US-Luftangriffe sollen in Kunduz Zivilisten getötet haben
Nach Pentagon und Provinzregierung sollen Taliban-Kämpfer die Ziele in der schwer zugänglichen Region gewesen seien
"Wir entschlossen uns zu fliehen, nachdem die Angriffe immer heftiger wurden", sagt Naqibullah, der sich mittlerweile mit seiner Familie in der Hauptstadt der nordafghanischen Provinz Kunduz aufhält. Ursprünglich stammt er aus dem Distrikt Chardara, der am vergangenen Wochenende zum Ziel von Luftangriffen des US-Militärs geworden ist.
Am Samstagmorgen verbreiteten sich die ersten Schilderungen von Augenzeugen vor Ort. Während anfangs von rund einem Dutzend getötete Zivilisten die Rede war, ist die Todesanzahl mittlerweile massiv gestiegen. Demnach sollen bei den Angriffen auf mindestens drei verschiedene Dörfer fünfzig bis sechzig Zivilisten, darunter auch Frauen und Kinder, getötet worden sein. UNAMA spricht von mindestens 11 getöteten Zivilisten. Bilder der Toten sowie die Ankündigung für deren Beerdigung machten in Sozialen Netzwerken ebenfalls schnell die Runde.
Sowohl das US-Militär als auch die lokale Provinzregierung weisen derartige Berichte zurück und behaupten, dass Taliban-Kämpfer die Ziele der Luftangriffe gewesen seien. Laut dem Pentagon wurde der Einsatz "unabhängig untersucht". Für zivile Opfer wurden "keine Beweis" gefunden. Die betroffenen Dörfer wurden allerdings von keinem Angehörigen des US-Militärs aufgesucht, um den Sachverhalt vor Ort zu untersuchen. Der Provinzregierung zufolge hatten die Taliban Dorfbewohner gezwungen, Leichen von toten Kämpfern zu bergen, als die Luftangriffe begannen.
Von vielen Menschen vor Ort wird diese Version der Dinge allerdings nicht geteilt. "Viele unschuldige Menschen wurden getötet. Meine Familie, die ebenfalls aus Chardara stammt, konnte rechtzeitig fliehen. Ich hoffe, dass diese Kriegsverbrechen nicht einfach ignoriert werden", meint Mohammad aus Kunduz.
Wie viele andere Distrikte in der Provinz wird Chardara von den Taliban kontrolliert. Bei Luftangriffen wird allerdings kaum zwischen bewaffneten Kämpfern und Zivilisten unterschieden. Laut dem Weißen Haus gilt jede männliche Person im Umfeld eines Angriffszieles als "feindlicher Kombattant". Laut dieser Logik wären wohl auch alle männlichen Opfer des jüngsten Angriffs in Kunduz für die US-Regierung per se "Terroristen".
Hinzu kommt, dass Regionen wie Chardara nur schwer zugänglich sind. Verlässliche Informationen sind deshalb rar. "Ich frage mich, wie sich die Amerikaner und ihre Verbündeten derart sicher sein können, dass keine Zivilisten getötet wurden. Selbst jetzt ist es aufgrund der gefährlichen Situation äußerst schwierig, die betroffenen Dörfer aufzusuchen", mein Homayun Babur, ein Journalist aus Kunduz.
Laut Babur sind am Dienstag auch Regierungsvertreter aus Kabul vor Ort angereist, um sich ein eigenständiges Bild der Lage zu machen. Inwiefern diese die von den Taliban kontrollierten Gebiete problemlos betreten dürfen, bleibt allerdings weiterhin offen. Die militante Gruppierung hat Journalisten und unabhängige Beobachter bereits aufgerufen, nach Chardara reisen, um das Geschehen selbst einzuschätzen.
Seit Beginn der Präsidentschaft Donald Trumps wird der Luftkrieg des US-Militärs in Afghanistan zunehmend aggressiver fortgeführt. Im September wurden so viele Bomben über Afghanistan abgeworfen wie zuletzt 2012, als noch knapp 80.000 US-Soldaten im Land waren. Seit Januar fanden über 2.500 Luftangriffe im Land statt.
Von der Regierung von Präsident Ashraf Ghani wird diese Eskalation des US-Krieges in Afghanistan ignoriert. Regierungschef Abdullah Abdullah verkündete am Wochenende via Twitter seine Trauer über die Opfer des jüngsten Anschlages in Texas. Für das Bombenmassaker in Kunduz fand er allerdings keine Worte.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.