US-Wahl: Konzentration auf zehn Bundesstaaten
Joseph Biden hat den Umfragen nach deutlich mehr Wahlleuten sicher als Donald Trump - das Rennen ist trotzdem offen
Seit es Umfragen gibt, konzentriert sich das Ende amerikanischer Präsidentschaftswahlkämpfe auf einzelne Bundesstaaten. Das liegt daran, dass der US-Präsident - ähnlich wie der deutsche Bundespräsident und der deutsche Bundeskanzler - nicht direkt vom Volk gewählt wird, sondern von einem "Electoral College" aus Wahlleuten, die die einzelnen Bundesstaaten den dortigen Wahlergebnissen nach entsenden. Dabei teilen nur Nebraska und Maine ihre Delegierten auf. Im Rest der Bundesstaaten gehören sie nach dem First-Past-the-Post-Prinzip alle dem Sieger.
Westküste und Nordostküste fest in der Hand der Demokraten
Nimmt man einen Umfragevorsprung von mindestens zehn Prozentpunkten als Voraussetzung dafür, dann befindet sich die amerikanische Westküste mit Kalifornien, Oregon, Washington und Hawaii, aber auch die Nordostküste mit New York, New Jersey, Massachusetts, Connecticut, Rhode Island, Delaware, der Hauptstadt Washington D.C., Virginia und Maryland sowie der Breaking-Bad-Bundesstaat New Mexico fest in der Hand der Demokraten.
Die Republikaner können dagegen sicher mit den früher demokratisch beherrschten Südstaaten Louisiana, Alabama, Mississippi, Arkansas, Tennessee und Kentucky rechnen. Außerdem mit dem im Bürgerkrieg wegen seiner Treue zum Republikaner Abraham Lincoln von Virginia abgespaltenen West Virginia, dem ehemaligen Südstaatenindianerreservat Oklahoma und den Prärie- und Gebirgsbundesstaaten Nebraska, North Dakota, South Dakota, Wyoming und Idaho.
Nicht ganz sicher und ganz unsicher
Als nicht ganz sicher, aber mit einem Vorsprung von fünf Punkten zu den Republikanern tendierend, gelten dieses Jahr South Carolina, Indiana, Missouri, Kansas, Utah, Montana und Alaska. Eher zu den Demokraten tendieren dagegen den aktuellen Umfragen nach der Glücksspiel- und Scheidungsstaat Nevada, der South-Park-Bundesstaat Colorado, Minnesota und New Hampshire.
Damit verbleiben als Bundesstaaten mit relativ offenem Ergebnis Florida, Texas, Arizona, North Carolina, Georgia, Michigan, Wisconsin, Ohio, Pennsylvania und Iowa. Sie sind auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sieben von ihnen sehr bevölkerungsreich sind und deshalb viele Wahlleute im Electoral College stellen.
180 Wahlleute offen
Auch viele der Hochburgen der Demokraten sind bevölkerungsreiche Bundesstaaten mit vielen Wahlleuten. Den Zahlen von Real Clear Politics und des Cook Political Reports nach kann Biden deshalb im Electoral College mit einer relativ sicheren Basis von 203 Wahlleuten rechnen. Weitere 30 aus tendierenden Bundesstaaten gelten als wahrscheinlich. Für eine Mehrheit, die bei 269 Stimmen liegt, fehlen ihm dieser Rechnung nach noch 36 aus dem Pool der 180 Wahlleute aus Bundesstaaten mit offenem Ergebnis.
Amtsinhaber Trump kann sich dagegen nur auf 77 sichere und 48 wahrscheinliche Wahlleute stützen, weil die klar republikanischen Bundesstaaten weniger dicht bevölkert sind. Die Wahl verloren hat er deshalb noch lange nicht - denn auch er kann auf das Reservoir der 180 Wahlleute aus jenen Bundesstaaten zugreifen, in denen er nun seine Wahlkampfanstrengungen verstärken dürfte.
Die martialischer Metapher trifft es besser
Selbiges dürften auch die Demokraten machen, weshalb für diese Bundesstaaten der Ausdruck "Battleground States" ("Schlachtfeldstaaten") besser passt als der in manchen deutschen Medien als "weniger martialisch" bevorzugte und hierzulande eher an Unterhaltungsmusik erinnernde Anglizismus "Swing States" ("Schaukelstaaten"). Der suggeriert nämlich, dass das Bundesstaaten sind, die abwechselnd zu der einen und dann wieder zu der anderen Partei tendieren. Tatsächlich aber setzt sich das Feld der Bundesstaaten mit offenem Ergebnis bei jeder Wahl neu zusammen - und manche Bundesstaaten sind nur für eine recht kurze Periode Schlachtfeldstaaten. Viele Südstaaten etwa, die vom Bürgerkrieg bis in die 1970er Jahre hinein die Demokraten wählten, wandten sich unter Ronald Reagan den Republikanern zu und blieben dort.
Zudem erscheint die Metapher des Schlachtfelds auch angesichts der (ebenfalls metaphorischen) Geschütze passend, die die Parteien und Parteigänger dort auffahren. Der Fox-News-Starmoderator Tucker Carlson, der Trump unterstützt, verglich das aktuelle Vorgehen der Demokraten gestern beispielsweise mit dem Irakkrieg: Dort hatten amerikanische Politiker gewalttätige Gruppen instrumentalisiert, über die ihnen dann die Kontrolle entglitt. Etwas Ähnliches geschah seiner Wahrnehmung nach mit der Demokratischen Partei und den Gruppen, die jetzt in Kenosha zahlreiche Gebäude niederbrannten und in Portland einen Trump-Anhänger erschossen, dessen Tod sie anschließend bejubelten.
Carlson glaubt, dass sich Joseph Biden gestern vor allem deshalb von jeglicher Gewalt distanzierte, weil er in den Umfragen deutlich zurückfiel. Der deutlichste Absturz erfolge allerdings nicht erst nach Kenosha, sondern unmittelbar nachdem der Kandidat der Demokraten Kamala Harris zu seiner Vizepräsidentin erkor. Darauf, dass sie bei den Wählern weniger gut ankommt, als der häufig etwas verwirrt wirkende alte Mann, dem viele Amerikaner nichts Böses zutrauen, zeigte bereits ihre Umfragewertentwicklung während der Vorwahlen.
Dort startete die von den Leitmedien hofierte ehemalige kalifornische Justizministerin verhältnismäßig gut, stürzte aber ab, nachdem ihre Konkurrentin Tulsi Gabbard öffentlich machte, dass Harris 1.500 Menschen wegen Verstößen gegen die Marihuanagesetze ins Gefängnis brachte (und dann lachte, als sie gefragt wurde, ob sie jemals Marihuana geraucht hat), dass sie Beweise, die einen Unschuldigen vor der Hinrichtung bewahrten, so lange zurückhielt bis sie gerichtlich dazu gezwungen wurde und dass sie Gefängnisinsassen als billige Arbeitskräfte für den Bundesstaat Kalifornien nutzte und länger im Gefängnis behielt, als ihre Strafen dauerten.
Harris dementierte das nicht und wirkte später im Einzelgespräch mit dem CNN-Moderator Anderson Cooper bemerkenswert arrogant, als sie meinte, als "offensichtliche Spitzengruppen-Kandidatin" müsse man halt mit "Schlägen" von Bewerbern rechnen, die "bei null oder einem Prozent oder wo immer sie sein mag" liegen. Außerdem habe Gabbard schon einmal mit Baschar al-Assad gesprochen und verurteile ihn nicht ausreichend (vgl. Trump gibt Pentagon 30 Tage Zeit, einen Plan zur IS-Bekämpfung vorzulegen). Deshalb nehme sie den Angriff nicht sehr ernst und werde "einfach weitermachen" (vgl. "[Kamala Harris] brachte 1.500 Menschen wegen Verstößen gegen die Marihuanagesetze ins Gefängnis …).
Ihren Versuch, Biden über eine Kontaktschuld mit einem verstorbenen demokratischen Politiker indirekt als Rassisten anzuschwärzen, rechtfertigte sie später damit, dass das halt Politik sei. In so einem Kontext wirkt auch ihr explizites Beharren auf ein Schwarzsein nicht ganz frei von Berechnung: Immerhin wuchs die Tochter einer Biologieprofessorin aus der indischen Brahmanen-Oberschicht und eines jamaikanischen Wirtschaftsprofessors, der in Stanford lehrte und dessen Vorfahren Sklaven hielten, unter Umständen auf, die mit denen amerikanischer Schwarzer aus heruntergekommenen Teilen Baltimores oder Detroits nicht sehr viel gemeinsam haben dürften. Womöglich auch deshalb sagen schwarze Wähler in Umfragen, dass die Entscheindung für Harris ihre Bereitschaft verringert, im November für Biden zu stimmen.
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