Tunesien: Zivilgesellschaft setzt Anti-Rassismus-Gesetz durch
Das neue Gesetz, das Diskriminierung mit Haft von bis zu drei Jahren bestraft, gilt als Premiere in der arabischen Welt
Über die politischen Zerreißproben, die Tunesien in den Jahren nach den Protesten 2011 ausgesetzt war, wurde an dieser Stelle schon mehrfach berichtet. Politische Morde zeigten an, wie sehr das Land auf der Kippe stand.
Nährboden für Radikalität
Die Ausbreitung des Islamismus in der Folge des Umbruchs und des Erfolgs der Ennahda-Partei, die gegenüber radikalen Predigern eine "Politik der langen Leine" verfolgte, war ein anderes bedrohliches Signal.
Die mehreren Tausend Dschihadisten, die nach 2011 von Tunesien aus Richtung Syrien aufbrachen, um den Dschihadisten dort bei deren Versuch, ein Emirat zu errichten, mit Waffengewalt zu unterstützen, war ein Beleg dafür, wie ausgeprägt sich die Radikalität des Islamismus in Tunesien entwickelt hatte. Damit in Zusammenhang stand die wirtschaftliche Situation im Land (vgl. Hochkonjunktur für das Anwerben von islamistischen Söldnern für Syrien).
Frustration und Wut über die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse, die noch im Januar dieses Jahres zu Protesten führten, sind ein chronisches Problem, das besonders die Jugend trifft (vgl. Tunesien: Ein Großteil der Jugend "hat die Nase voll" und will raus).
Und doch: Eine starke Zivilgesellschaft
Doch gab es immer wieder auch hoffnungsvolle Momente. Diese hatten damit zu tun, dass es in Tunesien, völlig anders als etwa im Nachbarstaat Libyen, eine starke und organisierte Zivilgesellschaft gibt. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung war ein Zeichen dafür, dass sie eine ernstzunehmende politische Kraft ist, mit der ebenfalls zu rechnen ist.
In der vergangenen Woche hat die Zivilgesellschaft in Tunesien einen weiteren wichtigen politischen Erfolg errungen. Nach jahrelangen Bemühungen und intensiven Debatten hat das Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit - mit 125 Stimmen, einer Gegenstimme und fünf Enthaltungen - einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der Rassismus unter Strafe stellt. Es ist, wie sämtliche Berichte dazu hervorheben, das erste Gesetz dieser Art in arabischen Ländern.
Eine Premiere
"Diese Kriminalisierung ist eine Premiere in der arabischen Welt", kommentiert das Magazin Jeune Afrique und verweist in seinem Bericht darauf, das in den Nachbarländern Marokko und Algerien das Rassismus-Problem entweder politisch "stillgelegt" ist oder "völlig vertuscht" wird. In beiden Ländern gibt es Konflikte mit der Zuwanderung aus afrikanischen Ländern südlich der Sahelzone.
Das neue Gesetz "zur Eliminierung aller Formen der rassistischen Diskriminierung" in Tunesien wendet sich gegen jegliche "Diskriminierung (…) aufgrund von Ethnie, Hautfarbe, Herkunft oder jede andere Form (…) im Sinne ratifizierter internationaler Abkommen" und sieht Strafen von einem Monat Haft bis zu einem Jahr und eine Geldstrafe von bis zu 300 Euro für "rassistische Äußerungen vor".
Als Straftatbestände werden "Anstiftung zum Hass", "rassistische Bedrohungen", die "Verbreitung", "Apologie des Rassismus" wie auch die "Schaffung und die Teilnahme an einer Organisation, die auf eine eindeutige Weise und wiederholt Diskriminierungen unterstützt" aufgelistet. Gefolgt von letzterem Tatbestand berichtet France24 gar von möglichen Haftstrafen bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe im Gegenwert von 1.000 Euro.
Angefügt wird, dass es vor der Annahme dieses Gesetzes keinen juristischen Text in Tunesien gab, der formell "rassistische Akte" verurteilt.
Einig sind sich die Berichte in Le Monde, France 24, Tunisie Numérique und Jeune Afrique, die Einschätzungen der Mitglieder politischer Parteien wie auch der Zivilgesellschaft wiedergeben, in der Beschreibung des Hauptproblems: die Umsetzung des Gesetzes.
Veränderung der Mentalitäten
Es gehe hauptsächlich um die Veränderung der Mentalitäten gegenüber den "schwarzen Tunesiern", die etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen und es gehe um die wenig integrierten Einwohner aus Ländern südlich der Sahara, die keinen Zugang zu "verantwortungsvollen Posten" haben, formuliert zum Beispiel die anti-rassistische Vereinigung Mnemty die gesellschaftliche Aufgabe, die mit dem Gesetz verbunden ist.
Der Rückgang der Studenten in Tunesien aus den Ländern südlich der Sahara innerhalb von zehn Jahren von 13.000 auf 6.000, werde, wie in France 24 zu lesen, auf das Problem des Rassismus in der tunesischen Gesellschaft zurückgeführt.
Laut Le Monde gibt es nur einen gewählten Abgeordneten im tunesischen Parlament mit schwarzer Hautfarbe, eine Frau namens Jamila Ksiksi. Bisher gab es auch keinen Ministerposten, der seit 1987 von einer Person mit schwarzer Hautfarbe bekleidet wurde. Schwarze seien in den Medien nicht vertreten.