US-Boykott von Waren aus den nicht kriegswilligen Ländern?
Dabei bräuchten die USA ein Produkt dringend, das sie nur aus Deutschland bekommen können: Vergangenheitsbewältigung
Nach einer längeren Folge von üblen diplomatischen Ausrutschern seitens der US-Diplomaten wird nun von einem möglichen US-Boykott von Produkten aus den Ländern gesprochen, die der Koalition der Willigen nicht angehören wollen. Damit erfahren die Alt-Europäer aus erster Hand, wie die USA mit Dritte-Welt-Ländern seit Jahrzehnten umgehen: Macht vor Recht. Und während die Opposition die Spannungen in der deutsch-amerikanischen Freundschaft beklagt, fragt sich der vernünftig denkende Bürger zu recht: Was ist das für eine Freundschaft?
Als amerikanischer Germanistikstudent Mitte der 80er lernte ich Deutsch, als der Historikerstreit entbrannte. Während ich mich durch sprachlich äußerst schwierige Texte quälte, vermochte ich mehr Geduld für die deutschen Historiker auf beiden Seiten der Debatte als für die Unzulänglichkeiten meiner Deutschkenntnisse aufzubringen.
Einerseits war mir klar, dass die Gräueltaten der Nazis nicht zu "relativieren" waren, wie der Vorwurf von Habermas lautete. Schließlich fragt man sich nicht ohne Grund und selbst nach jahrelangem Studium der Materie: "Wie konnte es überhaupt dazu kommen?" Andererseits haben die Deutschen seit 1945 wie kein anderes Volk auf der Erde das Ausmaß ihrer Gräueltaten öffentlich eingestanden (manche würden sagen: eingestehen müssen) - und dafür büßen müssen.
Das kann als unfair bezeichnet werden und Beifall von der falschen Seite erhalten, man kann aber die Vergangenheitsbewältigung auch als Rezept für gesunde, faire Politik zwischen gleichgestellten Nationen - eben als Exportgut - preisen. Heute braucht die Welt vor allem eine amerikanische Vergangenheitsbewältigung. Die Amerikaner sehen ihr Land als das Gute schlechthin, und der Sieg über das Böse im Zweiten Weltkrieg dient seitdem als Berechtigung für jeden Einsatz des US-Militärs. Wir geben zwar gerne zu, Fehler begangen zu haben, aber daran, dass wir im Grunde gut sind, darf man nicht zweifeln.
Just in der Januar-Ausgabe von The Atlantic - einer Zeitschrift, die eigentlich für ihre Besonnenheit bekannt ist - wurde diese maßlose Vereinfachung der Tatsachen, die in den USA weit verbreitet ist, exemplarisch hirnlos formuliert:
"Die Kriege Amerikas haben die Welt - vorwiegend positiv - verändert, und sie haben tiefgreifende Veränderungen bei den sozialen und wirtschaftlichen Institutionen zur Folge gehabt. Der Zweite Weltkrieg führte zur offiziellen Rassenintegration. [Die Rassen wurden erst ab 1948 im Militär integriert, und die Bürgerrechtsbewegung begann erst 1955 mit der Festnahme von Rosa Parks - Anmerkung des Autors] Der Kalte Krieg führte zum staatlich subventionierten Wissenschaftssektor. Aber die Hauptwendepunkte der amerikanischen Geschichte wurden durch Innenpolitik definiert."
Unglaublich, dass hier von einem "gewonnenen" Kalten Krieg die Rede ist, während kein Wort über den Vietnam-Krieg verloren wird, immerhin den längsten der US-Geschichte und nicht aus dem "gewonnenen" Kalten Krieg wegzudenken. Die USA haben in Vietnam, Laos, und Kambodscha schätzungsweise vier Mal (!) so viele Bomben abgeworfen als alle Länder überall in der Welt im Zweiten Weltkrieg zusammen. Solche Tatsachen passen aber ebenso wenig in die Dichotomie gut/böse wie die vielen anderen "kleinen" Kriege, die die USA in den letzten 50 Jahren "gewonnen" haben.
Arundhati Roy spricht in diesem Zusammenhang von einer "geheimen Geschichte Amerikas - vor allem für die Amerikaner selbst geheim". Und wenn Kriegsverbrechen seitens der USA überhaupt zugegeben werden, dann eben als Fehler, die man angesichts des größeren Ziels - der Ausrottung des Bösen - verzeihen oder mindestens in Kauf nehmen müsse. Seit 1989 ist aber der Kommunismus tot; heute bekämpfen die USA die Teufel, die sie selbst im Kalten Krieg erzogen haben. Die USA sind schon längst selbst zur größten Gefahr für den Weltfrieden geworden.
Die Sieger schreiben die Geschichte
Aber sie schreiben auch die Gegenwart. Heute ist man in Deutschland über einen angeblichen "deutschen Alleingang" besorgt. Damit haben Bush & Co. die Debatte schon gewonnen, denn sonst könnte man darüber reden, dass es keinen Grund für den Krieg gibt. Blair hat zugegeben, dass es keinen Zusammenhang zwischen al-Qaida und Hussein gibt, und selbst das US-Außenministerium hat unter der Leitung von Colin Powell im BerichtPatterns of Global Terrorism von 2001 von keinem solchen Zusammenhang gewusst.
Wenn westliche Länder wissen wollen, ob Hussein ABC-Waffen besitzt, brauchen sie ohnehin nur in ihren Auftragsbüchern nachzuschauen. Auch wenn die USA nicht die Hauptakteure waren, haben US-Firmen solche Waffen an Hussein durchaus verkauft. Wer würde daran zweifeln, dass US-Regierungen über die Lieferungen aus Europa nicht informiert waren? Jetzt sollen selbst die Kriegsgegner sich gefälligst so aufführen, als würden sie am Ende doch einem Krieg zustimmen, wenn die alten Bestellungen aus dem Westen gefunden werden, damit der Druck auf Hussein hochgehalten wird...
Und der amerikanische Alleingang, den wir seit Jahren schon in der Klima- und Außenpolitik erleben? Den darf man offenbar nicht kritisieren, denn sonst würde die deutsch-amerikanische Freundschaft noch mehr belastet. Die schwarz-gelbe Opposition weiß: Wer Bush & Co. widerspricht, kriegt von US-Diplomaten eins aufs Maul.
Diese Taktik der USA hat außerhalb Europas Tradition. 1991 stimmte der Jemen als einziges Land gegen den Golfkrieg, und prompt versprach ein US-Diplomat dem Botschafter Jemens: "Das wird die teuerste Nein-Stimme sein, die Sie je abgegeben haben." Drei Tage später strichen die USA $70 Millionen in Entwicklungshilfe für den Jemen. Selbst die Feinde der Feinde Amerikas sehen die USA keineswegs als Freunde. 1993 erklärte der in Schweden lebende kubanische Exilautor René Vázquez Diaz, weshalb der Kommunismus in seiner Heimat noch fortlebt:
"Kuba ist ein Teil dieser von Wirren gebeutelten Region, und jede Analyse von Veränderungsmöglichkeiten muss die Haltung der Vereinigten Staaten einbeziehen: Welche realen Hoffnungen auf Demokratie mit gesellschaftlichem Fortschritt erlauben die Vereinigten Staaten schon in Lateinamerika?[...] Wie im übrigen Lateinamerika gibt es in Kuba Demokraten, die sich diabolisch darüber freuen, dass wenigstens ein kleines Land den Mut besitzt, selbstbewusst der unzugänglichen Arroganz der Herren aus dem Norden zu trotzen und mit ihnen auf gleicher Ebene zu verkehren, ohne den Blick zu senken."
Nun wagt es die deutsche Bundesregierung - aus welchen Gründen auch immer - auf gleicher Ebene mit den USA zu verkehren und sich nicht alles gefallen zu lassen. Die Reaktionen der US-Diplomaten sind bisher nicht eines Kindergartens würdig. Die Bush-Regierung gerät außer Kontrolle. Sie möchte "kleinere" Atombomben entwickeln und verwenden (Das Pentagon will neuartige taktische Atombomben). Sie hat letztes Jahr beschlossen, dass US-Soldaten notfalls in den Haag einmarschieren werden, falls ein US-Soldat dort vor dem Internationalen Gerichtshof irgendwann der Prozess gemacht werden soll (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden). Sie verhaftet unschuldige Bürger und legale Einwanderer auf bloßen Verdacht und kann laut Patriot Act ohne Durchsuchungsbefehl in Wohnungen einbrechen und "Beweise" sammeln, ohne dem Bewohner überhaupt sagen zu müssen, dass sie etwas mitgenommen hat.
Vielleicht sollte man die Amerikaner unbedarft fragen: "Wie konnte es überhaupt dazu kommen?" Anstatt dass Millionen Amerikaner auf die Strasse gehen und dem Blödsinn ein Ende machen, gibt es erste Anzeichen für einen Boykott deutscher Waren - frei nach dem Motto: "Für uns oder gegen uns". Dafür sollte ein englischsprachiges Motto über den Atlantik zurückschallen: "With friends like that, who needs enemies?"