USA wollen länger in Syrien bleiben

Trump und Putin in Vietnam, wo sie auch Abmachungen zu Syrien trafen (10. November 2017). Bild: Vladimir_Putin_%26_Donald_Trump_at_APEC_Summit_in_Da_Nang,_Vietnam,_10_November_2017.jpg:Kremlin.ru / CC BY 4.0

Verteidigungsminister Mattis begründet dies mit dem Kampf gegen den IS. Die entscheidende Rolle spielt das Arrangement mit Russland

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Der Krieg in Syrien tritt in eine neue Phase, die stärker von Verhandlungen zwischen den großen Interessensmächten bestimmt wird als zuvor. Das geht jedoch nicht damit einher, dass "militärische Lösungen" in den Hintergrund treten. Sie bleiben das wichtigste Moment, um Machtansprüche de facto geltend zu machen.

Abzusehen war die Entwicklung schon länger, deutlich wird die Akzentverschiebung durch eine Äußerung des US-Verteidigungsminister Mattis, die im Kern besagt, dass die USA so lange in Syrien bleiben werden, wie es nach ihrer Einschätzung nötig ist.

Syrische Regierung im Krieg mit den USA?

Vertreter der syrischen Regierung erklärten daraufhin, dass die Präsenz von US-Truppen auf syrischem Boden ohne Einwilligung der Regierung in Damaskus "einen Akt der Aggression und einen Akt gegen die Souveränität darstellen" würde. Damit wäre aus Sicht der syrischen Regierung eine Angriffshandlung gegeben und eine Kriegserklärung die sich aufdrängende Folge.

Die Frage ist aber, ob entsprechend Konsequenzen gezogen würden. Ob die syrische Regierung tatsächlich auch offen Krieg gegen die zehn US-Militärbasen auf ihrem Gebiet führen würde, wenn die USA und Russland Absprachen getroffen haben, die durch solche Angriffe erheblich gefährdet wären?

Anders gesagt: Gleichwohl, was das Völkerrecht dazu sagt, wie hinterhältig sich die vorgeblichen Motive Mattis beim näheren Hinsehen ausnehmen - wenn die USA in Syrien bleiben wollen, so hängt das zumindest auf kürzere Frist hauptsächlich davon ab, wie Russland dazu steht, welche Arrangements die beiden stärksten Mächte in Syrien treffen.

Auf längere Frist kann, wie das im Irak bereits demonstriert wurde, ein "unorthodoxer Krieg" gegen den Besatzer, geführt über Milizen, den Preis für ihn so hoch treiben, dass ihm eine andere Option, als zu bleiben, lieber ist.

"Wir gehen jetzt nicht fort"

Mattis sagte in einer Pressekonferenz, wo Äußerungen, wie Lücken im Manuskript erkennen lassen, akustisch nicht immer verständlich waren, dass die USA nicht zu einem Zeitpunkt Syrien verlassen würden, solange der Genfer Prozess noch nicht kaputt ("cracked") ist.

Die Äußerung, die von Reutersübernommen wurde und sich von dort aus in die internationale Berichterstattung verbreitete, betraf jedoch den "Kampf gegen den IS". Das Kalifat neige sich doch dem Ende zu, so ein Fragesteller, der die Äußerung Mattis "we're not just going to walk away right now" noch einmal aufnahm. Mattis' Antwort ausnahmsweise im Original (Übersetzung folgt):

Question: (Inaudible) caliphate comes to an end though.

SEC. MATTIS: It's not, you know -- how do you call them in to someone who already has made it clear, and been clear, that they will continue to attack with small pockets, and that sort of thing.

So, you the enemy hasn't declared their -- their done with the are yet. So, we'll keep fighting them as long as they want to fight.

Hallway Press Gaggle by Secretary Mattis

Das ließe sich frei so übersetzen, dass der Feind deutlich gemacht habe, dass er seine Aktivitäten nicht beendet habe und weiter angreifen werde, wenn auch mit kleineren Operationen. Solange keine andere Erklärung erfolge, bzw. solange sich daran nichts ändere, gelte: "Wir werden den Kampf gegen ihn fortsetzen, so lange sie kämpfen wollen."

Der IS bestimmt die Dauer der US-Präsenz?

In Zusammenhang gebracht mit der offiziellen Begründung der US-Präsenz in Syrien, dem "Kampf gegen den IS", läuft das darauf hinaus, dass der IS die Dauer des Militäreinsatzes im Land bestimmt und nicht die syrische Regierung.

Das findet durch die Abzugs-Vereinbarungen mit dem IS, die seit Wochen bekannt sind und aktuell neu vom BBC bestätigt wurden (siehe Rakka: Der schmutzige Deal mit dem IS), eine eigenartige Pointe: Die USA helfen dem IS dadurch beim Überleben und darüber hinaus auch bei kämpferischen Aktionen auf syrischem Gebiet. Man sorgt damit also dafür, dass der Grund für die eigene Militärpräsenz in Syrien nicht verschwindet.

Zur Untermauerung der Legalität dieser Präsenz zieht Mattis die UN heran:

Wie sie wissen, sagte die UN, dass ISIS … im Grunde, dass wir ISIS verfolgen können. Und dass wir dort sind (in Syrien, Anm. d. A.), um sie auszuschalten. Aber das bedeutet nicht, dass wir jetzt einfach weggehen und ISIS 2.0 wieder ringsherum auftauchen lassen? Als ob wir davon überrascht wären. Also brauchen wir eine von der UN-vermittelte Bemühung in Genf, um die Sache voranzutreiben. (Auslassungen und Fragezeichen im Original).

Hallway Press Gaggle by Secretary Mattis

Falsche Legimierung durch UN-Resolutionen und die Relevanz des Völkerrechts

Sachlich richtige Verweise, wie sie etwa bei RT angeführt werden, wonach sich die US mit solchen Aussagen oder Ableitungen eben nicht auf UN-Resolutionen stützen kann und Mattis Behauptung "falsch" ist, und die US-Präsenz in Syrien nicht vom Völkerrecht gedeckt sind, sondern dagegen verstoßen, treffen nicht die tatsächlich relevanten Angelpunkte der US-Position. Die heißen Macht und Interessen.

Nebenbei: Auslegungen des Völkerrechts, das nicht in einer integralen kodifizierten Form vorliegt, waren immer schon von Macht und Interessen bestimmt wie auch UN-Resolutionen. Dazu kommt, dass es Assad eine Zeitlang mehr oder minder "egal" war, ob die USA den IS in Syrien angreifen, wie er in früheren Interviews dazu befragt durchblicken ließ, da andere Kriegsgegner wie die al-Qaida geführte Dschihadisten-Allianz wichtiger waren. Das Völkerrecht bemühte er jedenfalls in Sachen US-Luftangriffe gegen den IS nicht sonderlich laut.

USA: Mitbestimmen, wie Syrien neu gestaltet wird

Die USA wollen mitbestimmen, wie Syrien neu gestaltet wird, sie wollen Assads Macht beschränken, den Interessen ihrer Nahostpartner Israel, Saudi-Arabien und Jordanien dabei so viel Einfluss einräumen wie möglich. Daran hängt nicht zuletzt auch der große Geschichtsbuchtraum des wahrlich für Eitelkeiten nicht unempfänglichen Präsidenten Trump von der Friedenslösung Israel/Palästina.

Es sieht nun ganz nach einem "Wettlauf" zwischen Genf und Astana aus: Welche Abmachungen werden welche Relevanz für Syrien haben? Das Bemerkenswerte ist nun, dass die USA zwar einerseits die Vorteile der Gespräche von Genf benutzen wollen, wo Assads politische Position Angriffen einer von den "Freunden Syriens" bestimmten Opposition ausgesetzt ist, anderseits aber auch die für das tatsächliche Geschehen in Syrien sehr viel relevanteren Abmachungen von Astana für sich nutzen wollen: über Arrangements mit Russland, die in Astana berücksichtigt werden müssen.

Die Deeskalationszone

Mattis bekräftigt dies in seiner Pressekonferenz, wo er auf die "Deeskalationszone" im Süden Syriens eingeht. Die Konturen und der Inhalt dieser Pufferzone sind ziemlich vage. In der Öffentlichkeit ist weder bekannt, wie ihre Ausdehnung genau aussieht, noch ob es denn tatsächlich abgemacht wurde, dass sich in dieser Zone, die sich in der Nähe der syrischen Grenzen zu Israel und Jordanien befinden soll, keine schiitischen Milizen aufhalten dürfen.

Das wurde so in den letzten Tagen berichtet, aber schleunigst wieder dementiert. Hier sind viele Empfindlichkeiten und vor allem Interessen im Spiel. Daher auch die Geheimnistuerei. Auch darüber, wer auf die Wahrung dieser Zone aufpassen soll, gibt es keine Klarheit. Alles bewegt sich öffentlich noch im Unverbindlichen. Unübersehbar ist jedoch, dass auch Russland als erheblicher Faktor für Syriens Stabilität kein geringes Interesse daran hat, dass die USA, Saudi-Arabien und Israel in die syrische Lösung miteinbezogen werden.

Interessensausgleich?

Im Übrigen benötigt nicht nur Israel die "Lösung über Russland" (Natanjahu machte mehrmals Besuch in Moskau), sondern auch Iran, um Eskalationen "in Schach" zu halten, welche der iranischen Wirtschaft gerade jetzt gar nicht gut täten. So ist der ganze Lärm der letzten Zeit mit Kriegsdrohungen aus Saudi-Arabien, der Verbalkulisse an US-amerikanischen und israelischen Kampfansagen an den Terrorstaat Iran auch sehr nützlich, um den Interessen dieser Parteien in Syrien Nachdruck zu verleihen. Und die USA können es sich selbst im "imperialen Sinkflug" nicht - oder gerade da noch weniger - leisten, auf einen Einfluss in Syrien zu verzichten.

Inwieweit solche Kalküle, Vorstellungen, Interessensausgleichversuche dann auch aufgehen, ist gerade in Syrien allerdings schwer zu sagen. Dort ist noch immer Krieg. Baschar al-Assad will das ganze Land zurück und er hat die letzten sechs Jahre gezeigt, dass er strategisch viel weitsichtiger agieren kann, als sich das Nachbarländer wie etwa die Türkei, westliche Länder oder die Supermacht USA haben vorstellen können. Viel hängt davon ab, welchen Nenner Russland und die syrische Regierung für die Neuordnung finden.

Die vielen Häupter des Krieges

Der IS, der noch immer große Teil der Wüste als Rückzugsgebiet hat, wird den Guerillakampf aufnehmen. Selbstmordattentate durch Schläferzellen können Ängste und böses Blut wecken und Dynamiken in Gang setzen, mit denen vorher nicht zu rechnen war.

Dass die US den IS für ihre Ziele instrumentalisieren, ist ebenso wie der Verlauf dessen, was irrtümlicherweise und mit Absicht viel zu lange als Aufstand falsch etikettiert wurde, ein Hinweis darauf, dass die Option Chaos und Instabilität zur Verfügung steht. Auch damit kann man drohen, wenn Interessen nicht berücksichtigt werden.

Und ausgemacht ist auch nicht, dass Konflikte mit Beinahe-Konfrontationen zwischen den USA und Russland immer so ausgeräumt oder beschwichtigt werden können, dass die Arrangements halten. Bislang haben sie in Syrien nie lange gehalten.