US-Außenpolitik: Der "nichtmilitärische Wettbewerb mit Iran"

Ein Witz? Ob er mitmacht? Baschar al-Assad in besseren Zeiten. Archivbild: Kremlin.ru / CC BY 4.0

Biden kündigt "fresh thinking" an. Ein Strategiepapier zur neuen Iran-Politik für die USA und Israel setzt auf wirtschaftliche Überlegenheit der Golfstaaten

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Mit dem Machtwechsel an der Spitze der USA kommen auch neue Ideen ins Spiel, wie die künftige Außenpolitik der USA aussehen soll. Für Think Tanks und Experten ist das ein günstiger Moment, um Aufmerksamkeit für ihre Vorschläge zu bekommen.

Die beiden US-Professoren Joshua Landis (Lehrstuhl für Geschichte des Nahen Ostens) und Steven Simon (Lehrstuhl für Internationale Beziehungen) hatten sehr guten Zugang zur Obama-Regierung. Steven Simon war sogar Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat des früheren Präsidenten. Er ist ein ausgezeichneter Kenner des Nahen Ostens und ein kluger Analyst. Simon und Landis veröffentlichten nun zusammen mit dem langjährigen Mitglied des israelischen Nationalen Sicherheitsrats, Aiman Mansour, einen Artikel über eine neue Iran-Politik für die USA und Israel.

Führungsanspruch der USA im neuen Anzug

Joe Biden betonte gegenüber Medien zuletzt mehrmals, dass er den Führungsanspruch der USA wiederaufnehmen wolle: "ready to lead the world, not retreat from it". Dazu fiel meist auch das Stichwort von einem neuen frischen Denken in der Außenpolitik ("fresh thinking"). Damit will er sich von Sticheleien abgrenzen, wonach seine Administration auf eine "dritte Obama-Regierung" hinauslaufe. Das Etikett ist kein gutes Markenlabel mehr. Daher das fresh thinking, das aus dem alten Anzug einen neuen schneidern soll.

Von Antony J. Blinken, den Biden zum neuen Außenminister machen will, heißt es, dass auch ihm viel an der Führungsrolle der USA liegt ("machen wir es nicht, machen es andere oder gar keiner"). Er gilt als Interventionist (US-Außenpolitik: Interventionisten voller Vorfreude), der während der Obama-Präsidentschaft für ein stärkeres US-"Engagement" in Syrien eingetreten ist.

Man muss sich da keine Illusionen machen, letztlich hätte mehr "Engagement" bedeutet, mit einem mehr oder weniger offenen, deutlich stärkeren militärischen Einsatz den angestrebten Regime Change in Damaskus durchzusetzen. Wie dann die neue syrische Regierung aussehen hätte sollen und wie man mit gewaltigen Vergeltungswellen, mit denen nach einer solchen Einmischung zu rechnen wäre, umgehen würde, gehört zu den Fragen, die Interventionisten regelmäßig verdrängen.

Landis und Simon, die beiden amerikanischen Autoren des Artikels zur neuen Iran-Strategie, waren, soweit es Syrien betrifft, zumindest in den letzten Jahren keine Interventionisten, sondern Kritiker der US-Einmischung. Landis wurde wegen seines klaren Blicks darauf, dass mehr US-"Engagement" in Syrien mit der Stärkung der Dschihad-Umstürzler einhergeht, als "Assadist" bezeichnet. Auch Steven Simon war Kritiker einer Politik, die noch mehr als ohnehin schon auf einen mit kriegerischen Mittel herbeigeführten Sturz gegen Assad setzte.

Als er den syrischen Regierungschef 2015 sogar in Damaskus besuchte, trug ihm das keine gute Presse ein. Simon kritisierte auch den tödlichen Anschlag der US-Regierung unter Trump auf den iranischen General Soleimani Anfang Januar dieses Jahres. Aiman Mansour, ein Druse, war 13 Jahre lang Mitarbeiter im nationalen Sicherheitsrat in Israel, also viele Jahre unter Premierminister Netanjahu, der gegenüber Iran eine Hardliner-Politik verfolgt.

Es ist also eine interessante Mischung an Experten, die nun eine Alternative zur Iranpolitik des maximalen Drucks und der gezielten Ermordung - der vor ein paar Tagen der iranische Kernphysiker Fachrisadeh zum Opfer fiel - vorstellen.

Ihre Alternative setzt auf eine wirtschaftliche Strategie: Die Finanzkraft und "wirtschaftliches Können" arabischer Länder sollen Iran, wo immer das Land seinen Einfluss in der Region vergrößern will, ausstechen. Und nicht nur Iran: "Dieser Ansatz könnte auch die Flügel der zunehmend autoritär geführten und aggressiven Türkei stutzen", heißt es dazu im Artikel, der zuerst in der israelischen Zeitung Ha'aretz erschien und nun frei zugänglich auf dem Blog von Joshua Landis. Die anti-türkische Front formiert sich mit erweitertem Betätigungsfeld.

Sowohl aus amerikanischer als auch aus israelischer Sicht ist die Mobilisierung arabischer Ressourcen, um mit dem Iran zu konkurrieren, einfach praktischer als der Einsatz von US-Power oder israelischen Geheimoperationen, um Iran zu unterwerfen oder zu schwächen.

Das Abraham-Abkommen, gefolgt von Netanjahus Treffen mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, gibt Israel ein Druckmittel an die Hand, um seine arabischen Partner davon zu überzeugen, dem nichtmilitärischen Wettbewerb mit Iran eine Chance zu geben.

Diese Staaten, insbesondere die VAE und Saudi-Arabien, verfügen über die Ressourcen und den strategischen Instinkt, Iran auf breiter Front zu überbieten. Nimmt man Ägypten mit seinem starken Bausektor hinzu, wird das Monopol, das Iran im Irak, in Syrien und im Libanon genießt - oder zu kultivieren versucht -, schrumpfen.

Steven Simon, Joshua Landis, Aiman Mansour

Landis und Simon sind scharfe Gegner der Hardcore-US-Sanktionspolitik in Syrien. 4,6 Millionen Kinder haben dort nicht genug zu essen. Während die auf Linie getrimmten Vertreter jener Think Tanks, die wie etwa der Atlantic Council im Zweifel (oder auch ohne Zweifel) immer für starke Militärpower und ihren Einsatz sind, die Schuld an Hunger und Not in Syrien kategorisch der verhassten feindlichen Seite, al-Assad und Putin, zuweisen, argumentieren Landis und Simon anders.

Kaputtes Syrien

Ihr Artikel vom Sommer dieses Jahres zu den US-Sanktionen erregte viel Gegnerschaft auf den behaglichen Stühlen der Think-Tank-Analysten, die aus der Ferne für mehr robusten Einsatz plädieren und denen die USA unter Trump nicht entschlossen genug gegen Putin und Assad vorgingen.

Landis und Simon stellten dagegen heraus, dass es die Trump-Regierung mit ihrer Politik gezielt darauf abgesehen hatte, dass Syrien kaputt und zerstört bleibt.

Die Trump-Administration hat die Sanktionen, die sie jetzt gegen Syrien verhängt hat, so konzipiert, dass ein Wiederaufbau unmöglich ist. Die Sanktionen zielen auf den Bau-, Elektrizitäts- und Erdölsektor ab, die für die Wiederbelebung Syriens unerlässlich sind. (…)

Die Sanktionen hindern sogar Nicht-U.S.-Hilfsorganisationen daran, Wiederaufbauhilfe zu leisten. Humanitäre Ausnahmen sind absichtlich vage, ebenso wie die Anforderungen, die die syrische Regierung erfüllen müsste, um Sanktionshilfe zu erhalten. Diese Ungewissheit soll Hilfslieferanten und Investoren abschrecken, die Syrien sonst beim Wiederaufbau helfen könnten, die aber nicht ganz darauf vertrauen können, dass sie dazu in der Lage sind.

Da die Syrer daran gehindert werden, ihr Land wieder aufzubauen und externe Hilfe zu suchen, droht ihnen laut dem Welternährungsprogramm "Massenhunger oder ein weiterer Massenexodus".

Joshua Landis und Steven Simon, Die sinnlose Grausamkeit der neuen Trump-Sanktionen gegen Syrien

Keine Abschaffung der Sanktionen - "Umstrukturierung"

Auf dieser Diagnose baut ihr "fresh thinking"-Vorschlag auf. Ihre Idee ist aber nicht etwa die Abschaffung der Sanktionen, sondern die Einwechslung neuer Spieler:

Anstatt zu versuchen, Syrien weiter auszuhungern, um es in einen Sumpf für Iran und Russland zu verwandeln, könnte die Biden-Administration die Sanktionen so umstrukturieren, dass arabische Staaten, die den Wiederaufbau vorantreiben wollen - und die Mittel dazu haben - an die Arbeit gehen können. Anstatt Syrien in die Arme des Iran zu treiben, würde dieser Ansatz Teheran an den Rand drängen, indem es seine relative Unfähigkeit demonstriert und eine Alternative zu seiner Unterstützung schafft.

Steven Simon, Joshua Landis, Aiman Mansour

Nun sind arabische Staaten, vor allem Saudi-Arabien, zu Beginn des Krieges in Syrien während der Jahre 2011 ff. schon einmal "an die Arbeit gegangen" und haben die Gegner von al-Assad unterstützt. So floss saudisches Geld lange Jahre an die Salafisten von Ahrar al-Sham, die mit den Dschihadisten der al-Nusra-Front, einem Sproß der al-Qaida, gemeinsame Sache machten und Idlib eroberten, das nun de facto ein Emirat mit Scharia-Gesetzgebung ist. Abu Dhabi war da allerdings sehr viel zurückhaltender, dort hat man wenig für Islamisten und Dschihadisten mit Verbindungen zur Muslimbrüdern übrig - auch gegenüber den "Arabellions" im Jahr 2011 waren die VAE nicht gerade aufgeschlossen.

Ohne in Einzelheiten zu gehen - im Syrien-Blog von Joshua Landis finden sich Einträge aus der Anfangszeit des von außen unterstützten Aufstandes, die bezeugen, dass schon sehr früh Waffen für die Aufständischen in Syrien deponiert wurden und ortsfremde Kämpfer in mehreren Städten Syriens im Einsatz waren -, für die Gegenwart stellt sich die Frage, welche Rolle Baschar al-Assad in diesem "Soft-Power"-Szenario zugewiesen wird und welche er einnehmen will?

Zu US-amerikanischen und israelischen Initiativen unter Mitwirkung Saudi-Arabiens gibt es von seiner Seite sicher kein Vertrauen. Dazu kommt, dass das Verhältnis zwischen der syrischen Regierung und Iran sehr eng ist.

Die Vereinigten Arabischen Emirate

Ein Ansatzpunkt für Landis/Simon/Mansours Strategieplan wäre die Annäherung der VAE an die syrische Regierung. Ende 2018 wurde die Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate in Damaskus wiedereröffnet. Dem folgten, wie z.B. von der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Agency berichtet, Kooperationen zwischen den VAE und der syrischen Regierung. Auch zu einer künftigen Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Syrien gab es im Herbst 2018 in verschieden "informierten Kanälen" Hinweise (Syrien: Anzeichen einer Verständigung zwischen Golfstaaten und al-Assad).

Dass die VAE der Schlüssel für eine Öffnung der arabischen Staaten gegenüber der syrischen Regierung sein könnten, wurde in den letzten Jahren immer wieder als mögliche Entwicklung erwähnt. Aktuell zitiert die Jerusalem Post den VAE-Außenminister Anwar Gargash zu Syrien:

Die Gewalt kann nicht in ihrer hässlichsten Form weitergehen, als wäre sie eine normale Nachricht. Der arabische Ansatz und die arabische Rolle sind notwendig, um die Gewalt und den Kampf durch eine realistische und pragmatische Vision zu beenden.

Anwar Gargash

Das ist ziemlich nahe an dem, was Steven Simon, Joshua Landis, Aiman Mansour schreiben:

Aber eine neue Strategie zur Förderung der arabischen Zusammenarbeit und der weiteren Integration Israels in sein Umfeld kann einen großen Beitrag zur Verringerung des Konfliktrisikos und zur Verbesserung der Lebensqualität - ja sogar des Überlebens - für die vom Bürgerkrieg und Staatszerfall am stärksten betroffenen Völker leisten.

Steven Simon, Joshua Landis, Aiman Mansour

Ihre Hoffnung lautet, dass die USA und Israel den arabischen Staaten "dabei helfen, eine konstruktive Rolle bei der Nutzung von 'Soft Power' zu übernehmen, um ein dauerhafteres Gleichgewicht der Kräfte aufzubauen und den Nahen Osten nach dem arabischen Frühling zum Besseren zu gestalten".

Auch Russland hat ein gutes, wirtschaftlich wichtiges Verhältnis zu den VAE.

Der Nahe Osten kann ein großer Zukunftsmarkt sein. Wer die Pläne liest, die von der VAE zu Ostjerusalem kommen, der bekommt einen Anschein davon, was mit der neuen Soft Power gemeint ist. Wie wird sich die Biden-Administration zu gegenüber den Palästinensern stellen? In Trumps Friedensplan war ihnen eine Geisterrolle zugedacht.