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Über politische Kontaktverbote und Netzsperren

Der Telepolis-Wochenrückblick mit Ausblick

Liebe Leserinnen und Leser,

die vergangene Woche begann für uns bei Telepolis außergewöhnlich historisch. Angesichts des 80. Jahrestags des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion widmeten wir uns diesen geschichtlichen Ereignissen und ihrer Einordnung in gleich mehreren Beiträgen.

Telepolis-Autor Peter Bürger ging in seinem Essay Germanen versus Slawen [1] auf die Rassenideologie und Entmenschlichung der Bevölkerung Osteuropas ein, die zu dem geplanten Massenmord geführt hat.

In dem Text Falsche Erinnerung, falsche Lehre, falscher Weg beleuchtete ich den zeitgenössischen politischen Umgang mit dem Vernichtungskrieg gegen eine Länderförderation, dessen Kernstaat – Russland – heute wieder im Visier des Westens steht. Wie bestimmte Akteure bei der entsprechenden Debatte im Bundestag versuchten, aus der Zerschlagung Nazideutschlands heute eine neue Frontstellung gegen Moskau abzuleiten, was das mit Joschka Fischer und Auschwitz zu tun hat und welche Gegenakzente Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzte, können Sie hier nachlesen [2].

Telepolis-Autor Peter Nowak warf einen Blick auf die aktuellen politischen Interessen in den ehemaligen Sowjetstaaten [3] und kam zu dem Schluss, besonders im Baltikum und in der Ukraine seien heute die politischen Erben derjenigen Kräfte dominant, "die sich mit Hitler-Deutschland für die Zerschlagung der Sowjetunion und damit auch am Vernichtungskrieg des Nationalsozialismus beteiligten". Dies bringe "Deutschland gleich in mehrfacher Hinsicht in eine komfortable Situation".

Rüdiger Suchsland schließlich wagte für Telepolis den Perspektivwechsel und fragte nach der Sicht des Kriegsgegners [4]: "Außer deutschen Arbeiten kennt man bei uns die Standardwerke etwa von Richard Overy Russlands Krieg und Alexander Werth Russland im Krieg, aber nichts Neueres, auch wenig bis nichts von russischen Autoren", so Suchsland, der dennoch einige russische Stimmen ausmachte.

Und warum das alles bei Telepolis?

Weil der Blick auf die Geschichte in mehrerlei Hinsicht Aufschluss über unsere aktuelle Gesellschaft und ihre Zukunft gibt. Das Framing von Debatten etwa, wenn man feststellt, dass nicht der als "Hitler-Stalin-Pakt" bekannte Vertrag zwischen Joachim Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow zum Krieg geführt hat, sondern schon das auf eine Isolation der Sowjetunion ausgelegte Münchner Abkommen unter Federführung von Neville Chamberlain.

Weil die Entmenschlichung des politischen Gegners der erste Schritt hin zu Gewalt und Zerstörung war und ähnliche Mechanismen heute in politischen und geopolitischen Konflikten erneut zu beobachten sind.

Weil die Geschichte in Deutschland heute nach wie vor von Deutschen interpretiert wird und russische Stimmen kaum eine Rolle spielen, während die Nato westlichen Medien in aktuellen Konflikten sogar "Informationswäsche" zur Last legt [5], wenn sie die russische Sicht wiedergeben.

Ausschlussverfahren, Videosperren

Autoritäre Tendenzen einer anderen Art griff Telepolis mit zwei Beiträgen über Ausschlussanträge gegen die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag [6], Sahra Wagenknecht, auf. Zwei neue Anträge lagen unserer Redaktion vor, gegen Wagenknecht und den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Saarland. Beide haben wenig Aussicht auf Erfolg, meinte der Parteienrechtler Martin Morlok [7], der pointiert anmerkte: "Kontaktverbote, wie sie in dem Antrag gegen Wagenknecht mehrfach gefordert werden, mögen in der Pandemie geboten sein; in der Politik verbieten sie sich."

Während sich die Linken noch mit Anträgen aufhalten, werden bei der Videoplattform Youtube Fakten geschaffen. Mutmaßlich auf Betreiben einer Hamburger Produktionsfirma sperrte das Videoportal einen Film von Telepolis-Autorin Gaby Weber. In dem selbstfinanzierten Streifen Desinformation – Ein Lehrstück über die erwünschte Geschichte [8] setzt sie sich mit Aussagen eines NDR-Dokudramas über Adolf Eichmann auseinander. Warum der Film nach sechs Jahren im Netz gesperrt wurde, weshalb er wieder online ist und was das mit dem neuen Urheberrecht zu tun hat, lesen Sie diese Woche auf Telepolis.

Nachdem ich Ihnen noch rasch einen Beitrag über die Pandemie und Ungleichheit des Politologen und Armutsforschers Christoph Butterwegge [9] empfehle, ebenso wie eine kritische Auseinandersetzung unseres Autors Jan Hegenberg zur E-Auto-Debatte [10], am Ende noch eine Nachricht in eigener Sache.

Telepolis hat seit Beginn der Corona-Pandemie die staatlichen Maßnahmen und ihre Auswirkungen kritisch begleitet. Die Polarisierung der Debatte haben auch wir zu spüren bekommen. Nachdem der Deutsche Presserat – darüber hatte ich in dieser Kolumne schon geschrieben – zwei Beschwerden gegen unsere Corona-Berichterstattung von vorneherein abgelehnt hat, prüfte das Selbstkontrollgremium der deutschen Presse in den vergangenen Wochen drei weitere Eingaben, zu denen Telepolis ausführlich Stellung genommen hat. Das Ergebnis nun: "Der Beschwerdeausschuss erkennt in der kritisierten Berichterstattung keinen Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze [11]."

Diese Woche werden wir über den Fall detaillierter berichten und dabei auch den Presserat und – sofern er will – auch den Beschwerdesteller zu Wort kommen lassen. Wir stellen uns damit einer offenen und transparenten Debatte über Rolle und Verantwortung von Medien in Zeiten der Pandemie.

Bis dahin, bleiben sie uns gewogen, Ihr

Harald Neuber

"Lebenslänglich". Von Arkás (11)

Arkás: Lebenslänglich (11) (8 Bilder) [12]

[13]

Im Leserdialog: Aber China ... Von Wolfgang Pomrehn

Warum verwendet er Zahlen von einem doch eher einseitig ausgerichteten Institut aus dem Jahre 2015, wenn er bei statista.de aktuelle Zahlen von 2019 erhalten kann? [14].

Doch nicht etwa weil dort der Anteil Deutschlands nur mit 1,93% am gesamten CO2 ausgewiesen wird und China, das weiter keine Begrenzung akzeptiert das mit 27,9% steht und damit die reinen Zahlen schon auf die Sinn- und Wirkungslosigkeit des deutschen Klimaalarmismus und sein destruktiven Restriktionen zu schließen ist?"

User So_ist_es_eben [15]

Mit "er" bin ich gemeint. Ich hatte in der Energie- und Klimawochenschau [16], in der es ansonsten vor allem die Pläne der Union ging, das Autofahren teurer zu machen, über Deutschlands historische Treibhausgas-Emissionen geschrieben. Die Daten stammten aus einer am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung erstellten Arbeit.

Das Institut spielt in der Spitzenliga der internationalen Klimaforschung und seine Mitarbeiter gehören regelmäßig zu Leitautoren der Sachstandberichte des Intergovernmental Panel on Climate Change [17] (IPPCC), in denen im Auftrag der UN-Mitgliedsstaaten der jeweilige Stand der internationalen Wissenschaft zusammengefasst wird. "Einseitig" kann das nur finden, wer nicht allzu viel von Wissenschaften hält.

Vor allem hatte ich aber von den historischen Emissionen geschrieben, von denen sich etwa die Hälfte in den letzten 150 Jahren in der Erdatmosphäre angereichert hat. Diese sind damit für den bereits eingetretenen Teil des Klimawandels verantwortlich und noch für ein wenig mehr.

Denn auch, wenn wir alle Treibhausgas-Emissionen sofort einstellen würden, würde es noch um einige Zehntel Grad wärmer werden. Vor allem würden sich Klimazonen noch längere Zeit verschieben. Auch gebe es noch einiges an Meeresspiegelanstieg, denn die Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis bräuchten viele Jahrhunderte, bis sie endgültig ein neues Gleichgewicht zwischen Eisverlust und Nachwachsen durch Schneefall erreicht hätten.

Mit einem Anteil von 1,05 Prozent an der Weltbevölkerung ist Deutschland immerhin für 3,91 Prozent dieser historischen Emissionen verantwortlich. Das ist Platz sechs der internationalen Rangliste, und alle Länder, die vor Deutschland liegen, haben eine zum Teil erheblich größere Bevölkerung. Chinas Bevölkerung ist 17,5-mal so groß wie Deutschlands aber sein bisheriger Beitrag zum Klimawandel nur viermal.

Was der Leser hingegen im rüden Ton anspricht und mit den historischen Emissionen verwechselt sind die aktuellen jährlichen Treibhausgas-Emissionen. Hier liegt China – wenig verwunderlich – in absoluten Zahlen weit vor Deutschland. Das kann nur besonders kritikwürdig finden, wer einem chinesischen Bürger weniger Rechte zugestehen will als einem Deutschen.

Doch ist wegen des Umfangs der chinesischen Emissionen der deutsche Anteil unwichtig? Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl wird in Deutschland immer noch Jahr für Jahr mehr CO2 in die Luft geblasen, als in China. Hierzulande sind es nach den Daten von Statista [18] 8,4 Tonnen pro Jahr und Einwohner, in China hingegen 6,84.

Im Übrigen zeigt ein deutscher Anteil von fast zwei Prozent an den jährlichen globalen Emissionen bei einem Bevölkerungsanteil von 1,05 Prozent, dass Deutschland auch aktuell sich weitaus mehr zum Klimawandel beiträgt als der Durchschnitt der Weltbevölkerung.

Aber China akzeptiere weiter keine Begrenzung seiner Emissionen behauptet der anonyme Leser. Das ist schlicht und einfach falsch. Die Volksrepublik China hat sich frühzeitig im Rahmen der Pariser Klimaübereinkunft verpflichtet, ihre Emissionen nur noch bis 2030 weiter wachsen zu lassen und danach zu reduzieren.

Nachholende Entwicklung nennt man das. Um diese allen Entwicklungsländern zu ermöglichen hatten die Industrieländer sich 1992 in der UN-Klimaschutzrahmenkonvention [19] dazu verpflichtet, mit den Klimaschutz-Maßnahmen rasch voranzugehen, jedoch später die Vereinbarung für nicht bindend erklärt und die Hände in den Schoß gelegt.

Tatsächlich ist aber das rasche Wachstum der chinesischen Emissionen bereits zu Anfang des letzten Jahrzehnts erlahmt, wie an obiger Grafik zu sehen. 2014 haben die Emissionen stagniert, 2015 und 2016 waren sie bereits, trotz weiterwachsender Wirtschaft, rückläufig. Seitdem steigen sie wieder etwas

Schließlich ist China im vergangenen Jahr noch einen Schritt weitergegangen. Im Rahmen der Verhandlungen über zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen hat es eine Selbstverpflichtung abgegeben, bis 2060 klimaneutral wirtschaften zu wollen. Das wäre nur zehn Jahre nach den USA oder den westlichen Industriestaaten, die gemessen an den historischen Emissionen und auch den aktuellen pro-Kopf-Emissionen eine wesentlich höhere Verantwortung tragen.

Aber man kann angesichts der Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte fast sicher sein, dass China auch dieses Planziel übererfüllen und Klimaneutralität noch vor manchem der alten Industriestaaten erreichen wird. Es ist gerade erst ein paar Jahre her, dass die deutsche Regierung Beijing im Namen der hiesigen Automobilbranche versuchte, davon abzuhalten, im raschen Tempo Beschränkungen für Verbrennungsmotoren auf den Straßen der Volksrepublik einzuführen.

Zum Glück nur mit geringem Erfolg. So wird denn der Otto-Motor in China längst ins Museum gewandert sein, während er in deutschen Städten noch immer die Luft verpestet und das Klima erwärmt.

Und nun das Wetter … Von Wolfgang Pomrehn

Immerhin unterstützt die Union nun das Ziel, die deutsche Wirtschaft klimaneutral zu gestalten, spricht viel von "Flugtaxen", "Wasserstoff" und "E-Fuels", fabuliert von "innovativen klimafreundlichen Technologien" und dem von anderen längst als unwirtschaftlich, immer noch unerprobt und kaum realisierbar abgehakten Abspeichern von CO2 im Untergrund, der sogenannten CCS-Technik (Carbon Capture and Storage).

Aber allzu ernst ist ihr mit dem Klimaschutz offensichtlich nicht. Denn zum einen erfahren der erstaunte Leser und die erstaunte Leserin auch: "Zudem werden wir die LNG-Technik ausbauen und ein Importterminal für verflüssigte Gase realisieren."

Zum anderen soll die Treibhausgasneutralität Deutschlands erst 2045 erreicht werden, so wie es auch in die neue Fassung des Klimaschutzgesetzes geschrieben wurde, die gerade in der parlamentarischen Beratung ist [21]. Da kann man zwar behaupten: "So schaffen wir unseren deutschen Beitrag, um international den 1,5-Grad-Pfad zu beschreiten", doch mit der Realität hat das wenig zu tun.

Denn die Zwischenziele bis 2030 und 2040 bedeuten, dass Deutschland noch immer rund 8,5 bis 9,7 Milliarden Tonnen CO2 emittieren wird. Das wäre fast die dreifache Menge dessen, was noch mit den Pariser Klimaziel der Beschränkung der globalen Erwärmung auf möglichst nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau vereinbar wäre.

Würden alle Länder diesem Beispiel folgen, würden alle Menschen so viel Treibhausgase durch ihre Produktion, ihren Verkehr und ihren Konsum verursachen, dann würde die globale Mitteltemperatur vermutlich eher bei drei Grad auf jeden Fall aber weit jenseits von zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau landen.

Die unaufhaltsame Auflösung der Eisschilde Grönlands und der Westantarktis würde angestoßen, die tropischen Korallenriffe würden schon jenseits einer Erwärmung von 1,5 Grad verloren gehen. Doch die maßlosen Zahlentrickser der Union werden, wenn es so weit ist, längst ihre Schäflein ins Trockene gebracht haben, und ihre politischen Erben werden mit dem Finger auf andere zeigen, während sich mit zeitgemäßen Maskendeals aufpassen, dass sie nicht zu kurz kommen. Vielleicht werden ja aus Masken Sandsäcke.


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https://www.heise.de/-6120678

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Germanen-versus-Slawen-6113363.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Falsche-Erinnerung-falsche-Lehre-falscher-Weg-6113440.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/80-Jahre-nach-dem-Angriff-auf-einen-Staat-den-es-nicht-mehr-gibt-6116392.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Deutschlands-Wilder-Westen-6120551.html
[5] https://stratcomcoe.org/publications/information-laundering-in-germany/23
[6] https://www.heise.de/tp/features/Linke-Neue-Antraege-auf-Ausschluss-von-Wagenknecht-und-Lafontaine-6115446.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Parteienrechtler-Antraege-auf-Ausschluss-von-Wagenknecht-und-Lafontaine-chancenlos-6116397.html
[8] https://www.youtube.com/watch?v=Pq0IFw9ZSeI
[9] https://www.heise.de/tp/features/Ungleichheit-als-Strukturelement-der-Klassengesellschaft-6113932.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Angeblicher-Rechenfehler-Sind-E-Autos-wirklich-klimaschaedlicher-als-gedacht-6119748.html
[11] https://www.presserat.de/pressekodex.html
[12] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6065317.html?back=6120678
[13] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6065317.html?back=6120678
[14] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/179260/umfrage/die-zehn-groessten-c02-emittenten-weltweit/
[15] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Union-will-den-Sprit-verteuern/Man-fragt-sich-Warum-macht-der-Autor-das/posting-39130726/show/
[16] https://www.heise.de/tp/features/Union-will-den-Sprit-verteuern-6115122.html
[17] https://www.ipcc.ch/about/
[18] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167877/umfrage/co-emissionen-nach-laendern-je-einwohner/
[19] https://unfccc.int/resource/docs/convkp/conveng.pdf
[20] https://folk.universitetetioslo.no/roberan/img/GCB2020/PNG/s15_2020_Projections.png
[21] https://www.bundestag.de/ausschuesse/a16_umwelt/oeffentliche_anhoerungen/843952-843952