USA: "Nur Nixon durfte nach China"

Der Konflikt USA-China und Nancy Pelosis geplanter Taiwan-Besuch: Eine politische Zwickmühle des alternden Hegemons. Spielt da jemand mit dem Feuer?

Die USA sind nicht mehr der alleinige Hegemon, zumindest nicht in Süd-Ost Asien. Daraus ergibt sich nicht, dass die Supermacht bereit wäre, das Feld dort einfach den Chinesen zu überlassen.

Dennoch haben die neuen Machtverhältnisse reale politische Folgen, wie das Sicherheitsabkommen mit Australien, die das existierende militärische Kräfteverhältnis im Pazifik, – also eines zugunsten der USA –, aufrechterhalten sollen.

USA: Lieber keine direkte Teilnahme mehr an Konflikten

Trotz alledem zeigen solche Abkommen auch, dass die mittlerweile in die Jahre gekommene Großmacht vielleicht nicht mehr an jedem Konflikt direkt teilnehmen möchte oder kann und somit Verantwortung an Verbündete abgeben möchte. Diese weltweite sanfte Rückzugspolitik beunruhigt einige US-Verbündeten so sehr, dass ehemalige Feinde, wie die Saudi-Arabien und Israel, sich zuvor undenkbaren Bündnissen annähern.

Auch im Indopazifik versuchen die USA Bündnisse mit und zwischen anderen Nationen zu schmieden, die den wirtschaftlichen und militärischen Interessen der USA entsprechen. Präsident Bidens Indo-Pacific Economic Framework, das er während seiner Asienreise im Frühling propagierte, ist allerdings eher ein lose formulierter Plan für ein zukünftiges Handelsabkommen.

Es handelt sich also erst einmal um eine symbolische Geste, um weiterhin den Anschein von Einfluss zu wahren und vor allem, um der Expansionspolitik des Erzrivalen China Grenzen zu setzen.

Es ist nicht leicht, die eigenen Verbündeten in der Region in Sicherheit zu wiegen, ohne dabei China allzu sehr auf den Schlips zu treten, denn der Hauptkonkurrent im Indopazifik ist auch einer der größten Haupthandelspartner der USA.

Besondere Vorsicht ist in der US-China-Diplomatie vor allem dann geboten, wenn es um den kleinen Inselstaat Taiwan geht. Die Inselnation ist seit ihrer Gründung in Gefahr, von China annektiert zu werden.

Der Ausrutscher Bidens

Es geht den USA also ständig darum, Taiwan und anderen Verbündeten weltweit, glauben zu machen, die Allmacht der USA sei ungebrochen und gleichzeitig Beijing nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Eine Gratwanderung, die in Zeiten des Ukraine-Kriegs gar nicht so leicht zu bewältigen ist, wie schon ein Ausrutscher des Präsidenten während seiner Asienreise im Frühling zeigte.

Auf die Frage bei einer Pressekonferenz in Tokio, ob die USA bereit wären, sich militärisch zu engagieren, um Taiwan gegen China zu verteidigen, nachdem sie dies in der Ukraine nicht getan haben, sagte Biden: "Ja – das ist eine Verpflichtung, die wir eingegangen sind.".

Das Weiße Haus erklärte später, Biden habe lediglich gemeint, im Falle eines Angriffs würden die USA Taiwan militärische Ausrüstung zur Verfügung stellen, nicht aber Truppen zur Verteidigung der Insel entsenden, denn das hätte ja einen grundlegenden außenpolitischen Wechsel bezüglich Taiwan dargestellt.

Pelosis geplanter Besuch

So gesehen ist Nancy Pelosis geplanter Taiwan-Besuch, der aktuell für mediale Furore und noch mehr Spannung zwischen den USA und China sorgt, geradezu im Einklang mit der bisherigen "hin und her"-Außenpolitik der aktuellen Regierung. China ist offensichtlich von diesem Kurs nicht gerade begeistert und begann sofort mit den üblichen militärischen Drohgebärden.

Während eines Telefonats zwischen Biden und Xi Jinping am Donnerstag drückte sich der chinesische Präsident laut Financial Times in etwa so aus:

Diejenigen, die mit dem Feuer spielen, werden daran zugrunde gehen. Es ist zu hoffen, dass die USA sich darüber im Klaren sind.

Xi Jinping, zitiert nach Financial Times

Auf die Frage, ob die USA die Äußerungen als Drohung auffassten, antwortete ein hochrangiger US-Regierungsbeamter, China habe die Metapher schon früher verwendet, wenn von Taiwan die Rede war.

Alte Wunden

Kein Grund zur Beunruhigung also. Verbale Eskalationen zwischen den Supermächten passieren demnach regelmäßig, besonders wenn es um Taiwan geht. Die kleine Insel voller Finanzinstitutionen reißt sowohl in den USA als auch in China alte Wunden wieder auf.

Und das mit gutem Grund. Es ist noch nicht allzu lange her, da standen sich die beiden Weltmächte auf koreanischem Boden in einem heißen Kapitel des "Kalten Krieges" unversöhnlich gegenüber.

Wie sehr der Konflikt um Nancy Pelosis Besuch im Kalten Krieg verankert ist, zeigen auch Kommentare von drei, mit der Situation vertrauten, Personen in der Financial Times. Laut diesen Quellen hat, "das Weiße Haus seine Besorgnis über die Reise zum Ausdruck gebracht. Der Zeitpunkt ist für China heikel, da die Reise in denselben Monat fällt wie der 1. August, der Jahrestag der Gründung der Volksbefreiungsarmee".

Klingt weit hergeholt, doch war es ebendiese Armee, die unter äußerster Anstrengung im chinesischen Bürgerkrieg, die Nationalistischen Streitkräfte Chiang Kaisheks schlug. Dieser setzte sich daraufhin 1949 nach Taiwan ab, um dort sein "freies" China zu errichten.

Der Korea-Krieg

Chiangs Militärdiktatur wäre schnell gescheitert, wäre da nicht der Korea-Krieg gewesen. Um eine sichere Basis für US-Truppen errichten zu können, wurde die Insel von den USA in Windeseile in eine Militärfestung verwandelt, Wirtschaftshilfen inklusive. Ein Glück für den Diktator, denn zuvor hatten ihm die USA, nach seiner Niederlage gegen Maos Volksbefreiungsarmee, die kalte Schulter gezeigt.

In Korea trieben derweil die chinesische "Freiwillige Volksarmee" zusammen mit nordkoreanischen Streitkräften, die südkoreanische Armee und ihre UN-Verbündeten, die sich vorwiegend aus US-Streitkräften zusammensetzten, zurück über den 38. Breitengrad.

Ein unerwarteter Erfolg für die schlecht ausgerüstete "Freiwillige Volksarmee", der erst letztes Jahr in dem erfolgreichsten chinesischen Film des Jahres "The Battle at Lake Changjin" verewigt wurde. Der Teil des Koreakrieges, der hier zum Heldenepos stilisiert wird, gilt bis heute für US-Imperialisten und Anti-Kommunisten als ultimative Schmach, denn General McArthur und seine politischen Verbündeten hatten sich zum Zeitpunkt des chinesischen Kriegseintritts schon siegreich gewähnt.

Vielleicht wird der Korea-Krieg gerade deswegen in den USA gerne als der "Vergessene Krieg" bezeichnet. Gelernt hatte man jedenfalls nicht, wie späte der Vietnamkrieg zeigte.

Was bleibt ist ein gespaltenes Korea in einer nuklearen "Patt-Situation" und ein ständig durch China bedrohtes, mittlerweile allerdings tatsächlich demokratisches Taiwan. Eine politische Landschaft also, die nur durch das militärische und ökonomische Eingreifen der USA besteht und trotz aller politischen Entwicklungen und Annäherungen an China, seltsam in der Zeit eingefroren wirkt.

Taiwan: Auf lange Sicht kaum möglich, sich einer Annexion durch China zu widersetzen?

Wie seltsam künstlich das Verhältnis der USA mit China in Bezug auf Taiwan anmutet, zeigt auch die Ein-China-Politik, die die USA seit der Normalisierung der Beziehungen zu Beijing im Jahr 1979 verfolgen. Im Rahmen dieser Politik erkennt Washington Beijing als alleinige Regierung Chinas an, nimmt aber Beijings Standpunkt, dass Taiwan ein Teil Chinas ist, lediglich zur Kenntnis.

Ein kompliziertes Verhältnis, das ständig für politische Spannungen sorgt, besonders wenn die Stimmung zwischen den beiden Supermächten ohnehin im Keller ist.

Warum Pelosi Präsident Biden gerade jetzt in eine Position bringt, in der er zwischen einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen mit China und der Gefahr, noch vor dem Wahlkampf als "soft on China" gebrandmarkt zu werden, wählen muss, wirft Rätsel auf.

Aber auch diese politische Zwickmühle wirkt wie ein Relikt aus den Tagen des Kalten Krieges, als der Vorwurf, man sei etwas zu offen gegenüber den Sowjets politische Karrieren beenden konnte. Damals konnte nur ein erwiesener Anti-Kommunist wie Nixon es wagen, "nach China zu gehen".

Es ist allerdings für eine politische Person von Pelosis Rang bisher auch nicht üblich gewesen, einfach im Zuge einer Amtsreise Taiwan zu betreten. Der letzte "Speaker of the House", der Republikaner Newt Gingrich, reiste 1997 nach Taiwan und das gegen den Willen des damaligen Präsidenten Bill Clinton.

Die Aufregung um Pelosis Besuch erinnert an eine Zeit, in der solche Gesten deutlich realere Konsequenzen hatten. Denn auch wenn das politische Agieren an frühere Zeiten erinnert, hat die momentane politische Situation doch wenig mit den Tagen des Kalten Krieges zu tun.

China und die USA stehen sich ideologisch nicht mehr so unversöhnlich gegenüber, wie sie es gerne vorgeben zu sein, und die beiden Großmächte sind, trotz aller wirtschaftlichen Konkurrenz, letztendlich auch die wichtigsten Handelspartner des jeweils anderen. Auf lange Sicht wird es Taiwan kaum möglich sein, sich einer Annexion durch China zu widersetzen.

USA: Krieg für Taiwan unwahrscheinlich

Da hilft auch die unbestrittene militärische Übermacht der USA nichts, denn es ist höchst fraglich, ob ein echter Krieg für Taiwan in der US-Bevölkerung auch nur ansatzweise genug Zuspruch fände. Die Ideologie des "War-On-Terror" mag genügen, um kleinere Länder im Nahen Osten zu besetzen.

Um aber, wie während des Kalten Krieges, den Konflikt mit einer Großmacht wie Russland zu riskieren, müsste das Volk in eine Hysterie versetzt werden, wie es nur durch antikommunistische Propaganda, während des "Red Scare" oder der "McCarthy Ära" möglich war.

Sollte China sich also wie angekündigt dazu entschließen, Taiwan 2027 zu annektieren – zur Not durch Waffengewalt – , werden die USA nicht militärisch eingreifen. Viel eher wird der alte Hegemon ähnlich reagieren wie auf die Annexion der Ukraine durch Russland: Dem unterlegenem Land Waffen liefern, bis zur unvermeidlichen Niederlage desselben.