US-Generalstabschef Milley: "Am Ende des Tages wird es eine politische Lösung geben"
Ukraine-Krieg: Wie steht es um die Ziele der USA? US-Verteidigungsminister Austin und der Vorsitzende des Joint Chiefs of Staff deuten auf unterschiedliche Auffassungen in der US-Führung hin.
Der Krieg in der Ukraine wird noch länger andauern. Diese Einschätzung lässt sich deutlich aus einer Pressekonferenz herauslesen, die US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin und der Chef des US-Generalstabs, Mark A. Milley, gestern gegeben haben.
General Milley ließ in jüngster Zeit mit Bemerkungen aufhorchen, die verstehen ließen, dass er für Verhandlungen mit Russland eintritt. So hieß es etwa kürzlich vom Chefkorrespondenten Außenpolitik der Welt, dass einige "US-Regierungsmitglieder" wie etwa Generalstabschef Mark Milley "dafür plädieren, die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen".
Diesen Eindruck relativierte der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff zunächst in der Pressekonferenz. Grundsätzlich sei es "Sache der Ukraine, zu entscheiden, wie und wann oder ob sie mit den Russen verhandelt", stellte er als politische Prämisse heraus. Das habe der Präsident der Vereinigten Staaten "uns gegenüber sehr, sehr deutlich gemacht".
Dem fügte er, angesprochen auf eine frühere Bemerkung, wonach er doch letzte Woche eine Möglichkeit für Verhandlungen mit Russland gesehen habe, noch hinzu:
"Ich denke, die Ukrainer sollten den Druck auf die Russen aufrechterhalten, soweit sie militärisch dazu in der Lage sind."
Der zu erwartende "sehr, sehr kalte Winter" müsse in Überlegungen zur Lage mit einbezogen werden. Taktische Operationen würden sich nach Einschätzung des Generals wahrscheinlich verlangsamen. Doch wisse niemand genau, ob die Linien von Charkiw bis nach Cherson, die laut dem General gerade dabei sind, sich größtenteils zu stabilisieren, auch über den ganzen Winter hinweg stabil sein werden oder auch nicht.
Zu rechnen sei nämlich auch damit, dass der Boden in den Kältemonaten Januar und Februar gefroren sein würde, womit er sich wiederum als Untergrund für offensive Operationen anbieten könnte.
"Unknowns" und ein kleiner Möglichkeitsraum
So könnte es entweder zu einer Verlangsamung kommen oder eben doch militärisch einiges passieren. In diesem "Unknown" (vgl. den Ex-Verteidigungsminister Rumsfeld) siedelt Milley dann die Aussichten für mögliche Verhandlungen an. Der General sieht ein kleines Fenster im kalten Möglichkeitsraum:
Es könnte also im Winter viel los sein, aber in der Regel werden sich die taktischen Operationen aufgrund des Wetters ein wenig verlangsamen. Und ich denke, dass Präsident Biden und Präsident Selenskyj selbst gesagt haben, dass es am Ende des Tages eine politische Lösung geben wird.
Wenn es also zu einer Verlangsamung der eigentlichen taktischen Kämpfe kommt, wenn das passiert, dann könnte das möglicherweise ein Fenster werden - vielleicht auch nicht - für eine politische Lösung oder einen - zumindest den Beginn von Gesprächen, um eine politische Lösung einzuleiten. Das ist also alles, was ich gesagt habe.
General Mark A. Milley
Das Plädoyer für eine Verhandlungslösung fällt also aktuell vom "Regierungs-Mitglied" Milley eher zurückhaltend aus. Aber er spricht sie mehrmals an. Begründet mit einem Limit der militärischen Lösung.
Die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges, der darin besteht, die Russen aus der gesamten Ukraine zu vertreiben, einschließlich der von ihnen als Krim bezeichneten Region, ist militärisch gesehen nicht sehr hoch.
General Mark A. Milley
Weswegen, so Milley, "es eine politische Lösung geben könnte, bei der sich die Russen zurückziehen könnten". Immerhin könnte man jetzt doch auf einer guten Basis verhandeln.
"Sie wollen aus einer Position der Stärke heraus verhandeln. Russland liegt im Moment auf dem Rücken. Ich will damit nur sagen, dass es eine Möglichkeit dafür gibt. Das ist alles, was ich sage."
Allerdings zeigten sich in der Pressekonferenz politische Unterschiede. Während der Chef des Generalstabs durchblicken lässt, dass er die Rückeroberung der Krim militärisch nicht für unbedingt wahrscheinlich hält, macht sein Vorgesetzter im Pentagon dazu keine Aussagen.
"Was ist mit der Krim?"
"Was ist mit der Krim?" Luis Martinez vom US-Sender ABC wollte dies wissen. Da die USA mit den Himars Raketen mit einer Reichweite an die ukrainische Armee liefern, die die Krim erreichen können, gebe es da nicht Grund zur Besorgnis?, wollte der ABC-News-Journalist wissen.
Als Hintergrund nahm er die gestrige Aufregung und die Spekulationen über den Raketenvorfall im Nato-Land Polen. Als Milley auf die Frage nicht einging, stellte Martinez die Frage neu: "And Crimea, sir?"
Jetzt antwortete ihm der US-Verteidigungsminister:
Sie wissen, dass der Winter nicht bedeutet, dass wir(!) aufhören zu kämpfen oder - oder die Ukrainer aufhören werden zu kämpfen. Wie der Vorsitzende (des Joint Chiefs of Staff, General Mark A. Milley; Einf. d. A.) bin auch ich davon überzeugt, dass sie es nicht tun werden.
Und in diesem Sinne sind die Ziele dieses Kampfes die der Ukrainer. Sie sind nicht - sie sind nicht unsere (i.O. "They're not - they're not ours"). Und so werden wir den Ukrainern, wie wir es in der Vergangenheit auch nicht getan haben, nicht vorschreiben, was sie tun können und was nicht. Unser Hauptaugenmerk liegt also darauf, ihnen weiterhin die Mittel an die Hand zu geben, um in ihren Bemühungen erfolgreich zu sein. Und das ist meine Antwort auf die Frage zur Krim. Nochmals, die Krim ist ein Thema, das von der ukrainischen Führung durchdacht und gelöst werden muss.
US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin
Als ob die USA und die Nato, die, wie auch die ukrainische Führung bestätigte, mit ihrer militärischen Unterstützung erheblich dazu betragen, dass sich die Ukraine so gut gegen den Angreifer behauptet und dies gegen alle Annahmen zu Anfang des Krieges, nicht auch beträchtlichen Einfluss auf Kiew haben? Das wird hier gar nicht angesprochen.
"Russland auf dem Rücken"?
Eine naheliegende Erklärung ist, dass die US-Regierung bislang alles unterstützt, was eine Schwächung Russlands bedeutet. Das hat US-Verteidigungsminister Austin bereits unmissverständlich Ende April erklärt.
Bislang zeige der Verlauf des Ukraine-Krieges nach Aussagen der beiden Militär-Vertreter auch, dass sich die ukrainische Abwehr sehr erfolgreich gegen die russischen Angreifer behaupte und Russlands Armee größere Schwächen an den Tag lege. In Milleys Klartext:
Kurz gesagt, sie wollten die gesamte Ukraine überrennen, und sie haben verloren. Sie haben diese Ziele nicht erreicht. Sie haben ihre strategischen Ziele nicht erreicht, und sie scheitern jetzt an ihren operativen und taktischen Zielen.
General Mark A. Milley
Während der General mehrmals eine politische Lösung anspricht, hält sich Verteidigungsminister Austin zurück.
Es bleibt ein "Unknown" – nämlich die Schlagkraft des russischen Militärs trotz allem. Während Reuters schon vor Wochen darüber berichtete, dass Russland die Munition für Präzisionsangriffe ausgehe, ist dieser Tage die Rede von massiven russischen Raketen-Angriffen auf Versorgungseinrichtungen in ukrainischen Städten, wie das in der Debatte über den Raketeneinschlag in Polen neu herausgestellt wurde.
Laut New York Times sollen mindestens 15 Energieeinrichtungen am Dienstag getroffen worden sein - "einige davon zum fünften oder sechsten Mal". Die Welle russischer Angriffe habe dazu geführt, dass etwa 40 Prozent der kritischen Energieinfrastruktur der Ukraine beschädigt oder zerstört wurden.