"Über jedes Ergebnis hinaus wird Katalonien gewinnen"
- "Über jedes Ergebnis hinaus wird Katalonien gewinnen"
- Carme Forcadell: "Ein Referendum zur Selbstbestimmung ist legal, legitim und demokratisch"
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Carme Forcadell, Präsidentin des katalanischen Parlaments, im Telepolis-Interview; 2300 Wahllokale wurden am Freitag besetzt, um ihre Versiegelung zu verhindern
Carme Forcadell ist Präsidentin des katalanischen Parlaments. Im Gespräch mit Telepolis erklärt die Frau, die sich zum Staatsfeind Nummer 1 für Spanien entwickelt hat, dass am morgigen Sonntag in Katalonien abgestimmt wird und Katalonien auch gewinnt, sollte die Bevölkerung mehrheitlich die Unabhängigkeit ablehnen. Der aus dem spanischen Madrid offiziell verbotene Wahlkampf wurde am späten Freitag mit einem zentralen Akt in der katalanischen Metropole Barcelona ohne Störungen abgehalten. Viele tausend Menschen nahmen Teil und betont wurde auch dort wieder, dass am Sonntag abgestimmt wird.
Angesichts der Tatsache, dass die spanische Regierung versucht, mit Websperren die Vorbereitung aus aus dem Internet zu verbannen, meint der Wikileaks-Gründer Julian Assange, dass "in Katalonien der erste Internetkrieg begonnen hat". Er verweist darauf, dass die spanischen Sicherheitskräfte am Freitag auch in die Gebäude mit Telekommunikationseinrichtungen eingedrungen sind. Verhindert werden soll die Auszählung des Referendums am Sonntag.
Offensichtlich ist Madrid klar, dass der eigentliche Wahlvorgang nicht verhindert werden kann oder nur durch massive Gewalt gegen friedliche Menschen mit Wahlscheinen. Die Zeitung La Vanguardia meint, dass damit auch ein Plan B der katalanischen Regierung, eine Internet-Abstimmung, unterbunden worden sei.
Auch bei Google sprach die paramilitärische Guardia Civil vor und zwangen den Konzern dazu, die App aus dem Store zu nehmen, mit denen Teilnehmer am Referendum ihr Wahlbüro finden können. Assange nennt die Vorgänge in Katalonien den "bedeutendsten Konflikt zwischen der Bevölkerung und dem Staat in Westeuropa seit dem Fall der Mauer". Die "Methoden" seien nun andere, heute benutzten die Menschen VPN, Proxy-Server, gespiegelte Webseiten und verschlüsselte Nachrichten, während die andere Seite mit Überwachung, Zensur, Propaganda-Bots arbeite. Alle müssten sich solidarisch mit Katalonien zeigen, um zu helfen, sie vor der "agressiven Überwachung und Zensur" von Seiten der spanischen Sicherheitskräfte zu schützen.
Wahllokale besetzt
Klar ist aber, dass sich die Wähler nicht abschrecken und von ihren Plänen abbringen lassen, am Sonntag ein Referendum abzuhalten. Am Freitag wurden in Katalonien insgesamt 2135 Schulen friedlich und in guter Stimmung besetzt, in denen mehr als 6000 Wahlbüros geöffnet werden sollen, wie Telepolis in Augenschein nehmen konnte. Die Stimmung ist ausgelassen, Angst verspüren die Katalanen weiterhin nicht. Diskutiert wird allerdings die Möglichkeit, dass Faschisten Wahlbüros angreifen oder es zu Aktionen von eingeschleusten Provokateuren kommen kann. Die Besetzung kamen den Versuchen zuvor, die Schulen durch die Polizei versiegeln zu lassen, wie es Spanien verfügt hat. Viele tausend Menschen haben die erste Nacht in den Wahllokalen verbracht und dort gefeiert. Sie wollen einen Schutzschild aufrechterhalten, damit am Sonntag abgestimmt werden kann.
Doch nun zum Interview mit der Frau, die zentral und an vorderster Front dafür gekämpft hat, dass es nun Westeuropa mit einer riesigen Demokratiebewegung zu tun hat. Carme Forcadell gehört der Republikanischen Linken Katalonines (ERC) an, die stets das Ziel der Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien vertreten hat. Nachdem aus dem ohnehin abgehobelten neuen Autonomiestatut über das spanische Verfassungsgericht weitere 14 zentrale Artikel ausgehebelt wurden, führte sie ab 2011 als Präsidentin der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) die riesigen Mobilisierungen für "Katalonien als neuer Staat in Europa" mit an. Es war die christdemokratische Volkspartei (PP), die diesen Pyrrhussieg an einem Gericht errang, das von Richtern beherrscht wird, die der Partei nahe stehen.
Bei den vorgezogenen Neuwahlen 2015 kandidierte sie auf der lagerübergreifenden Liste "Junts pel Sí" (Gemeinsam für das Ja), um Katalonien auf den Unabhängigkeitsweg zu bringen. Die Einheitsliste gewann die Wahlen und hat mit der linksradikalen CUP eine absolute Mehrheit im Parlament, dem Forcadell seither vorsteht. Sie wird durch mehrere Anklagen mit Haftstrafen dafür bedroht, weil sie die Behandlung von entsprechenden Gesetzen zur Unabhängigkeit trotz Verbot des spanischen Verfassungsgerichts im Parlament zugelassen hat. Mit ihr sprach Ralf Streck für Telepolis.