"Überraschungen" mit Uran-Munition
UN-Studie warnt vor Folgen von Depleted Uranium Munition der US-Luftwaffe
Belgrad - Auch drei Jahre nach den Nato-Luftangriffen auf Jugoslawien im Frühjahr 1999 befinden sich noch immer Partikel von Munition aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium - DU) in der Luft auf dem Balkan. Zu diesem erstaunlichen Ergebnis kommt eine Ende März vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) veröffentlichte Studie. Die Munition wird von Kritikern seit Jahren für Krebserkrankungen und andere rätselhafte Krankheitsbilder bei tausenden Soldaten und Zivilisten, die mit ihr in Berührung gekommen sind, verantwortlich gemacht.
14 internationale Wissenschaftler haben für die Studie Ende vergangenen Jahres im Auftrag der UNEP in Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und mit Unterstützung des Weltgesundheitsprogrammes (WHO) insgesamt 161 Proben untersucht, die an sieben Einschlagorten in Serbien und Montenegro vorgenommen wurden.
"Zwei Jahre nach dem Ende des KOnflikts fand das Team überraschenderweise immer noch Partikel in der Luft", erklärte nun Pekka Haavisto, Vorsitzender des UNEP Teams.
Neben der überraschenden anhaltenden Verteilung in der Luft, brachte die Studie ein zweites besorgniserregendes Ergebnis. Die Korrosion der DU-Munition, die oft unentdeckt tief im Boden steckt, gefährdet das Grundwasser:
The most important concern is the potential for future groundwater contamination by corroding penetrators (ammunition tips made out of DU). The penetrators recovered by the UNEP team had decreased in mass by 10-15% due to corrosion. This rapid corrosion speed underlines the importance of monitoring the water quality at the DU sites on an annual basis.
UNEP
Die Schlussfolgerungen der Forscher fallen widerspüchlich aus. Einerseits betonen sie zwar, es bestehe keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung. Andererseits fordern sie dringend Sicherheitsmaßnahmen. Der UNEP-Direktor Klaus Töpfer, ehemaliger CDU-Umweltweltminister im Kabinett Helmut Kohls, sagte bei der Vorstellung der Studie:
"The UNEP study in Serbia and Montenegro confirms that contamination at the targeted sites is widespread. We did not find levels of radioactivity that could pose a direct threat to the environment or to human health. Nevertheless, we strongly recommend taking precautionary measures."
Die NATO hatte im Frühjahr 1999 etwa 2.300 Luftangriffe auf Jugoslawien geflogen. Dabei warfen die Piloten mindestens 22.000 Tonnen explodierendes Material ab. Nach NATO Angaben wurden insgesamt 35.000 Projektile aus abgereichertem Uran abgefeuert, zum größten Teil in Kosovo, aber auch an anderen Orten in Serbien und Montengro. Jugoslawische Stellen sprechen sogar von 50.000 Projektilen. Dies entspricht etwa 1 bis 1,5 Tonnen Uran-238, die hauptsächlich von A-10 Kampfflugzeugen der US-Luftwaffe abgefeuert wurden. Die Geschosse mit einer besonders hohen Dichte dienen dazu, extrem harte Materialien wie die Panzerung von Bunkern und schweren Fahrzeugen zu durchschlagen. (vgl. Zerstörung und Wiederaufbau Jugoslawiens: Ein düsteres Bild)
Bereits 1994 und 1995 hatte die US-Luftwaffe etwa 10.800 DU-Geschosse in rund 4.000 Angriffen auf Stellungen der bosnischen Serben eingesetzt. Zum bisher grössten - und erstmaligen - Einsatz von DU-Munition war es 1991 beim Angriff der USA auf Irak gekommen. Damals waren fast eine Million uranhaltiger Geschosse abgefeuert worden. (vgl. IPPNW, Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges)
So alt wie die militärische Nutzung der DU-Munition ist auch die Kontroverse über mögliche Gesundheitsschäden, die sie lange nach ihrer Explosion verursacht. Ehemalige Soldaten der US-Armee machen die Munition für das "Golf-Kriegs-Syndrom" verantwortlich, eine rätselhaften Krankheit, unter der tausende Veteranen des US-geführten Krieges gegen den Irak 1991 leiden.
Irakische Wissenschaftler berichten, die Krebsrate bei Kindern habe sich zwischen 1991 und 1999 fast verdreifacht. Erkrankten 1991 4 von 100.000 Kindern an Krebs waren es 1999 11. Die Leukämierate sei zwischen 1990 und 1997 um 60 Prozent angestiegen, erklärten sie bei einer Konferenz in Bagdad Ende März.
In den westlichen Staaten wurde die Öffentlichkeit erst vergangenes Jahr aufgeschreckt, als bekannt wurde, dass sechs italienische Soldaten, die auf dem Balkan im Einsatz waren, an Leukämie gestorben waren. Der Einsatz von DU-Munition durch die NATO wurde für die Toten verantwortlich gemacht. In den folgenden Wochen berichteten zahlreiche Medien über rätselhafte Erkrankungen und Leukämiefälle auch unter Soldaten aus anderen NATO-Staaten, die auf dem Balkan im Einsatz waren.
Wissenschaftler aus Jugoslawien erklärten damals, sie könnten in Folge der NATO-Angriffe einen starken Anstieg von Krebserkrankungen feststellen. Gedächtnisschwund, Magenschmerzen und Sprechschwierigkeiten - Sympthome die auch beim sogenannten Golfkriegssyndrom auftreten - wurden von Ärtzen verstärkt auch bei ihren Patienten festgestellt, berichteten jugoslawische Medien.
Renommierte bosnische Ärtze berichteten der Presse, es sei sehr wahrscheinlich, dass der drastische Anstieg von Krebserkrankungen und über 200 Todesfälle unter Bewohnern eines Stadtteils von Sarajevo in den vergangenen Jahren mit dem Einsatz von DU-Munition zusammenhinge, die die NATO dort 1994/95 gegen Stellungen serbischer Truppen eingesetzt hatte. Auch aus dem Kosovo drangen Berichte an die Öffentlichkeit, die auf eine drastische Erhöhung von Krebsfällen nach den NATO-Bombardements 1999 hinwiesen. (vgl. Low Intensity Nuclear War)
Nach anfänglichen Dementis der Verteidigungsministerien, die eine Gefährdung durch DU-Munition ausschlossen, sicherte die NATO im Januar 2001 eine umfassende Untersuchung der Vorgänge zu. Ende November vergangenen Jahres hat die NATO schließlich einen offziellen Bericht veröffentlicht, in dem sie weiter an ihrer These festhält, dass eine Erkrankung von Soldaten durch DU-Munition auf dem Balkan nicht zu erkennen sei. Ein von der NATO einberufenes Ad-hoc-Komitee, das unter Teilnahme zahlreicher internationaler Organisationen und Regierungen gebildet worden war, stellte fest:
"To date no nation has reported finding evidence of an increase in incidence of illness among peacekeepers in the Balkans compared with the incidence of illness among armed forces not serving in the Balkans."
Doch auch wenn die NATO keinen Hinweis für eine verstärkte Erkrankung ihrer über 50.000 Balkan-Soldaten gefunden haben will, kann sie die mögliche Gefährdung nicht leugnen. Dazu sind die wissenschaftlichen Befunde zu zahlreich. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des NATO-Berichtes fand im vergangenen November in Prag eine internationale Konferenz statt, auf der zahlreiche Wissenschaftler ihre Bedenken gegen die DU-Munition wiederholten. Sie wiesen außerdem darauf hin, dass sich der DU-Staub über hunderte Kilometer vom Ort der Explosion verbreiten könne und auch kleinste Partikel gefährlich seien. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind die Ergebnisse der aktuellen UNEP Studie so besorgniserregend.
Auch eine neue Mitte März veröffentlichte Studie der Royal Society nährt die Befürchtungen. Die britische Akademie der Wissenschaften stellt fest, dass Soldaten, die mit DU-Munition in Kontakt geraten sind, unter bestimmten Umständen Nierenschäden erleiden und an Lungenkrebs erkranken können. Verseuchte Böden stellten darüberhinaus eine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar.
Zuerst der Golfkrieg 1991, dann die Angriffe auf bosnische Serben 1994/95, schließlich der Bombardierung Jugoslawiens 1999, insbesondere die US-Luftwaffe, aber auch andere Armeen, setzen den Einsatz der DU-Munition trotz aller Warnungen fort. War DU 1999 im Kosovo-Krieg noch hauptsächlich in den gehärteten Köpfen von 30-Millimeter Massenmunition enthalten, setzt die US-Luftwaffe im aktuellen Krieg in Afghanistan schwere Waffen mit DU-umantelten Raketensprengköpfen ein, berichtete Le Monde Diplomatique im März.
Diese sogenannten "Bunker Buster" GBU-28 sollen die Höhlenstellungen der Taliban zerstören. Sie enthalten ein Vielfaches der Menge an Depleted Uranium der im Kosovo verwendeten Munition. Die Bomben durchdringen in wenigen Sekunden dutzende Meter dicke Beton- und Felswände. Das Geschoss explodiert entweder sobald es ins Freie tritt oder eine bestimmte vorprogrammierte Tiefe erreicht hat. Die dabei freigesetzen Staubpartikel aus Uranoxid sind klein genug, um den Weg in die menschliche Lunge zu finden.