Über den Dächern die Sehnsucht
Was nicht passt, wird passend gemacht: Tendenzfilm aus dem Meta-Weimar – die ARD-Serie "Eldorado KaDeWe" will viel und schafft manches
Es weht durch die ganze Historie
Friedrich Holländer, 1926
Ein Zug der Emanzipation
Vom Menschen bis zur Infusorie
Überall will das Weib auf den Thron
"Formen der Liebe" – der Titelsong gibt den Takt vor. Inga Humpe, nicht Zweiraumwohnung, sondern gemeinsam mit Matthias Petsche und Tommi Eckart und ihrem Team, hat für die Serie mehrere Lieder eigens komponiert und singt auch ein paar davon selbst. Ihr gelingt es, die Atmosphäre des Nachtlebens der 1920er-Jahre mit der Moderne der Jahrtausendwende zu verbinden, Leichtigkeit mit unaufdringlicher Substanz: Pop at its Best. Daneben gibt es modernisierte Versionen historischer Lieder und Schlager.
Diese Musik ist für die Serie "Eldorado KaDeWe" besonders wichtig, denn sie hält die übrigen, zum Teil recht disparaten Elemente zusammen: "Wir wollen alle Schönheit sehen/warum soll jemand draußen stehen? Solange wir lebendig sind. Und Wirklichkeit mit Wir beginnt. Bling Bling/Formen der Liebe. Alle Formen der Liebe."
Berlin und die Zwanzigerjahre als Projektionsfläche
"Formen der Liebe" – das ist Programm für eine Serie, die auf ihrer forciert aktualisierten, zum Teil auch aktualistischen Ebene Diversität zur Schau trägt, sie in Weimarer Zusammenhänge, Kultur und Lebensgefühl der 1920er-Jahre auf eine Weise von oben hineinschreibt, die von der historischen Substanz wenig, mitunter zu wenig übriglässt.
Berlin – das war schon immer, ist seit Jahrzehnten und immer wieder noch mehr als alles Sonstige eine Projektionsfläche für das Verdrängte der Gegenwart. Dabei unbedingt auch für das, was verdrängt wird, indem man es nach vorne schiebt, vermeintlich "sichtbar macht", aber eben dadurch, dass es explizit ins Schaufenster gehoben wird, auf eine andere Weise der Wahrnehmung entzieht.
So war es vor über 40 Jahren mit den "Kindern des Bahnhof Zoo". Heroinsucht und Kinderprostitution wurden ausgestellt und irgendwann bei der Reinigung öffentlicher Orte komplett aus diesen verbannt.
So ist es heute mit der sogenannten "queeren" Kultur, die nach Jahren, in denen sie aus der "Abnormalität" zur "Besonderheit" wurde, nunmehr als "normal" gelten soll, als ein Akzidens der Persönlichkeit, wie Haarfarbe oder Kleidungsstil.
"Eldorado KaDeWe" ist der neueste Anlass für die Frage, ob etwas schon "normal" und selbstverständlich wird, weil man es dazu erklärt, oder ob diese Art von forcierter Selbstverständlichkeit den bisexuellen, lesbischen und schwulen Lebensweisen nicht einen Bärendienst erweist und allzu erwartbare Wunschvorstellungen der Gegenwart in eine vergangene Epoche hineinprojiziert.
In den Zwanzigerjahren war freiheitliches Denken in sexuellen und kulturellen Fragen eine Klassenangelegenheit. Zumindest urbane und junge Kreise – und um die soll es ja auch in diesem Film gehen – gingen viel selbstverständlicher, libertärer, progressiver und – ja! – "normaler" mit allen Facetten der Sexualität um. Wer daraus heute die Funken schriller Schauwerte schlägt, projiziert die eigene unterdrückte Spießigkeit, den eigenen inhärenten Konservativismus in die damaligen Verhältnisse.
Aber der Reihe nach.
"Eldorado KaDeWe" – schon der Titel der sechsteiligen ARD-Miniserie markiert zwei Extreme des Berlin nach 1918: Das Nobel-Kaufhaus und die Halbwelt. Beide Orte werden gleichermaßen zur Bühne für eine Handvoll junger Menschen, für die Deutschlands 1920er-Jahre gerade auch in dem Chaos, das untrennbar zu ihnen gehört, der Haltlosigkeit der Gesellschaft und dem, was Zeitgenossen wie Hermann Broch als "Zerfall der Werte" beschrieben, Aufbruchschancen, neue Offenheit und tausend Möglichkeiten boten.
Hedi, am ehesten die Hauptfigur, ist eine junge Frau aus kleinen, bettelarmen Berliner Hinterhof-Verhältnissen – der Vater ist ein armer Fuhrwerker, die Mutter tot, die kleine Schwester geistig behindert – der ihre Lebensklugheit, ihr Pragmatismus und ihr gutes Aussehen dabei helfen, als Ladenmädchen im "Kaufhaus des Westens" über den Durchschnitt hinaus aufzusteigen.
Ein ähnlicher Aufsteiger, dessen Karriere aber noch steiler, rasanter verlief, ist Georg Karg (Damian Thüne; eine von mehreren Figuren, denen ein historisches Vorbild zugrunde liegt). Er ist Chefprokurist im KaDeWe und trockener Alkoholiker, voller Sehnsucht nach dem anderen, vermeintlich wilden Leben, zugleich ein gehemmter, staubtrockener Spießbürger und politisch unzuverlässig. Den beiden gegenüber stehen die Geschwister Fritzi und Harry Jahndorf, Erben des KaDeWe.
Doch vieles belastet sie, und hemmt ihre persönliche Freiheit: Die jüdische Herkunft, die konservativen Wertvorstellungen des deutsch-bürgerlichen Elternhauses. Dazu kommt, dass Harry als Frontkämpfer von den Stahlgewittern der Westfront schwer traumatisiert und drogenabhängig zurückkam, von Flashbacks verfolgt und sadomasochistisch veranlagt ist; er ein nihilistischer Hasardeur mit genialem Sinn für Geschäfte, aber von einem grundsätzlichen Todestrieb erfüllt, der sein Leben in einen ständigen Drahtseilakt verwandelt zwischen Selbstzerstörung und Fremdzerstörung. Seine Schwester Fritzi ist ihm in puncto Geschäftsverständnis vermutlich überlegen, zudem eine talentierte Designerin. Als Frau im heiratsfähigen Alter ist ihr aber das Arbeiten familiär verboten. Zudem liebt sie Frauen.
Und wenn sich Fritzi und Hedi früh im Film ineinander verlieben, wird diese Liebe zum Motor und Zentrum der Filmerzählung – was ihre Möglichkeiten, wie ihre Grenzen bereits früh ahnen lässt.
Eine Zeit, die den Fortschritt wagte
Von Anfang an sind die Verzweiflung spürbar, und der Abgrund, der sich immer wieder unter den Protagonisten öffnet, eine Depression, die sich wie Mehltau über die Epoche legt, die aber jederzeit durch den Hedonismus und den Aufbruchsgeist gekontert wird, der ebenfalls ein Phänomen der Nachkriegszeit ist. Man begegnet einer ganzen Generation beim Tanz über Gräben: Die Schützengräben des Ersten Weltkrieg, die Risse durch die Gesellschaft, die Konflikte zwischen Klassen und unterschiedlichen Moralvorstellungen.
Es ist eine "Lost Generation", die um ihr prekäres Dasein weiß, und der Topos der verlorenen Jugend zieht sich durch alle sechs Folgen dieser traurigen Geschichte über Vergeblichkeiten und Verluste. Es geht um Frauenliebe, um den Kampf von Randgruppen um Anerkennung und überhaupt um diverse Formen der Diversität. Das soll und muss offenbar so sein, wenn eine Serie als "engagiert" und "politisch korrekt" durchgehen möchte. Aber mehr als das geht es um den Kampf der Jugend und einer neuen, jugendlichen Generation um Freiheit.
Zugleich sollen die Orte miterzählt werden, und das wofür sie standen: Das einmalige Warenhaus am Wittenbergplatz, das bald zur Bühne der deutschen Hauptstadt und der Roaring Twenties wurde, zum Schaufenster Deutschlands in der Welt, das wiederum alle Welt einlud sich in ihm zu spiegeln. Und nur ein paar Fußminuten davon entfernt das Eldorado, ein Nachtlokal, das zwischen Lutherstraße und Motzstraße zum Treffpunkt der drogen- und körperkonsumierenden Halbwelt wurde, und zum Aufführungsort schwul-lesbischen Lebensgefühls.
Aber ebenso von Anfang an zu einer Touristenattraktion, die in jedem Reiseführer stand und der insofern immer auch etwas Unauthentisches anhaftete. Beide Orte stehen für Weltoffenheit, für Vielfalt, für das Experimentieren mit sich selbst, das alle Zeitgenossen gemeinsam hatten. Julia von Heinz zeigt eine Zeit, die Fortschritt wagte.
Viel gewollt, viel geglückt
Diese Miniserie will sehr viel. Und so sehr das für sie einnimmt, gelingt ihr schon deswegen nicht alles, weil die unterschiedlichen Pole und Absichten nur schwer miteinander in Einklang zu bringen sind. Von den Zwängen einer Primetime-Miniserie öffentlich-rechtlicher deutscher Sender und dem verständlichen Wunsch der Produzenten nach internationaler Verkäuflichkeit einmal abgesehen, sollen sowohl politische Positionen vertreten, das Publikum bei aller Unterhaltsamkeit auch moralisch und historisch über Vieles belehrt werden, als auch eine ästhetische Neugier und Faszination für Aspekte der Epoche und manche ihrer unerzählten Geschichten geweckt werden.
Vieles daran ist ausgezeichnet geglückt: Regisseurin Julia von Heinz ist etwas sehr Gutes, Bemerkenswertes, Einmaliges gelungen – erstaunlich ist der Variantenreichtum dieser Filmemacherin. Immer wieder wechselt sie zwischen Mainstream-Produktionen wie "Ich bin dann mal weg", Agitprop-Thesen-Filmen wie "Und morgen die ganze Welt" und einer solchen Serie, die leichter ist, verspielter, wenn auch das Thesenhafte dann immer wieder mal für ein paar Momente dominiert. Von Heinz erzählt sehr sehr schnell, oft nur in Andeutungen und Fragmenten, vor allem nachdem die ersten beiden Teile mit etwas mehr Ruhe das Fundament gelegt haben.
So überraschend und faszinierend die Besetzung von Valerie Stoll und Lia von Blarer in den Hauptrollen ist, so konventionell erwartbar ist umgekehrt Joel Basman in der Rolle des durchgeknallten KaDeWe-Erben Harry, in der Basman gleichwohl wie schon so oft überzeugt. Vor allem Valerie Stoll ist hierunter eine echte große Entdeckung. Stoll hat einen Ton und eine Art, Dialoge zu sprechen, die man im deutschen Film noch nicht gehört hat. Ihre Hedi besitzt über alle Folgen hinweg eine seltsame Mischung aus Naivität und Weisheit, Unschuld und Wissen um alles.
Klischees und schludriger Umgang mit historischem Material
Das Problem dieser Serie ist ausgerechnet ihr Umgang mit dem historischen Material, beziehungsweise die allzu saloppe Haltung ihm gegenüber: Jahreszahlen werden aus gutem Grund gar nicht erst genannt.
Denn wild springt die Serie hin und her durch die Jahre und Ereignisse, verbindet Weimar- und Berlin-20er-Klischees mit Halbbekanntem, völlig Neuem und gnadenlos Falschem, vermischt Zeitabschnitte, die zwar nur ein paar Jahre in diesem dichten, übervollen "Weimar" trennen, die aber mit guten Gründen von Historikern auseinandergehalten werden.
Zum Beispiel wird Louise Brooks als Kinostar mit ihrem zeitlos sensationellen Auftritt in G.W. Pabst "Die Büchse der Pandora" zu einer Zeit gezeigt, in der sie noch keinen deutschen Film gemacht hatte, umgekehrt kommt die Weltwirtschaftskrise chronologisch drei Jahre zu spät. Auch nimmt die Konzentration auf die lesbische Kultur dieser paradoxerweise gerade durch den verengten und betonenden Blick viel von seiner damaligen Selbstverständlichkeit.
Da wissen die Macher offenbar nicht, wie viel fortschrittlicher, freizügiger und libertärer zumindest das Weimarer Bürgertum mit Bisexualität und Homosexualität umging, und projizieren Spießigkeit und Konservativismus unserer Gegenwart in seinerzeitige Verhältnisse.
So erinnert der aufs Schrille und Exzentrische und auf sexuelle Befreiung konzentrierte Blick, der die künstlerischen und sozialen Aufbrüche der Epoche eigentlich ganz vergisst, die politischen Verwerfungen auch nur am Rande behandelt, eher an das so romantisierende wie einseitige Weimar-Bild aus Bob Fosses "Cabaret" als an "Babylon Berlin", das so unvermeidlich wie erkennbar auch Pate stand. Manches ist nahe an einer Freak-Show.
Das Männerbild
Eine Frage am Rande: Was ist denn eigentlich das Männerbild dieser Regisseurin?
Kein Mann, den wir hier sehen, hier hat "normalen", gar liebevollen Sex. Die, die Sex haben, sind sadomasochistisch veranlagt. Einem von ihnen kommt beim Sex der Flashback zu schrecklichen Front-Erlebnissen. Hm, nun ja – würde man sämtliche Frauen einer Serie derart schräg, abnormal, pervers zeichnen, wäre der Aufschrei groß.
Zu wenig kommt auch der doch sehr prägnante Jargon der Zeit im Dialog vor: Eine Ausnahme ist es, wenn eine alte Frau und "Engelmacherin" über die mongoloide Schwester Hedis sagt: "Am besten wir räumen sie ganz aus. Wenn sie in die Blödenanstalt kommt, dann machen sie das sowieso als erstes." Oder wenn Harry von seinen "Randgedanken" spricht, von der "Kluft, die einen von allen anderen Menschen trennt."
Aber wenn Harrys Vater ein Gesangssextett als "Kleinwüchsigengruppe" bezeichnet, dann ist das allzu gegenwärtige Sprache. 1928 hätte man von einer "Zwergengruppe" gesprochen, oder von "Liliputanern".
Auch sonst: Da kommt schon viel gestelzt und überbetont daher, gerade am Anfang der Serie: "Die moderne Frau stellt nicht mehr ihr Sein in den Vordergrund, sondern ihre Leistung" ist vermutlich aus einer damaligen Zeitschrift übernommen, nur eben allzusehr Schriftsprache. Aber was ist mit dem Satz "Durch Uniformität und ähnlichen Kleidungsstil fühlen sich die Trägerinnen einander verbunden. Konkurrenz und Sexualneid treten in den Hintergrund"?
Bauhaus? DADA? Brecht? Feuchtwanger? Tucholsky?
Gegen den Vorwurf, dass doch die Weimarer Kultur hier fast komplett fehle, könnte man einwenden: Das Kino komme doch vor: eben "Die Büchse der Pandora", später noch der Kollektivfilm "Menschen am Sonntag", und Else Lasker-Schüler auch. Und die Musik. Stimmt alles. Es stimmt auch, dass man sich beschränken muss.
Aber was erzählt es uns über Weimar - oder über unsere Gegenwart -, wenn für das Auftauchen eines Rosa-von-Praunstein-Plakats Platz ist, für den schwulen F.W. Murnau aber nicht, ebenso wenig für Fritz Lang oder "Kuhle Wampe"? Es erzählt nur etwas die Vorlieben der Regisseurin, die hier nicht weniger Egotrips fährt als ein Gaspard Noe, dem man daraufhin dann Narzissmus vorwirft.
Und zu Else Lasker-Schüler, die auch nicht gerade jeder gelesen hat: Ihr ist sogar der Film gewidmet, was vor allem ein bisschen prätentiös ist. Man stelle sich vor, alle Filme wären jetzt toten Künstlern gewidmet. Wichtiger aber: Lasker-Schüler ist eine großartige, zu wenig bekannte Autorin. Der Roman "Mein Herz", der im Film rauf und runter zitiert wird, stammt trotzdem aus dem Jahr 1912. Sechs Jahre, bevor "Eldorado KaDeWe" einsetzt. Nur ein paar Jahre, was soll's?
Bloß, dass ein Zivilisations- und Kulturbruch dazwischenlag, ein ganzes Zeitalter untergegangen war. Das ist so, als würde die Regisseurin einen Film über die Nullerjahre machen, dazu aber dauernd Maxim-Biller-Texte aus den Achtzigerjahren zitieren. Macht ja nix, das merkt doch keiner?
Vielleicht. Leider verstehen viele ja noch nicht mal, dass da überhaupt zitiert wird, wie zum Beispiel die Rezensentin der Taz, die allen Ernstes glaubt, die Versen "erinnern ... an den lieblich-melancholischen Ton der Lyrikerin Else Lasker-Schüler", wo eine kurze Netzrecherche schon Abhilfe geschaffen hätte.
Gibt es keinen Frauenroman aus den Zwanzigern? Doch, gibt es. Nur nicht ganz so prominent, so kunstbedeutungstriefend. Aber Irmgard Keuns "Kunstseidenes Mädchen", Vicky Baums "Menschen im Hotel", Gabriele Tergits "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" sind für einen weiblichen Literaturkanon der Zwanzigerjahre womöglich wichtiger als Lasker-Schüler, die einfach mal einer ganz anderen Generation angehört, ihre wesentlichen Werke vor 1914 schrieb, bei Gründung der Republik schon 50 war und zwischen 1925 und 1932 überhaupt nichts veröffentlichte.
Aber vor allem: Gab es in Weimar kein Bauhaus? Kein DADA? Keinen Surrealismus? Keinen Brecht? Keine Romane? Feuchtwanger? Kästner? Mann? Musil? Roth? Werfel? Keine Zeitungen, Kisch, Tucholsky, Wilder? Keine Kritische Theorie? Keinen George-Kreis? Keine Psychoanalyse?
Was dafür nicht fehlt, sind manche Klischees des Jüdischen: Die jüdischen KaDeWe-Erben Fritzi und Harry sind halt schon wahnsinnig geschäftstüchtig; sie sind auch künstlerisch ziemlich genial, sexuell "pervers", und damit es jeder versteht, hat Fritz auch noch ein Davidstern-Kettchen um den Hals baumeln.
Fazit: Die Zuschauer, die etwas wissen, erfahren nicht mehr. Die, die nichts wissen, kommen aus dem Film dümmer, jedenfalls verwirrter heraus.
Metaebenen: Im Weimar-Supermarkt
Schwerer wiegen womöglich aber noch die Artefakte aus unserer Gegenwart, die demonstrativ in den Film eingepflegt sind: Moderne Autos, Ampeln, Gebäude im Hintergrund, eine Regenbogenfahne im Vordergrund, ein NSDAP-Wahlplakat unter einem modernen, das erkennbar dem der AfD nachempfunden ist.
Die Absicht ist ein weiteres Nilpferd im Raum, sie ist allzu plakativ erkennbar: Ja, ja, der Schoß ist fruchtbar noch, die Vergangenheit will nicht vergehen. Aber nichts daran schlägt Funken, ist produktiv – sondern es stört einfach. Und spielt dann doch keine Rolle. Kurz mal sind wir immer wieder im falschen Film.
Der größte Irrtum wäre es daher, diesen Film als Historienfilm oder als korrekte Darstellung einer geschichtlichen Epoche zu betrachten. Vielmehr bedient er sich aus der Weimarer Republik wie aus einem Supermarktregal und baut ein 1920er-Jahre-Berlin, das in etwa so aussieht, wie man sich ein zukünftiges Disneyland vorstellen kann. Wenn es aber nicht das Berlin der 1920er ist und auch nicht das Berlin der Gegenwart oder das West-Berlin der 1980er, was ist es dann? Ein imaginäres, erfundenes, gewolltes Berlin.
Das ist es, was man der Serie am meisten vorwerfen muss: Die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Epoche. Alles wird dem reißenden Wasserfall der Erzählung und der politischen Absicht untergeordnet; was nicht passt, wird passend gemacht. Ein Paradebeispiel für einen Tendenzfilm.
Plakative Diversität ist "Eldorado KaDeWe" viel wichtiger als Historizität. Das mag pädagogisch wertvoll sein, ist aber ästhetisch problematisch. Und was ist von einem Film zu halten, dem das Ästhetische und Historische offenkundig viel gleichgültiger sind, als politische Moral?
Zumal die Regisseurin die Nazis sehr deutlich und treffend nicht zuletzt auch als ästhetische Barbaren beschreibt, die gegen "das Exquisite" sind. Der Film zeigt in der sechsten Folge mit aller Härte, und ohne falsche Kompromisse oder Trostpflaster, was 1933 kaputtgegangen ist und zu Ende ging. Hier wird nichts schön gefärbt.
Zu viel gewollt
Ansonsten ist alles in allem ein bisschen zu viel gewollt in dieser Serie und dann wird auch ein bisschen zu wenig gezeigt. Historisches Kino ist dann interessant, wenn es aus einer Epoche Funken schlägt und zwar möglichst unbekannte, unerwartete, überraschende. Einfach nur in eine vergangene Epoche Phantasiewelten hineinzuprojizieren oder Wunschvorstellungen der Gegenwart, wird dagegen schnell ziemlich schal und so wird diese Serie früher als viele andere altern.
Sie wird schon in wenigen Jahren vor allem gesehen werden als ein allzu-typisches Produkt unserer Gegenwart; nicht mehr und nicht weniger. Und zwar einer sehr deutschen Gegenwart. Kaum vorstellbar, dass "Eldorado KaDeWe" zu einem ähnlich internationalen Erfolg werden wird wie "Babylon Berlin".
Spoiler: Ende Gelände
Am Schluss gönnt der Film den Hauptfiguren ein auch nicht sehr historisches Happy End: Hedis böser Nazi-Gatte Rüdiger wird mit Gift umgebracht, und sie lebt mit der Tochter, deren Vater sie ermordete und ihrer Freundin, bis dass der Tod sie scheidet. Es wird behauptet, dass diese fiktiven Figuren überlebt haben und noch zwei weitere Kinder bekommen. Harry geht außer Landes, Georg wird reicher Opportunist.
Wie weit Harry Jandorf und Georg Karg auch historisch "ein Leben lang Freunde blieben", wie der Nachspann behauptet, ist wohl eine eher offene Frage. Es gibt eine harmonisierende Tendenz in vielem. Das Eldorado immerhin, erfahren alle, die es noch nicht wissen, "gab es wirklich. Hermann Göring ließ es schließen. In die Räume zog das NSDAP Büro Berlin".
Hedi gehören die letzten Dialogsätze: "Wahrscheinlich war das Leben schon immer so: gut und schlecht. Deswegen finde ich es gemein, wenn man über seine Zeit schimpft. Es ist die einzige Zeit, in der wir leben und sie gehört uns. Egal, was sie uns entgegenwirft."
"Eldorado KaDeWe", bis zum März in der ARD-Mediathek zu sehen.