Über politische Kontaktverbote und Netzsperren

Der Telepolis-Wochenrückblick mit Ausblick

Liebe Leserinnen und Leser,

die vergangene Woche begann für uns bei Telepolis außergewöhnlich historisch. Angesichts des 80. Jahrestags des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion widmeten wir uns diesen geschichtlichen Ereignissen und ihrer Einordnung in gleich mehreren Beiträgen.

Telepolis-Autor Peter Bürger ging in seinem Essay Germanen versus Slawen auf die Rassenideologie und Entmenschlichung der Bevölkerung Osteuropas ein, die zu dem geplanten Massenmord geführt hat.

In dem Text Falsche Erinnerung, falsche Lehre, falscher Weg beleuchtete ich den zeitgenössischen politischen Umgang mit dem Vernichtungskrieg gegen eine Länderförderation, dessen Kernstaat – Russland – heute wieder im Visier des Westens steht. Wie bestimmte Akteure bei der entsprechenden Debatte im Bundestag versuchten, aus der Zerschlagung Nazideutschlands heute eine neue Frontstellung gegen Moskau abzuleiten, was das mit Joschka Fischer und Auschwitz zu tun hat und welche Gegenakzente Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzte, können Sie hier nachlesen.

Telepolis-Autor Peter Nowak warf einen Blick auf die aktuellen politischen Interessen in den ehemaligen Sowjetstaaten und kam zu dem Schluss, besonders im Baltikum und in der Ukraine seien heute die politischen Erben derjenigen Kräfte dominant, "die sich mit Hitler-Deutschland für die Zerschlagung der Sowjetunion und damit auch am Vernichtungskrieg des Nationalsozialismus beteiligten". Dies bringe "Deutschland gleich in mehrfacher Hinsicht in eine komfortable Situation".

Rüdiger Suchsland schließlich wagte für Telepolis den Perspektivwechsel und fragte nach der Sicht des Kriegsgegners: "Außer deutschen Arbeiten kennt man bei uns die Standardwerke etwa von Richard Overy Russlands Krieg und Alexander Werth Russland im Krieg, aber nichts Neueres, auch wenig bis nichts von russischen Autoren", so Suchsland, der dennoch einige russische Stimmen ausmachte.

Und warum das alles bei Telepolis?

Weil der Blick auf die Geschichte in mehrerlei Hinsicht Aufschluss über unsere aktuelle Gesellschaft und ihre Zukunft gibt. Das Framing von Debatten etwa, wenn man feststellt, dass nicht der als "Hitler-Stalin-Pakt" bekannte Vertrag zwischen Joachim Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow zum Krieg geführt hat, sondern schon das auf eine Isolation der Sowjetunion ausgelegte Münchner Abkommen unter Federführung von Neville Chamberlain.

Weil die Entmenschlichung des politischen Gegners der erste Schritt hin zu Gewalt und Zerstörung war und ähnliche Mechanismen heute in politischen und geopolitischen Konflikten erneut zu beobachten sind.

Weil die Geschichte in Deutschland heute nach wie vor von Deutschen interpretiert wird und russische Stimmen kaum eine Rolle spielen, während die Nato westlichen Medien in aktuellen Konflikten sogar "Informationswäsche" zur Last legt, wenn sie die russische Sicht wiedergeben.

Ausschlussverfahren, Videosperren

Autoritäre Tendenzen einer anderen Art griff Telepolis mit zwei Beiträgen über Ausschlussanträge gegen die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, auf. Zwei neue Anträge lagen unserer Redaktion vor, gegen Wagenknecht und den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Saarland. Beide haben wenig Aussicht auf Erfolg, meinte der Parteienrechtler Martin Morlok, der pointiert anmerkte: "Kontaktverbote, wie sie in dem Antrag gegen Wagenknecht mehrfach gefordert werden, mögen in der Pandemie geboten sein; in der Politik verbieten sie sich."

Während sich die Linken noch mit Anträgen aufhalten, werden bei der Videoplattform Youtube Fakten geschaffen. Mutmaßlich auf Betreiben einer Hamburger Produktionsfirma sperrte das Videoportal einen Film von Telepolis-Autorin Gaby Weber. In dem selbstfinanzierten Streifen Desinformation – Ein Lehrstück über die erwünschte Geschichte setzt sie sich mit Aussagen eines NDR-Dokudramas über Adolf Eichmann auseinander. Warum der Film nach sechs Jahren im Netz gesperrt wurde, weshalb er wieder online ist und was das mit dem neuen Urheberrecht zu tun hat, lesen Sie diese Woche auf Telepolis.

Nachdem ich Ihnen noch rasch einen Beitrag über die Pandemie und Ungleichheit des Politologen und Armutsforschers Christoph Butterwegge empfehle, ebenso wie eine kritische Auseinandersetzung unseres Autors Jan Hegenberg zur E-Auto-Debatte, am Ende noch eine Nachricht in eigener Sache.

Telepolis hat seit Beginn der Corona-Pandemie die staatlichen Maßnahmen und ihre Auswirkungen kritisch begleitet. Die Polarisierung der Debatte haben auch wir zu spüren bekommen. Nachdem der Deutsche Presserat – darüber hatte ich in dieser Kolumne schon geschrieben – zwei Beschwerden gegen unsere Corona-Berichterstattung von vorneherein abgelehnt hat, prüfte das Selbstkontrollgremium der deutschen Presse in den vergangenen Wochen drei weitere Eingaben, zu denen Telepolis ausführlich Stellung genommen hat. Das Ergebnis nun: "Der Beschwerdeausschuss erkennt in der kritisierten Berichterstattung keinen Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze."

Diese Woche werden wir über den Fall detaillierter berichten und dabei auch den Presserat und – sofern er will – auch den Beschwerdesteller zu Wort kommen lassen. Wir stellen uns damit einer offenen und transparenten Debatte über Rolle und Verantwortung von Medien in Zeiten der Pandemie.

Bis dahin, bleiben sie uns gewogen, Ihr

Harald Neuber