Überlebensnachteil Augengröße

Drei britische Anthropologen untermauern die Theorie, dass der Neandertaler ausstarb, weil sich sein Gehirn zu sehr mit der Verarbeitung von Sehreizen beschäftigte

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Einen Neandertaler stellt man sich gemeinhin nicht mit großen Kindchenschemaaugen wie in japanischen Animes vor. Dennoch veröffentlichte die an der Universität Oxford beschäftigte Evolutionsanthropologin Eiluned Pearce zusammen mit ihrem Professor Robin Dunbar und Chris Stringer vom Londoner Museum of Natural History jetzt in der biologischen Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B Ergebnisse ihrer Forschungen zur Theorie, ob der Frühmensch auch deshalb ausstarb, weil er größere Augen hatte als der Homo sapiens.

Dazu verglich Pearce die Schädel von 13 Neandertalern und 32 mehrere zehntausend Jahre alten Homo sapiens. Dabei fand sie heraus, dass die Augenhöhlen des Neandertalers im Durchschnitt einen 6 Millimeter größeren Durchmesser aufweisen als die des überlebenden Konkurrenten. Dieser Unterschied könnte sich herausgebildet haben, weil sich der lange Zeit vor dem Homo sapiens in Europa ansässige Homo neanderthalensis in mehreren Hunderttausend Jahren biologisch an die (im Vergleich zum Herkunftskontinent Afrika) häufig längeren Nächte und trüberen Tage anpasste, indem er mit der Zeit nicht nur größere Augen entwickelte, sondern auch einen größeren Teil seines Gehirns auf die Verarbeitung optischer Reize spezialisierte. Diese Schlussfolgerung ziehen Pearce und ihre Kollegen aus Studien an Primaten, die in der Vergangenheit zeigten, dass die Größe des zur Sehreizverarbeitung eingesetzten Gehirnareals proportional zur Größe der Augen ist.

Rekonstruktion des Neandertalerkindes Gibraltar 2 vom Fundort Devil's Tower durch Christoph Zollikofer vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich. Bild: Zollikofer/Public Domain.

Die länger in Afrika verbliebenen Vorfahren des Homo sapiens litten dieser Theorie nach nicht unter einem entsprechenden klimatisch bedingten Anpassungsdruck und vergrößerten statt der Sehverarbeitungszonen Areale in den Frontallappen, die zu mehr Leistung beim abstrakten Denken befähigen. Damit konnten sie zum Beispiel in größeren Gruppen kooperieren und Nähnadeln erfinden, mit denen sich aus Fellen an den Körper angepasste (und dadurch warme) Kleidung anfertigen ließ. Das machte sie den Neandertalern auch in der Kälte und der Dunkelheit so überlegen, dass letztere schließlich verschwanden.

Andere Wissenschaftler hängen zwar teilweise der Theorie an, dass der Neandertaler nicht wesentlich dümmer war als der Homo sapiens - aber als entscheidender evolutionärer Vorteil in der Eiszeit reichte Dunbar, Stringer und Pearce zufolge möglicherweise schon ein verhältnismäßig kleiner Unterschied aus, um über Aussterben und Überleben zu entscheiden. Allerdings ist die Annahme der drei Engländer auch nach den neuen Erkenntnissen noch lange nicht bewiesen, weil nicht klar ist, wie das Gehirn des Neandertalers tatsächlich aufgebaut war und welche Areale er für welche Aufgaben nutzte. Darüber könnte die Nachzucht von Frühmenschen aus Neandertaler-DNA Auskunft geben, die bislang jedoch nicht nur an ethischen, sondern auch an technischen Schwierigkeiten scheitert.

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