeräte. Kurz vorher hatte Gab-CEO Andrew Torba dem von Google entlassenen James Damore einen Job angeboten. Ein später folgendes Angebot von Google, eine "Partnerschaft" zu besprechen, lehnte Torba mit den George-Orwell-Zitat "If liberty means anything at all, it means the right to tell people what they do not want to hear" dankend ab.

Damore, dessen Schilderungen über politische Diskriminierung am Arbeitsplatz konservative und libertäre IT-Experten wie Jeff Giesea aus eigener Erfahrung bestätigten, hat gegen seine Entlassung eine offizielle Beschwerde bei der amerikanischen Arbeitsbehörde NLRB eingelegt, bei der bereits zwei andere Beschwerden gegen Google anhängig sind. In ihnen beklagen ehemalige Mitarbeiter des Konzerns unter anderem Drohungen, Zwang und Überwachung.