Tunesien: Zurück zum Polizeistaat?
Ein neues Gesetz zum Schutz der Sicherheitskräfte kriminalisiert die Arbeit von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern
Zehn Jahre Haft dazu eine Geldstrafe (knapp 23.000 Euro) drohen Whistleblowers, die Informationen verbreiten, die mit der "nationalen Sicherheit" verknüpft sind. Mit zwei Jahren Haft sowie einer Geldstrafe (umgerechnet etwa 4.500 Euro) hat jede Person zu rechnen, die sich schuldig macht, die Sicherheitskräfte absichtlich "schlecht zu machen", um der "öffentlichen Ordnung zu schaden". Auch Tunesiens Regierung fügt sich dem bekannten Muster: Auf einen Terroranschlag folgen schärfere Gesetze, die bürgerliche Freiheitsrechte und besonders die Meinungsfreiheit unterminieren.
Zivilgesellschaftliche Gruppen, die in Tunesien stärker präsent sind als in den Nachbarländern sehen darin ein Anzeichen für die Rückkehr der Repressionspolitik zu Zeiten des Autokraten Ben Ali. Sie protestieren gegen den Gesetzesentwurf mit der Mahnung "Der Polizeistaat kehrt zurück".
Es sind insgesamt 13 NGOs, die gestern eine Erklärung gegen das Gesetzesprojekt zum "Schutz der Sicherheitskräfte" abgegeben haben. Die beiden oben genannten Sanktionen sind in den Artikeln 5, 6 und 12 des Entwurfes festgeschrieben. Deutlich ist neben den harten Strafen die Unbestimmtheit der Vorwürfe: "nationale Sicherheit", "Verunglimpfung der Streitmächte" sind Begriffe, die großen Spielraum für dier Behörden lassen - zuungunsten der Arbeit kritischer Journalisten und Whistleblowern.
Wie groß die politischen Spielräume sind, die die Staatsmacht aus solchen gesetzlichen Vorgaben fabrizieren kann, hängt von Gerichtsurteilen ab und wesentlich vom politischen Klima. Ein Blick nach Ägypten, wo ähnliche, allerdings noch drastischere Gesetze erlassen wurden, um Kritik an der Regierung des Ex-Generals as-Sisi präventiv einzuschüchtern, zeigt, dass Richter faktisch eben nicht vom politischen Klima so unabhängig sind, wie es die Verfassung bestimmt.
Man habe den tiefen Staat in Tunesien noch nicht in seinem tatsächlichen Ausmaß begriffen, wird Amna Guellali von Human Rights Watch zitiertder Sicherheitsapparat sei seit vielen Jahren durch eine bestimmte Mentalität und bestimmte Praktiken gekennzeichnet. Die Diskussion darüber, ob die Regierungspartei Nida Tunis alte Kader neu auf die politische Bühne und an Schalthebel bringt, trifft demnach nicht ganz den wunden Punkt. Der Sicherheitsapparat sei tief verankert und jederzeit für eine repressive Politik zu haben, es sei seine bevorzugte Handlungsweise.
Durch den Wahlsieg der Nida Tunis ist in Tunesien eine Diskussion neu aufgenommen worden, die bis heute anhält, sie dreht sich um die Frage, ob die Partei alte Kader aus der früheren Regierungspartei RCD im Namen der "Wiederversöhnung" wieder ins politische Leben integrieren darf, wen genau und wie viele. Die Diskussion ist noch offen.
Eben so auch die politische Karriere des "Gesetzes zum Schutz der Sicherheitskräfte". Bislang ist es nur ein Entwurf der Regierung, noch von keinem Parlament abgesegnet. Daher hoffen die Bürger-und Menschenrechtsgruppen, dass das Gesetz, das nach iher Ansicht sowohl gegen die tunesischen Verfassung wie auch internationale Regelungen verstößt, rechtzeitig gestoppt werden kann.